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Gastarbeiter

Gekommen, um zu gehen und dann doch zu bleiben

Wolfegg / Lesedauer: 5 min

Als die ersten Gastarbeiter in den 1950er-Jahren nach Deutschland kamen, war wahrscheinlich noch niemandem bewusst, wie sehr diese Menschen Deutschland prägen würden. Wie sähe das Land ohne sie aus...
Veröffentlicht:03.08.2018, 18:11

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Als die ersten Gastarbeiter in den 1950er-Jahren nach Deutschland kamen, war wahrscheinlich noch niemandem bewusst, wie sehr diese Menschen Deutschland prägen würden. Wie sähe das Land ohne sie aus? Döner, italienische Eisdielen oder der Grieche um die Ecke wären wohl nicht da. In den Sprachen des ehemaligen Jugoslawiens ist das deutsche Wort „gastarbajter“ sogar ein eigenständiger Begriff geworden. Diese Geschichte ist bereits Thema einer Sonderausstellung im Wolfegger Bauernhausmuseum. Jetzt startet ein paralleles Projekt, das an diese Ausstellung anknüpft und schließlich in einer Dauerausstellung im Jahr 2020 im Fischerhaus münden soll.

Die Gastarbeiter kamen von den 1950er- bis in die 1970er-Jahre über die sogenannten Anwerbeabkommen in die Bundesrepublik. In der Zeit des Wirtschaftswunders, war das Land auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen. Die Arbeiter (vor allem aus Italien, Portugal, Griechenland, Jugoslawien, Spanien und der Türkei) kamen, um schnelles Geld für die Heimat zu verdienen. Für vier bis fünf Millionen von ihnen wurde das Gastland aber bald zur neuen Heimat. Sie wurden sesshaft, weil sie Freunde und/oder Ehepartner gefunden haben, die Kulturen vermischten sich, sie importierten ihre Küche, aber auch Sprach- und Integrationsprobleme waren Folgen – teilweise bis heute.

Bus ist ab September unterwegs

Wie sich diese Geschichte auf dem oberschwäbischen Land abgespielt hat, soll schließlich das Fischerhaus am Ende des Ausstellungsprojekts zeigen. Das Gebäude aus dem 18. Jahrhundert ist Keimzelle des Bauernhausmuseums und war gleichzeitig Heimat für die ersten Gastarbeiter, die in Wolfegg wohnten. Deswegen habe man ganz bewusst dieses Haus als künftigen Ausstellungsort ausgesucht, sagt die neue Leiterin des Museums, Claudia Roßmann. Gezeigt werden soll zum Schluss unter anderem ein Film, der die Geschichte der Gastarbeiter in Oberschwaben zeigt, ein Film, in dem die Gastarbeiter, ihre Kinder und Kindeskinder, aber auch ihre Nachbarn und Kollegen die Geschichte erzählen sollen.

Das Bauernhausmuseum will mit diesem Projekt neue Wege gehen und arbeitet mit der sogenannten „oral history“ (wörtlich aus dem Englischen übersetzt: „mündliche Geschichte“), erklärt die Projektleiterin Alwine Glanz. Deswegen ist sie auf Gastarbeiter angewiesen, die ihre Geschichte erzählen. Dazu haben sich die Macher den „Erzählbus“ einfallen lassen: ein umgebauter Ford Transit, der gerade bei türkischen Gastarbeitern als Transportmittel und Reisegefährt beliebt war. Der Bus wird ab September in ganz Oberschwaben unterwegs sein und Platz für Interviews bieten. Er soll noch beklebt werden und so gleichzeitig Werbung für das Projekt machen. Außerdem wurde eine „Bushaltestelle“ mit Telefonzelle in der aktuellen Sonderausstellung eingerichtet. Von diesem Telefon aus führt die Leitung direkt zur Kuratorin, die dann die Geschichten ihrer Gesprächspartner aufnehmen kann.

Gesucht sind sämtliche Geschichten und Anekdoten der Gastarbeiter und ihrer Familien. Das können persönliche Erlebnisse sein, von der Entscheidung, nach Deutschland zu gehen und dann zu bleiben, den Erfahrungen mit den Kollegen und der Nachbarschaft, dem Heimweh und den Schwierigkeiten. Oder eine Anekdote wie etwa die eines Sizilianers, der seine Spaghetti so schmerzlich vermisste und es schaffte, in seinem Dorfladen die italienischen Nudeln als neues Produkt einzuführen. Das können auf Seite der Deutschen die ersten Erfahrungen mit ausländischen Klassenkameraden in den Dorfschulen sein, den Kollegen aus Südeuropa, die man nicht verstanden hat, mit denen man dann doch Freundschaften geschlossen hat. Oder auf der Seite der Nachkommen der Gastarbeiter, die erzählen können, wie es war, als Kind Nicht-Deutscher aufzuwachsen und der Verbindung zur Heimat und der Kultur ihrer Vorfahren.

EU fördert das Projekt

Die „oral history“ macht den Museumsbesucher zu einem aktiven Teil der Ausstellung. Seine eigene Geschichte wird Teil einer großen Geschichte. „Angedacht ist zum Beispiel, mit dem Erzählbus auf die Schulhöfe zu fahren. Vielleicht kann dann der Enkel den Opa oder die Eltern dazu motivieren, ihre Geschichte zu erzählen“, meint Herbert Moser, der künstlerische Leiter. So kann für den ehemaligen Gastarbeiter das zum Vorteil werden, was vielleicht einmal ein Nachteil war.

Das Ausstellungsprojekt ist ein Teil des grenzüberschreitenden Interreg-Projektes „Migration nach Vorarlberg und Oberschwaben vom 19. bis 21. Jahrhundert“. Weitere Teilnehmer sind das Vorarlberg-Museum, die Montafoner Museen, der Museumsverein Klostertal sowie „Xenia – Verein zur Förderung der Vielfalt“. Die Kosten belaufen sich auf knapp eine Million Euro, von denen die Europäische Union rund 600 000 Euro finanziert. Alle Museen befassen sich auf unterschiedliche Art und Weise mit Migration – zum Beispiel mit innerösterreichischer Migration nach Vorarlberg, Zwangsarbeit oder Flucht und Vertreibung. Auch dort wird der Erzählbus aus Wolfegg unterwegs sein.

In Wolfegg baut das Bauernhausmuseum auf die Schwabenkinder-Ausstellung auf, die ebenfalls ein Migrationsthema abbildet. Geschrieben wurde der Projektantrag bereits 2015 von Stefan Zimmermann, dem damaligen Museumsleiter, und Christine Brugger, Leiterin des Schwabenkinder-Projektes.

Eines soll bei diesem internationalen Projekt deutlich werden: Migration war nicht immer selber gewählt. Oft fand sie unter einem bestimmten Zwang statt.