StartseiteRegionalOberschwabenWilhelmsdorfVision von Freund hilft gegen Einsamkeit

Bürgstein

Vision von Freund hilft gegen Einsamkeit

Wilhelmsdorf / Lesedauer: 3 min

Elf alte und junge Bühnenhasen machen mit bei „Mein Freund Harvey"
Veröffentlicht:22.04.2018, 18:31

Artikel teilen:

1944 erlebte das Stück „Mein Freund Harvey“ der Journalistin und Autorin Mary Chase (1907-1981) in New York seine Uraufführung und einen sensationellen Erfolg. 1950 wurde es mit James Stewart verfilmt – auf dem Zenit der Laufbahn des berühmten Schauspielers und eine seiner selteneren Komödien – und ebenfalls ein Riesenerfolg. 1970 entstand noch ein deutscher Fernsehfilm mit Heinz Rühmann. Seither hat das Stück über den schrulligen Elwood P. Dowd und seinen imaginären Hasenfreund eigentlich keinen Rost angesetzt. Trotz seines eher leichten Themas – und geschrieben in der härtesten Phase des Zweiten Weltkrieges – geht seine Botschaft sehr viel tiefer.

Lothar Rilling-Riehmann führt Regie (Bühnenbild Inge Bürgstein und Ensemble) und spielt die Hauptrolle in der neuen Produktion des „Theaters in der Scheune“, die weiteren zehn Rollen sind mit bewährten und jungen Kräften des Ensembles besetzt. Die Handlung spielt an zwei Orten: im Haus von Elwood P. Dowd, das von ihm und von seiner Schwester Veta Louise Simmons (Inge Bürgstein) und deren noch lediger Tochter Myrtle Mae (Anna Milow) bewohnt wird und dem Sanatorium von Prof. William R. Chumley ( Wilhelm Kächele ), in dem Oberschwester Lynn Kelly (Sonja Riehmann), Psychiater Dr. Thomas Sanderson (Oliver Nittka) und der bullige Pfleger Marvin Wilson (Benno Ruetz) arbeiten. Beide Szenerien werden vom Bühnenpersonal zwischen den einzelnen Auftritten in grauen Arbeitskitteln mit wenigen Handgriffen umgeräumt – so sind auch die Übergänge zwischen den Szenen sichtbar fließend.

Der grundgütige und kommunikative Elwood – Lothar Rilling-Riehmann ist wie gemacht für diese Rolle –, der sich jedem mit seinem vollen Namen vorstellt und seine veraltete Visitenkarte verpasst, wandert als mal kurzfristig in seinen Stammkneipen Verschwundener oder als potenzieller Psychiatriekandidat zwischen diesen beiden Welten hin und her – und mehr und mehr verrutscht in diesem Stück die Perspektive der ,Insassen’ des einen wie des anderen Bereichs. Am Ende sind – nach ein paar Verwechslungen und Irrtümern – die angeblich Normalen alle ein wenig verrückter oder enthemmter und der anfänglich von allen als schrulliger Bekloppter mit einem Hasentick gemiedene Elwood entwickelt am Ende die wirklichen Qualitäten eines Psychiaters, dem sich der vom seelischen Burnout bedrohte Professor Chumley (köstlich Wilhelm Kächele) gerne anvertraut. Verdrehte Welt – und alles wegen eines unsichtbaren Riesenhasen von knapp zwei Metern Länge mit Namen Harvey, der Elwood mit vorausfühlendem ,Rat’ zur Seite steht und ihn bei seinen Kneipentouren begleitet. Ja, Elwood hat vielleicht auch ein Alkoholproblem, aber gegen eine aufgeregte Umgebung, die ständig am Durchdrehen ist – angefangen von seiner besorgten Schwester, großartig von Inge Bürgstein gespielt, und seiner Nichte, deren Lebensglück er angeblich im Wege steht – hilft ihm eben am besten ein Schluck in gemütlicher Gesellschaft.

Im ersten Teil könnten ein paar kleine Straffungen vielleicht nicht schaden, aber im zweiten Teil nimmt das Stück an Fahrt auf und das Ensemble agiert souverän sowie mit Schwung und Liebe zum Detail. Auch die kleineren Nebenrollen wie Helga Steinmann als Tante Ethel oder Ingrid Wirth als Betty Chumley, Dr. Sanderson im Techtelmechtel mit Lynn Kelly, Hanns Pirkl als genervter Anwalt der Familie oder ganz zum Schluss der Auftritt des Chauffeurs Lorenzo D. Scarpaio, von Domenico Geraci gespielt, mit seinem beeindruckenden Monolog über die Wesensveränderung seiner Fahrgäste nach dem Besuch der Chumley-Klinik, der dem ganzen Stück die glückliche Schlusswendung bringt, gestalten einen rundum gelungenen Theaterabend.