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Unattraktiv

Kein Arzt will Praxis übernehmen

Wilhelmsdorf / Lesedauer: 5 min

Der Allgemeinmediziner Johannes Stäbler findet keinen Nachfolger für seine Praxis
Veröffentlicht:27.10.2017, 15:43

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Es klingt wie ein schlechter Scherz, ist aber bittere Wahrheit. Kein Facharzt für Allgemeinmedizin will in Wilhelmsdorf eine florierende und wirtschaftlich erfolgreiche Arztpraxis übernehmen.

„Die Praxis wollte nicht einmal ein Interessent geschenkt haben“, erinnert sich Johannes Stäbler erbittert an Gespräche mit potenziellen Nachfolgern. Davon gab es in den vergangenen Monaten nicht einmal eine Hand voll und alle sagten ab. Hauptgrund: Respekt vor der Arbeit mit rund 1500 Patienten. Gefürchtet wird die hohe Arbeitsbelastung, denen sich ein klassischer Hausarzt auf dem Lande stellen muss. Zwischenzeitlich erhielten die Mitarbeiterinnen des Praxisteams ihre Kündigungen zum 31. Dezember.

Die Menschen in der rund 5000 Einwohner großen Gemeinde stellen sich die Frage, wie es nach Schließung der Praxis für sie weitergehen soll. Im Ort gibt es nur noch einen weiteren Hausarzt, der allerdings mittelfristig altershalber auch schon eine Nachfolgeregelung anstrebt. Die betroffenen Ärzte, die Gemeinde und die Sozialeinrichtung suchen in intensiven Gesprächen nach Lösungsmöglichkeiten, wie die medizinische Versorgung auch künftig in Wilhelmsdorf sichergestellt werden kann. Derzeit laufen die Gespräche weiter, eine Lösung könnte sich abzeichnen, heißt es. Noch müssen Einzelheiten abgeklärt werden, sollte ein gangbarer Weg beschritten werden. Die Hoffnung besteht, Beschlüsse gibt es noch keine.

Stellvertreter führen Praxis

Die Vorgeschichte und die aktuelle Lage schilderten Johannes Stäbler, seine Frau Gabriele und sein Sohn Philipp jetzt in einem Gespräch mit der SZ. Der gebürtige Wilhelmsdorfer Johannes Stäbler, 62 Jahre alt, eröffnete 1992 seine Praxis in dem von ihm gebauten Ärztehaus an der Zieglerstraße. Im Obergeschoss arbeitet ein Zahnarzt, im unteren Bereich des Gebäudes gibt es eine Praxis für Physiotherapie und Osteopathie. 25 Jahre lang behandelte Johannes Stäbler als Facharzt für Allgemeinmedizin seine Patienten. Diese schätzten neben seiner menschlichen Zuwendung auch seine Zusatzqualifikationen in den Bereichen Akupunktur, Chirotherapie, Osteopathie, Sportmedizin, manuelle Therapie, Naturheilverfahren und traditionelle chinesische Medizin.

Krankheitsbedingt musste der engagierte Arzt zur Jahreswende Anfang 2017 seine Arbeit in der Praxis einstellen. Seither wird der Praxisbetrieb von Ärzten als Stellvertreter weitergeführt, die eigentlich schon aus dem aktiven Dienst ausgeschieden waren. Gleichzeitig wurden die schon vorher laufenden Bemühungen um eine Nachfolgeregelung verstärkt. Ein Antrag auf Nachbesetzung der Praxis von Mitte 2016 wurde schließlich von der Kassenärztlichen Vereinigung genehmigt. Es folgten Ausschreibungen in verschiedenen Medien. Der Erfolg war ernüchternd. Gerade einmal vier Interessenten erkundigten sich nach den Übernahmebedingungen. Finanzielle Gründe waren für die Ablehnungen nicht ausschlaggebend, ganz im Gegenteil. „Alle hatten Angst, dass sie zu viele Patienten versorgen müssten.“ Die Bereitschaft, als niedergelassener Arzt zu arbeiten, sei gering, schildert Stäbler die Lage. Als Facharzt gebe es attraktivere Arbeitszeiten. „Wir können uns die Ärzte aber nicht backen.“ Philipp Stäbler fasst zusammen: „Es gab für uns keine Perspektive für die Praxis mehr. Wir mussten einen Schlussstrich ziehen.“ Die Praxisräume werden jetzt am Markt angeboten. „Unser großer Wunsch wäre es aber weiterhin, wenn wir das Gebäude auch künftig als Ärztehaus betreiben könnten.“

Neben der Familie Stäbler sind auch die teilweise seit vielen Jahren in der Praxis tätigen Mitarbeiterinnen betroffen. Sie hatten bis zuletzt gehofft, dass ein Nachfolger gefunden wird, der ein eingespieltes Team übernehmen würde. Vielleicht eröffnet sich für sie doch noch eine Zukunft an ihrem Arbeitsplatz.

Wilhelmsdorfs Bürgermeisterin Sandra Flucht beobachtet seit ihrem Amtsantritt 2016 die Lage bei der medizinischen Versorgung in ihrer Gemeinde mit Sorgen. Bei den Gesprächen am runden Tisch mit allen Beteiligten seien die verschiedenen Möglichkeiten ausgelotet worden, was in diesem Bereich möglich ist. Hier gibt es mehrere Ansätze. „Ein medizinisches Versorgungszentrum wäre eine Option“, sagte Sandra Flucht auf Anfrage. „In einem solchen Fall muss es unser Ziel sein, dass wir Ärzte im Angestelltenverhältnis für eine solche Aufgabe begeistern können.“ Gedacht würde dabei auch an Ärztinnen, die nach der Elternzeit in den Beruf zurückkommen, aber vielleicht nur Teilzeit arbeiten wollen. Die Frage ist, wie die Organisation samt Abrechnung organisiert wird und wer das macht. Es müsse bei einer solchen Lösung ein hoher bürokratischer, aber auch finanzieller Aufwand betrieben werden.

Auswirkung auf Attraktivität

„Die medizinische Versorgung für unsere Kunden in und um Wilhelmsdorf ist aktuell gut“, erklärt Gottfried Heinzmann, fachlich-theologischer Vorstand der Zieglerschen auf Nachfrage. Die speziellen fachärztlichen Untersuchungen der Suchtpatienten der Fachklinik Ringgenhof würden über Kooperationsverträge mit verschiedenen Fachärzten in Ravensburg und Weingarten abgedeckt, hier gebe es keine Engpässe, berichtet Heinzmann. Das Seniorenzentrum nutze hingegen, wie die Einrichtungen der Behindertenhilfe, die medizinische Infrastruktur direkt am Ort.

Uwe Fischer, Geschäftsführer in der Behindertenhilfe der Zieglerschen, ergänzt: „Wenn in Zukunft immer weniger Ärzte in Wilhelmsdorf praktizieren, wird es für alle Bürgerinnen und Bürger zunehmend schwieriger, einen zeitnahen Arzttermin zu bekommen. Wir machen uns deshalb ernsthafte Sorgen um die künftige medizinische Versorgung in Wilhelmsdorf und freuen uns, dass wir von der Gemeinde über den „Runden Tisch“ in die Überlegungen mit einbezogen werden. Medizinischen Nachwuchs hierher zu bekommen, ist eine Herausforderung. Hier sehen wir mittelfristig auch Auswirkungen auf die Attraktivität von Wilhelmsdorf als Wohn- und Arbeitsort.“

Ärztliche Organisationsformen

Einzelpraxis: Ein Arzt ist freiberuflich als Einzelunternehmer wirtschaftlich und organisatorisch selbstständig.

Praxisgemeinschaft: Kooperation eigenständiger Praxen mit getrennter Abrechnung und getrennter Patientenkartei.

Gemeinschaftspraxis (heute als Berufsausübungsgemeinschaft bezeichnet): Gemeinsames Unternehmen mehrerer Gesellschafter mit gemeinsamer Abrechnung und Patientenkartei.

Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ): Ärztlich geleitete Einrichtung, in der Freiberufler und/oder Angestellte arbeiten.