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Konventbau

Wo Mönche beteten, Webstühle ratterten und Soldaten lebten

Weingarten / Lesedauer: 7 min

Neue Serie: Leben auf dem Martinsberg – Eine Zeitreise durch den Konventbau und seine bewegte Geschichte
Veröffentlicht:23.08.2016, 16:50

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Neugierig blinzelt die Sonne durch die Spitzbogenfenster. Der steinerne Boden ist kühl – und auf seinen reich verzierten Fliesen zeichnen sich die Schatten der Fischblasen-Ornamente aus den Fenstern ab. Still ist es heute im Kreuzgang des Konventbaus, dem Herzstück des einstigen Klosters. Das von 1420 bis 1605 errichtete Gebäude ist das älteste erhaltene auf dem Martinsberg. Wie etliche andere der historischen Gemäuer erzählt es eine sehr wechselhafte Geschichte: von Einzug und Auszug, von Bränden und Sanierungen, von Reichtum und Armut, von Leerstand und Überfüllung.

Das Kloster Weingarten gilt als die berühmteste der elf in der oberschwäbischen Benediktiner-Kongregation erfassten Abteien. Mehr als 700 Jahre lang – von 1094 bis 1803 – lebten auf dem Martinsberg insgesamt 767 Mönche. Später zogen Waisenkinder in einige der Klosterbauten ein, exerzierten dort Tausende Soldaten, waren Kriegsgefangene und Flüchtlinge untergebracht. Heute ist der Konventbau größtenteils ungenutzt. Einige Räume nutzen neuerdings das Dekanat und das Pfarramt, andere sind von zwei Schwestern bewohnt.

Großteil des Gebäudes ungenutzt

Wie schon so oft steht der Großteil des Gebäudes leer – Küche, Frühstückszimmer und die etlichen Zellen oberhalb des Kreuzgangs sind verwaist. Übrig gebliebene Stockbetten erzählen von voll belegten Zimmern. Provisorische Vorbauten trennen die Flure voneinander. All die grünen Fensterläden zum äußeren Hof sind geöffnet, die meisten Fenster jedoch verschlossen. Ruhig ist es in den Arkaden des Kreuzgangs. Ein Gerüst steht auf den mit Ornamenten geschmückten Fliesen. Nur das tiefe Läuten der Basilika-Glocke ist im Viertelstundentakt zu hören.

Noch vor einigen Monaten klang es hier ganz anders. Wer durch die Arkaden schritt, hörte ein vielsprachiges Stimmengewirr – waren doch viele der Räume an der der Basilika abgewandten Seite als Bedarfsorientierte Erstaufnahmestelle (BEA) nach und nach Unterkunft von 1540 Flüchtlingen. Vor den Klostermauern spielten Kinder Fußball und fuhren mit dem Dreirad. Türen standen offen und wurden lautstark geschlossen. Babys weinten. Mütter sangen.

Dass ausgerechnet das Konventgebäude einmal ein Ort werden würde, an dem Kinder und sogar Frauen ein- und ausgehen sollten, war im Jahr 1520 noch undenkbar. Schon Hunderte Jahre lang prägten zu diesem Zeitpunkt die Benediktinermönche das Leben im Kloster St. Martin. Erst 1515 war mit dem Neubau des Kreuzgangs begonnen worden.

Herrschen wie ein Fürst

Gerwig Blarer , ein junger Patriziersohn aus Konstanz, war als Jüngster im Konvent im Alter von nur 25 Jahren zum Abt ernannt worden. Kirchenrecht hatte er in Freiburg, Wien und im italienischen Ferrara studiert. Der dunkelhaarige junge Mann galt als ein weltoffener Mensch, als politisch kämpferischer Abt. Und als ein sehr dominanter: Gerwig Blarer regierte 47 Jahre lang auf dem Martinsberg – die Abtei verwandelte er in dieser Zeit in einen glanzvollen Fürstenhof und herrschte auch wie ein Renaissancefürst.

Kaiser Karl V. sah in Blarer einen gern gefragten Ideengeber. Freunden und angesehenen Persönlichkeiten schenkte Reichsprälat Blarer gerne mal ein Pferd aus dem Klostergestüt Nessenreben. Auch mit Wein und Fischen zeigte er sich honorigen Gästen gegenüber großzügig. Kein Wunder, dass unter seiner Regentschaft die Schuldenlast des Klosters Weingarten wuchs und wuchs.

Jede Menge Investitionen

Viel Geld investierte Blarer in Neu- und Umbauten. Um seine Kontaktfreudigkeit zu untermalen, ließ er 1554 die Kurie als Gästequartier für vornehme weltliche Besucher errichten. Die Fertigstellung des Kreuzgangs hat er zwar nicht mehr erlebt, 1567 starb er. Doch dass die Arkaden-Gänge des Konventbaus intensiv weitergebaut worden sind, ist eines seiner Verdienste. Das Besondere am Kreuzgang: Er wurde zu Beginn der Renaissance noch als typisch gotischer Bau erstellt. Der Rückgriff auf diese inzwischen unmodern gewordene Bauform sollte damals ein konservatives Denken ausdrücken.

Tatsächlich war Gerwig Blarer theologisch betrachtet ein Anhänger der spätmittelalterlichen Kirche – jegliche Reform hielt er für überflüssig.

Politisches Geschick

Doch mehr als ein Theologe war Abt Blarer ein couragierter Politiker, der die Abtei sicher durch die schwierige Zeit der Reformation und des Bauernkriegs führte. So konnte er beispielsweise eine langjährige Auseinandersetzung mit der österreichischen Landvogtei vertraglich beilegen. Außerdem sicherte er den Status Weingartens als sogenannte Reichsabtei, die unmittelbar dem Kaiser unterstand.

Blarer selbst wurde von Karl V. zum kaiserlichen Rat und Kaplan ernannt. Zu dem von Gerwig Blarer gestalteten Klosterleben in der Mitte des 16. Jahrhunderts gehörten die von ihm eingestellten hoch qualifizierten Köche, die in der Küche des Konventbaus arbeiteten. Im Kreuzgang waren zuweilen Gesänge zu hören: Die niederländische Vokalpolyfonie, eine Form der Renaissancemusik, hatte es Blarer angetan. Die Kantorei des Klosters baute er mit Sängern und Musikern weiter aus, schickte einige seiner Vokalisten im Jahr 1555 sogar zu einem Auftritt bei der Hochzeitsfeier des Grafen von Montfort. Blarers Profilbild zierte in den 1520er-Jahren eine bleierne Medaille der Abtei – so war der Abt bei seinen Altdorfer Mönchen immer präsent. Auch dann, wenn er wieder einmal in Ochsenhausen weilte, wo er ebenfalls der Reichsabtei vorstand.

Schwierige Jahre

Historiker sind sich einig: Ohne die unmittelbare Nähe zum Benediktinerkloster Weingarten mit seinem ausgedehnten Klosterstaat hätte der Ort Altdorf wahrscheinlich kaum eine Überlebenschance gehabt. Doch von 1803 bis 1922 gab es keinerlei klösterliches Leben auf dem Martinsberg. Was geschah im Konventbau in dieser Zeit? Der Reichsdeputations-Hauptschluss von 1803 hatte die Auflösung der Reichsabtei Weingarten bewirkt. Der Flecken Altdorf zählte von 1802 bis 1806 zunächst zum Besitz des Erbprinzen von Nassau-Oranien und fiel 1806 schließlich an Württemberg – somit auch all die Klostergebäude auf dem Martinsberg. Für den Konventbau bedeutete dies vorerst einen gespenstisch anmutenden Leerstand. Nach einer Inventarisierung konnten Pfarrer und Kaplan dort um 1811 ihre Amtswohnungen einrichten.

Nur wenig später, im Jahr 1842, klapperten die Webstühle im Konventgebäude, wurden dort Lehrjungen von erfahrenen Webern ausgebildet. Denn ausgerechnet das einstige Zentrum des klösterlichen Lebens war der allererste Industriestandort des Fleckens Altdorf: Der Schweizer Unternehmer Albert Fürnkorn hatte sich hier ein Fabriklokal eingerichtet, Garn und Web-stühle erworben und seinen Webereibetrieb laufend ausgebaut. Als „Weißwaren- und Strickfabrikant“ beschäftigte er bis zu 500 Mitarbeiter – viele von ihnen waren junge Frauen, die in Heimarbeit bis zu zwölf Stunden täglich webten. Seine Weißwarenfabrik florierte Mitte des 19. Jahrhunderts. Dennoch musste sie bald wieder ausziehen: Weil die in den Nachbarhäusern untergebrachte Garnison auf 1800 Mann verstärkt wurde, benötigte sie nun auch den Platz im Konventbau. Fürnkorn suchte sich nach einem anderen Standort um.

Für militärische Zwecke fanden die Klostergebäude ab 1920 keine Verwendung mehr. Im Konventbau war die Pfarrei untergebracht. Im Jahr 1922 wurde die Benediktinerabtei Weingarten wiederbelebt – mit vertriebenen Mönchen aus Beuron, die auf dem Martinsberg ein neues Zuhause fanden. Doch das Klosterleben spielte sich zunächst im Schlossbau ab. Denn im Konventbau waren zwischenzeitlich Polen und Slowenen untergebracht.

Vorläufiges Ende

Nach ihrem Auszug wurde das Gebäude 1949 bis 1952 saniert und anschließend vom Land an das Kloster vermietet. Nun nutzten wieder die Mönche den für sie bestimmten Kreuzgang, trafen sich im Kapitelsaal und speisten im Refektorium. Bis 2010: Am 16. Oktober, einem regnerischen Samstagabend, verabschiedeten sich die zuletzt sechs Mitglieder des Konvents mit einem Empfang im Kreuzgang von ihrem 88 Jahre währenden Klosterstandort. Erneut stand das Gebäude leer. Bis im August 2015 die Flüchtlinge einzogen. Erst vor wenigen Monaten, Ende März, ist die Aufnahmestelle geschlossen worden.

Und jetzt? Für eine mögliche Gemeinschaftsunterbringung von Asylbewerbern steht der Konventbau künftig nicht zur Verfügung. Stattdessen gibt es Ideen, dort ein spirituelles Zentrum einzurichten. Bis es so weit ist, zieht erneut die Ruhe ein ins Herzstück der Klosteranlage.

Lesen Sie demnächst: Die Basilika von A bis Z – wie viel einst die Arbeitskräfte beim Bau verdienten und weshalb es gleich mehrere Gruften gibt.