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Neujahrsrede

Massive Kritik an der Neujahrsrede

Weingarten / Lesedauer: 5 min

Die meisten Weingartener Fraktionen sind sich einig: OB Ewald hat Aspekte geschönt und für sich geworben
Veröffentlicht:12.01.2016, 18:16

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Ganz schön umfassend, ziemlich deutlich. In seiner Neujahrsansprache hat Weingartens Oberbürgermeister Markus Ewald am Sonntag klare Worte bei den brisanten Themenfeldern Flüchtlinge, Schuler-Stellenabbau und Krankenhaus-Misere gefunden. Doch barg die einstündige Rede viel mehr: Der Oberbürgermeister beleuchtete fast alle Themengebiete besonders positiv und hob die Dienste der Stadtverwaltung hervor. Kurzum: Die Neujahrsrede glich in Teilen einer ersten Wahlkampfrede.

Darüber sind sich auch die Fraktionen im Weingartener Gemeinderat größtenteils einig. „Das ist der ganzen Reihe aufgefallen in der ich saß. Ob Unabhängige, andere Kulturschaffende oder Bürger. Für uns war das definitiv schon Wahlkampf“, sagt Holger Heyer von den Grünen und Unabhängigen (G&U).

Gerade in den Bereichen Bildung, wirtschaftliche Entwicklung und der 14-Nothelfer-Krise zog Ewald ein überraschend positives Fazit. So sprach das Stadtoberhaupt von einer „bildungspolitischen Vorreiterrolle in der Region“. Und das obwohl die Promenade-Grundschule im Jahr 2018 schließen wird und einige Kindertagestätten in Weingarten dringend saniert werden müssen. Außerdem hat die Werkrealschule an der Talschule mit sinkenden Anmeldezahlen zu kämpfen. Laut OB geht die Entwicklung allerdings wieder in eine andere Richtung, weswegen er eine Empfehlung zur Fortführung der Werkrealschule geben will.

Darüber hinaus ist Ewalds Einschätzung, dass Weingarten sich wirtschaftlich grundsätzlich positiv entwickele, nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Allerdings wirkt seine Einschätzung bei 256 bis maximal 299 wegfallenden Stellen beim Pressenhersteller Schuler und der damit verbundenen Aufgabe des Produktionsstandortes etwas befremdlich. Und selbst der Krankenhausmisere um das 14-Nothelfer kann Ewald etwa Gutes abgewinnen. Man sei medizinisch besser aufgestellt als je zuvor, habe geschickt verhandelt und sei mit zwei blauen Auge davongekommen.

Das sehen die meisten Gemeinderatsfraktionen etwas anders. Für Doris Spieß (SPD) wurden Probleme nicht angesprochen oder schön geredet. Gerade die Bereiche Bildung – „Da sind wir rückständig und das mit einer Pädagogischen Hochschule.“ – und Krankenhaus sieht sie etwas differenzierter. „Klar müssen wir froh sein, dass wir noch so gut weggekommen sind, aber das war Glück und keine Leistung“, sagt sie. Auch seien die finanziellen Probleme auf die Haushaltsstrukturkommission abgewälzt worden, Investitionen kaum möglich.

Realität ausgeblendet

Bei der Bewertung der Themen gibt es Unterstützung von Axel Müller ( CDU ): „Politik beginnt beim Betrachten der Wirklichkeit. Nach meiner Sicht der Dinge wurde die Realität teilweise ausgeblendet.“ Und auch Holger Heyer meint nach vielen Gesprächen beim Neujahrsempfang: „Da waren einige Sachen, die eher in seiner Welt stattfinden und nicht in Weingarten.“

Daher ordnet auch Spieß die Rede klar ein: „Er ist als guter Wahlkämpfer bekannt und wenn der Wahlkampf keine Rolle gespielt hätte, dass wäre die Rede deutlich kürzer gewesen.“ Das sieht auch Axel Müller (CDU) ähnlich: „An der Stelle, an welcher der Redner seine erneute Kandidatur bekannt gibt und die Bürger um ihre Stimme bittet, war das eine Wahlkampfrede“, sagt er hinsichtlich eines Abschnittes, in dem Ewald über Herausforderungen und Vergnügen eines Weingartener Oberbürgermeisters sprach. Dabei erklärte Ewald auch, dass er gerne seinen Teil dazu beitragen wolle, die „positive Entwicklung“ der Stadt fortzusetzen und die Bürger bat, ihm die „gemeinsame Heimatstadt“ auch in Zukunft anzuvertrauen.

Verständnis von FWW und BfW

Etwas mehr Verständnis gibt es von Seiten der Freien Wähler (FWW) und der Bürger für Weingarten (BfW). Stefan Bernhardt (FWW) findet es legitim, wie Ewald sich verhalten hat. „Er hat aus meiner Sicht positiv wie negativ gesprochen. Das sehe ich nicht als Wahlkampf“, sagte Bernhardt. Egon Girmes (BfW) sieht das Ganze gelassen. Zwar sehe auch er nicht alles so positiv wie Ewald, gerade im Bildungsbereich, aber „andere an seiner Stelle hätten es wahrscheinlich genauso gemacht. Im Wahljahr ist es ja selbstverständlich, dass er etwas Wahlkampf betreibt.“

Das sieht der ehemalige Bundestagsabgeordnete Rudolf Bindig eher kritisch. In seiner langen politischen Karriere habe er zahlreiche Neujahrsreden gehört. Diese steche heraus. „Mir ist aufgefallen, dass bestimmte Ereignisse in einer positiven Richtung dargestellt wurden. Da wird versucht eine Interpretationshoheit zu erlangen“, meint Bindig. Es habe auch viele kritische Aspekte im vergangenen Jahr gegeben, die man deutlich neutraler hätte darstellen können. „Das fand ich unangemessen. Das war eine geschickt angelegte Wahlkampfrede. Die Passagen mit der Eigenwerbung hätte der OB auch raus nehmen können“, so Bindig.

Ewald wehrt sich gegen Vorwurf

Oberbürgermeister Markus Ewald zeigte sich auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“ überrascht vom Stimmungsbild unter den Fraktionen. „Ich habe von vielen Bürgern die Rückmeldung erhalten, dass sie das genau anders gesehen haben“, sagte er. „Das war absolut nicht meine Absicht. Eine Wahlkampfrede hätte ganz anders geklungen. Es war nie mein Ziel, irgendetwas schönzureden.“ Allerdings sei es schwierig längerfristige Entwicklungen nur auf ein Jahr begrenzt zu betrachten. Daher habe er die großen Themenstränge herausgearbeitet und umfassend dargestellt, um ein Gesamtbild eines jeweiligen Themenfeldes, wie beispielsweise der Krankenhaus-Misere, herauszuarbeiten. Ganz bewusst habe er auch die anstehende OB-Wahl nicht gänzlich ausgeklammert, da es nun Mal zum Ausblick gehöre, es aber bewusst kurz gehalten und mittig eingeschoben.