Stadtgarten

Blick nach hinten

Weingarten / Lesedauer: 3 min

Warum Herbert Leichtle seinen Steinzeitmann in die Vergangenheit schauen lässt
Veröffentlicht:14.01.2016, 10:42

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Sie stehen im Stadtgarten, in der Fußgängerzone, an Straßenecken: Skulpturen gibt es in Weingarten vielerorts. Woher kommen sie? Weshalb zieren sie den jeweiligen Standort? Und wie lange schon? Die „Schwäbische Zeitung“ hat sich in Weingarten umgesehen. Die Ergebnisse dieser Spurensuche stellen wir in loser Folge vor. Dieses Mal: „Homo“ von Herbert Leichtle.

Grün vor Moos ist seine Kopfhaut. Die groben Hände ruhen an seinen Hüften. Den Kopf hat der überdimensionale Granitmann über die Schulter nach hinten gewandt. Wer kommt? Wer geht? Woher? Wohin? Der „Homo“, der neben dem Eingang zum „Best-Western“-Hotel steht, hat alles im Blick, was auf der Asamstraße geschieht. Und nicht nur dort. Sein ernster Gesichtsausdruck lässt ihn beinahe ein wenig unheimlich erscheinen. Ohnehin: Er scheint aus einer anderen Welt zu kommen. „Es ist ein Steinzeitmensch“, sagt der Bildhauer Herbert Leichtle, „ein Neandertaler“. Dargestellt hat er die Figur bewusst als eine rückwärts blickende, die in ihre eigene Vergangenheit schaut. Denn die Frage „Woher kommen wir?“ betrachtet Leichtle als Thema für die steinerne Skulptur. Unter der Überschrift „Rückblick“ hat er auch einige Variationen der Männerfigur erarbeitet.

Vergänglichkeit und Tod

„Mit den Themen Vergänglichkeit und Tod beschäftige ich mich viel“, sagt Leichtle über sein Werk. Immerhin gestaltet er viele Grabmale. „Es macht einen Menschen eher aus, wenn er sich nicht nur mit seiner Zukunft befasst, sondern sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt und in Harmonie mit dem lebt, was geschehen ist“, so Leichtle. Ihn faszinieren Kulturen, die ausschließlich über ihre Wurzeln sinnen – wie es etwa das Volk der Aymara in Südamerika tut: Sie leben in der Gegenwart und orakeln nicht über die Zukunft.

Stehen geblieben ist der „Homo“ vor dem Hotel, nachdem der Wolfegger Künstler dort ausgestellt hatte. „Die Skulptur war Bestandteil der Schau und ist heute noch als Leihgabe zu sehen“, sagt der Wolfegger Künstler. Im Sommer 2009 hat er im damaligen Mövenpick-Hotel gemeinsam mit Günther Wiedemann eine Skulpturenausstellung zum Thema „SteinMensch“ gestaltet. Die Rückmeldung vom Hotel sei positiv, sagt Leichtle, also bleibe der Steinzeitmann dort zunächst einmal stehen. Zwei weitere Arbeiten des Bildhauers sind im Frühstücksraum des Hotels ausgestellt.

Flossenbürger Granit

Entstanden ist der „Homo“ aus Flossenbürger Granit. „Es ist ein grauer Stein aus der Oberpfalz“, sagt Leichtle, „ein ganz tolles Material, mit dem ich viel gearbeitet habe in den vergangenen Jahren.“ Dass der Steinbruch, aus dem seine Arbeitsgrundlage stammt, aus einem dunklen Kapitel deutscher Geschichte stammt, verschweigt der Künstler nicht: Ende der 1930er-Jahre hatten die Nationalsozialisten in Flossenbürg die Deutschen Erd- und Steinwerke gegründet und quälten dort lange Zeit KZ-Häftlinge unter schwersten Arbeitsbedingungen.

Wenn Leichtle keine Brunnen, Denkmäler oder Skulpturen aus Stein freilegt, übernimmt er auch Restaurationsarbeiten – etwa für die Stadt Weingarten. So hat er in den vergangenen Jahren den heruntergefallenen Pferdeschwanz an Elisabeth Maria Stapps Reiterdenkmal auf dem Münsterplatz wieder befestigt und auch an Eberhard Martin Schmidts „Welfengruppe“ einige Male Hand angelegt. „Wenn ein Heiliger eine Nase verliert, dann ist auch das mein Auftrag“, sagt Leichtle.

Lesen Sie demnächst: Nikolaus Kernbach.