Wasserkraftanlage
Betreiber: Auflagen gefährden Wasserkraftanlagen
Weingarten / Lesedauer: 7 min
Seit 25 Jahren produziert der gebürtige Weingartener Adelbert Hall grünen Strom, gewonnen durch die Wasserkraft der Scherzach. Der 78-jährige gelernte Maschinenbautechniker, der 30 Jahre lang bei Escher Wyss in Ravensburg im Turbinenbau arbeitete, hat genau ausgerechnet, wie viel seine beiden Kleinkraftwerke am Ortsausgang von Weingarten in Richtung Schlier an der Laurastraße in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten erzeugt haben, nämlich insgesamt 14 Millionen Kilowattstunden. Rund 6000 Tonnen umweltschädliches CO hat er dabei eingespart – eine Bilanz, die sich sehen lassen kann. Gleichzeitig berichtet Hall von vielen Steinen, die ihm die Bürokratie in den Weg legt. Sein Berufskollege Julian Aicher sieht durch einen Erlass des Umweltministeriums gar zwei Drittel der kleineren Wasserkraftanlagen im Land gefährdet.
Mit 15 Prozent seiner Jahresproduktion an umweltfreundlicher Energie versorgt Adelbert Hall 20 Handwerksbetriebe, die als Gewerbepark Sontheimer bekannt sind, benannt nach einem Unternehmer, der 1867 dort eine Hanf- und Seilspinnerei gegründet hatte und schon damals auf die Wasserkraft der Scherzach setzte, von der er einen Teil des Wassers über einen 1560 Meter langen Werkskanal abzweigte. 85 Prozent seines Ökostroms speist Hall ins Netz der EnBW ein, die ihm die Kilowattstunde mit 11,67 Cent vergütet. Auf die Frage, ob man auf diese Weise reich werden kann, winkt er ab: „Reich wird man dabei nicht, aber es ersetzt ein Einkommen. Man darf allerdings die Stunden nicht zählen, die man da investieren muss.“ Und man muss nicht nur über das technische Wissen und Können verfügen, sondern auch über enormes Stehvermögen, um sich gegen die Bürokratie zu behaupten. Fast nur Prügel in Form immer neuer Auflagen seien ihm von den zuständigen Behörden in den vergangenen 25 Jahren zwischen die Beine geworfen worden, resümiert er. „Ich könnte einen Roman mit 1000 Seiten darüber schreiben.“
Julian Aicher, der für die ÖDP im Ravensburger Kreistag sitzt, in Leutkirch-Rotismühle ebenfalls so ein kleines Wasserkraftwerk betreibt und auch ein Lied davon singen kann, dass es die „Ökokraten“ den Betreibern kleiner Wasserkraftwerke alles andere als leicht machen, hat Adelbert Hall bereits mehrfach ermuntert, die Buchidee in die Tat umzusetzen. Aicher ist Pressesprecher der Arbeitsgemeinschaft Wasserkraftwerke Baden-Württemberg (AWK) und läuft gegenwärtig Sturm gegen Pläne des Umweltministeriums in Stuttgart, fast der Hälfte der Mitglieder das Wasser abzugraben, wie er es nennt.
Turbine läuft seit 70 Jahren
Zwei ehemalige Amtspersonen in leitenden Funktionen nimmt Adelbert Hall allerdings ausdrücklich aus von seiner Kritik an den Behörden: den früheren stellvertretenden Landrat und späteren OB von Weingarten, Gerd Gerber, der einmal ein „Machtwort“ zu seinen Gunsten gesprochen habe, und Rolf Bosch , den früheren Leiter des Forstamts Ravensburg. Bosch, so erinnert sich Adelbert Hall, sei sehr daran interessiert gewesen, dass der Maschinenbautechniker vor 25 Jahren sein erstes Vorhaben an der Scherzach umsetzen konnte, nämlich die seit drei Jahren stillliegende Escher-Wyss-Francisturbine, die bis 1986 den Strombedarf der Firma Thomson gedeckt hatte, wieder zum Laufen zu bringen.
Das Scherzachwasser, allerdings längst nicht alles, sondern nur maximal ein Drittel, stürzte aus einer Fallhöhe von 31,5 Metern durch eine Druckleitung hinunter auf die Turbine, die einen Generator antrieb, der Strom erzeugte. Rund 1,5 Millionen D-Mark galt es zu investieren, vor allem auch, um den maroden Zulaufkanal am Abhang der Scherzach in Ordnung zu bringen.
Forstdirektor Bosch befürchtete damals, dass der ganze Hang mitsamt dem Kanal abrutschen könnte, wenn nichts dagegen unternommen würde. Adelbert Hall schritt zur Tat. Er hatte sich nun einmal in den Kopf gesetzt: „Wenn ich mal in Rente gehe, lege ich mir ein eigenes Kraftwerk zu.“ Es gelang ihm, alle bürokratischen Hürden zu nehmen. Die Turbine wurde von Sulzer Escher Wyss zum Selbstkostenpreis saniert und mit moderner Steuerungstechnik versehen. Sie läuft nach wie vor mechanisch tadellos, seit nunmehr 70 Jahren.
Damit aber nicht genug. Fünf Jahre später errichtete Hall 300 Meter flussabwärts ein komplett neues kleines Kraftwerk mit einer Fallhöhe von acht Metern auf die Turbine. Wieder nahm er den Kampf mit den Behörden auf, erfüllte zahlreiche Auflagen wie eine Fischtreppe, Restwasser, Bepflanzung, Ausgleichsmaßnahmen an der Schussen, sogar Vogelnistkästen. Auch diese Anlage läuft bis heute einwandfrei, liegt gegenwärtig allerdings wegen des Wassermangels still. Sie braucht eine Durchlaufmenge von mindestens 200 Sekundenlitern, die obere nur 100 Liter, weshalb sie trotz der anhaltenden Dürreperiode noch in Betrieb ist. Fließt viel Wasser die Scherzach herunter, bringen es beide Anlagen zusammen auf maximal 207 Kilowatt Leistung.
Keine gehäckselten Fische
Gesteuert werden sie vollautomatisch. Bei Störungen kann der reiselustige Adelbert Hall per Handy und GPS von jedem Punkt der Erde aus eingreifen. „Was wir dringend benötigen: Landregen, ein paar Wochen lang“, gibt er zu bedenken, ganz ähnlich wie die Landwirte. Das Schicksal der Fische in der Scherzach jetzt bei extremem Niedrigwasser und bedrohlich steigender Wassertemperatur ist ihm als Kleinkraftwerksbetreiber übrigens keineswegs gleichgültig, ganz im Gegenteil, wie er nachdrücklich versichert. Denn er hat sozusagen zwei Seelen in seiner Brust: Er ist geprüfter Fischer und hat stets ein offenes Auge und Ohr für die Natur. Diffamiert fühlte er sich wie andere private Betreiber kleiner Wasserkraftwerke im Kreis Ravensburg auch, als Gewässerwart Werner Bauer sie vor Jahren in einem Brief an den damaligen Landrat Kurt Widmaier anklagte. Der von ihnen erzeugte grüne Strom sei blutig, so Bauer, weil in den Turbinen Fische gehäckselt würden. Davon könne bei ihm aber keine Rede sein, betont Hall.
Mehrfach schon, so wird im Gespräch mit ihm deutlich, wollte ihm die Untere Wasserbehörde beim Landratsamt Ravensburg schon ans Leder. Er sollte Geldstrafen in Höhe von 2500 Euro zahlen, weil er seiner Pflicht, genügend Restwasser abzugeben, nicht nachgekommen sei. Sogar mit dem Entzug der Betriebserlaubnis wurde ihm gedroht, weil an wenigen Tagen im Herbst die Düse durch Laub verstopft war, sodass nicht genügend Restwasser austreten konnte. Adelbert Hall ließ sich jedoch nicht einschüchtern. Er zog vor Gericht – und hatte Erfolg. Die Verfahren wurden eingestellt.
Julian Aicher: „Kalte Enteignung“
Julian Aicher, ÖDP-Kreistagsmitglied und Kleinwasserkraftwerksbesitzer in Leutkirch-Rotismühle, schießt aus allen Rohren. In seiner Funktion als Pressesprecher der Arbeitsgemeinschaft Wasserkraftwerke Baden-Württemberg (AWK) legt er sich mit Pressemitteilungen und Filmbeiträgen auf Youtube („KuK – Kampf ums Kraftwerk“) mit dem baden-württembergischen Umweltministerium an. Der Grund: Aicher sieht bis zu 800 vor allem der kleineren Wasserkraftanlagen im Land, deren Umweltfreundlichkeit er immer wieder betont, bedroht durch einen „Wasserkraft-Erlass“ des Ministeriums. Dieses wolle den Betreibern das Wasser abgraben, jedenfalls bis zu zwei Drittel davon. Anlagen, die pro Sekunde 4000 bis 1000 Liter Wasser für ihre Triebwerke nutzen, sollen laut Aicher künftig zwei Drittel des „Mittleren Niedrigwasser-Quotienten“ (MNQ) um ihre Anlagen herumleiten, damit die Fische mehr Wasser haben. Die Folge: Bei Trockenheit, wie gegenwärtig, dürfen die Wassertriebwerke allenfalls noch ein Drittel des Niedrigwassers zur Stromerzeugung nutzen, befürchtet Aicher. Er prophezeit für den Fall, dass der Erlass in Kraft tritt, alljährlich monatelangen, ruinösen Stillstand der Anlagen und spricht von „kalter Enteignung.“ Im Bereich des heutigen Baden-Württemberg arbeiteten um 1900 noch mehr als 5000 Wassertriebwerke an Flüssen und Bächen. Davon sind 1700 übriggeblieben, 12 bis 15 im Kreis Ravensburg, darunter aktive und ehemalige Mühlen, Sägereien und andere Betriebe, die grünen Strom ganz ohne CO2-Ausstoß erzeugen. Für 800 davon sieht die Zukunft laut Aicher düster aus, weil die drohenden rigorosen behördlichen Auflagen für sie das Aus bedeuten können. Dagegen läuft er Sturm. Ein ökologischer Zielkonflikt zwischen den Erzeugern grünen Stroms und den Grünen im Ministerium, denen der Fischschutz am Herzen liegt.