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Kulturgemeinde

Aleviten wirken mitten in der Gesellschaft

Weingarten / Lesedauer: 4 min

Die Glaubensgemeinschaft mit islamischen Wurzeln hält westliche Werte hoch und ist hierzulande gut in die Gesellschaft integriert
Veröffentlicht:01.09.2016, 17:57

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Werden sie in ihrem Heimatland Türkei verfolgt, sind die Aleviten in Deutschland als Religionsgemeinschaft anerkannt. Sie stehen für Weltoffenheit und Toleranz, sowie ein friedliches Miteinander von Menschen und Kulturen. Die Ravensburger Kulturgemeinde hat in Sachen alevitischer Religionsunterrichts Pionierarbeit an deutschen Schulen geleistet.

Europaweit einmalig hat sie sich für eine alevitische Religionslehrerausbildung an der Pädagogischen Hochschule Weingarten eingesetzt – mit Erfolg. Seit dem Wintersemester 2013/14 wird der Erweiterungsstudiengang „Alevitische Religionslehre/ Religionspädagogik“ angeboten.

„Wir sind so gut integriert, dass wir gar nicht mehr auffallen“, sagt die zweite Vorsitzende der Ravensburger Alevitischen Kulturgemeinde Arzu Güzelarslan . Und dass es mit ihr und Cemile Gedik zwei Frauen sind, die die Gemeindeleitung innehaben, sagt viel über das Werteverständnis der Aleviten.

Die Gleichberechtigung von Frau und Mann steht nicht nur in ihren Statuten, sie leben sie auch. „Wir sind nicht im anatolischen Hinterland unserer Vorfahren stehen geblieben. Wir erfinden uns immer wieder neu und passen uns den Herausforderungen der Gesellschaft an, in der wir leben“, sagt Arzu Güzelarslan.

Der Name der Aleviten geht auf Hz. Ali zurück, den Schwiegersohn des Propheten Mohammed. Die Glaubensgemeinschaft nimmt den Koran nicht wörtlich, sondern interpretiert ihn immer wieder neu. Und auch Tora und Bibel werden als heilige Bücher geachtet. Zu ihren ethischen Grundsätzen gehören Nächstenliebe, Gleichheit aller Menschen, Liberalität, Toleranz. Mit den „Gastarbeitern“ kamen Anfang der 1960er Jahre viele in der Türkei benachteiligte und unterdrückte Aleviten nach Deutschland. Die zweite Welle erfolgte in den 1980er Jahren, als alevitische Kurden von der türkischen Militärjunta verfolgt wurden.

Zur Gründung der Alevitischen Kulturgemeinde in Ravensburg kam es 1990. Fand man erst im ehemaligen Raiffeisenbau in der Escher-Wyss-Straße eine Bleibe, ist der gemeinnützige Verein seit knapp zwei Jahren in der Franz-Beer Straße in Weingarten beheimatet, nunmehr in eigenen Räumen. Das Einzugsgebiet reicht von Oberschwaben bis zum Bodensee, wo knapp 1000 Aleviten leben. 118 Familien gehören zur Ravensburger Gemeinde. Inzwischen leben schon drei Generationen hier. Einmal in der Woche trifft man sich zum gemeinsamen Gebet, wobei es keine Geschlechtertrennung und keine Rangordnung gibt.

Mitten in der Gesellschaft wollen die Aleviten wirken. Sie kooperieren mit Städten, Kirchen, Immigrantenvereinen, Hilfsorganisationen oder Parteien. Interkultureller und interreligiöser Dialog ist ihnen wichtig. Ob bei den WIN-Wochen – Wochen der Internationalen Nachbarschaft – oder mit Projekten an Schulen. Überhaupt genießt Bildung einen hohen Stellenwert. Vorträge über Salafismus oder die Gülenbewegung wollen Aufklärung leisten, Ost und West einander näher bringen.

Gesellschaftliches Engagement

Zusammen mit dem DRK organisierten die Aleviten letztes Jahr eine Stammzellenspenderaktion. Alevitinnen kooperieren mit Frauen anderer Religionen, um beispielsweise den Angehörigen von Opfern islamistischen Terrors zu helfen. Eine deutschland- und europaweite Vorreiterrolle nahm die alevitische Gemeinde Ravensburg unter ihrem Vorsitzenden Hasan Ögütcü, dem Vorgänger von Cemile Gedik , ein. In mehreren führenden Positionen in Land und Bund, darunter Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde Deutschlands, machte sich der Ingenieur für die Anerkennung als Religionsgemeinschaft in Deutschland stark. Nur so wurde die Einführung alevitischen Religionsunterrichts an deutschen Schulen möglich.

Nun ist Hasan Ögütcü Vorsitzender des neu gegründeten Alevitischen Bildungswerks „Sah Ibrahim Veli“. Die Einrichtung hat sich unter anderem die Bildung von Migranten und transkulturelles Lernen auf die Fahnen geschrieben.

Die Aleviten

Das Alevitentum in seiner heutigen Form hat sich im ländlichen Anatolien des 11. bis 16. Jahrhunderts formiert. Die Aleviten sind eine eigenständige, vom Islam inspirierte Religion. In der Türkei sind sie nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt. In Deutschland leben rund 700 000 Aleviten. In Köln sitzt die Dachorganisation. Sie vertritt die 150 Ortsgemeinden. Aleviten sind weltoffen, tolerant und humanistisch ausgerichtet. Sie halten demokratische Werte hoch und anerkennen das Grundgesetz.