StartseiteRegionalRegion AllgäuWangenWangens OB: „Zeigen Sie Solidarität! Es kommt auf uns an!“

Solidarität

Wangens OB: „Zeigen Sie Solidarität! Es kommt auf uns an!“

Wangen / Lesedauer: 8 min

Wie der Rathauschef die lokale Lage in der Corona-Krise bewertet – und welche Wünsche er an die Bevölkerung hat
Veröffentlicht:02.05.2020, 06:00

Artikel teilen:

Wangens Oberbürgermeister Michael Lang richtet sich in einem Offenen Brief erneut an die Wangener Bevölkerung. Nachfolgend schätzt er die lokale Lage aus seiner Sicht ein.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

vor gut einem Monat habe ich die Situation in Wangen im Allgäu in Corona-Zeiten aus meiner Perspektive dargestellt. Seither wurde ich immer wieder auf diesen Brief angesprochen. Vielfach wurde ich gefragt, ob es eine Aktualisierung geben wird. Diesem Bedürfnis nach Information komme ich gerne nach. Ich bedanke mich bei der Lokalredaktion der „ Schwäbischen Zeitung “ dafür, dass dieses Format erneut ermöglicht wird.

Wie hat sich die Corona-Pandemie entwickelt und welche Folgen haben die Beschränkungen auf das Leben in unserer Stadt und in allen Ortschaften?

Wir waren in Wangen von der Corona-Pandemie im Vergleich innerhalb Deutschlands sehr früh betroffen. Bereits am 6. März 2020 wurde der erste positiv getestete Mann in Wangen registriert. Damals waren es in ganz Deutschland noch 530 registrierte Fälle. In Deutschland sind die Zahlen seit dem 30. März 2020 von 57 298 registrierten Fällen auf 159 119 am 30. April 2020 gewachsen. In Wangen waren es am 30. März 2020 53 registrierte Fälle, heute sind es 87 – und das schon seit mehreren Tagen. Wir sehen also in Wangen eine deutlich verlangsamte Entwicklung, eine Verdopplungszeit von mehr als 30 Tagen! Dafür sprechen auch die Patientenzahlen in der Fieberambulanz im GEG-Gebäude, wo sich niedergelassene Ärzte und ihre Mitarbeiter abwechseln. Sie untersuchen Menschen, die vom Hausarzt geschickt werden, auf Corona. Kamen anfangs 10 bis 15 Personen täglich, so sind es jetzt 2 bis 4.

Wie ist dies zu bewerten?

Lokal hat sich nach der Statistik das Coronavirus im vergangenen Monat halb so stark verbreitet, wie im Durchschnitt innerhalb Deutschlands. Vorsicht ist dennoch im Umgang mit diesen Zahlen geboten. Wir wissen nicht, wie sich die Zahl der unentdeckten Fälle in den letzten Wochen entwickelt hat. Wir stellen fest, dass weniger Tests stattfinden, obwohl die Testkapazitäten vorhanden sind. Wer Symptome spürt, die auf eine Corona-Erkrankung hinweisen, sollte bitte seinen Hausarzt anrufen. Nur wenn die registrierten Zahlen verlässlich bleiben und viele Tests stattfinden, kann man die Pandemie auch weiter mit den richtigen Maßnahmen begleiten.

Und wie ist die Situation in den Pflegeheimen?

In den Pflegeheimen und in der häuslichen Pflege ist die Situation besonders schwer. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege und in der organisierten Nachbarschaftshilfe haben in diesen Zeiten Außergewöhnliches zu leisten. Im Pflegeheim der städtischen Hospitalstiftung wurden sechs Bewohner positiv getestet. Auch bei drei Mitarbeitern war der Test dann positiv. Erneute Test haben keine weiteren positiven Befunde gebracht – weder bei Bewohnern noch bei Mitarbeitern. In Absprache mit dem Gesundheitsamt und Ärzten wird alles dafür getan, dass sich keine weiteren Ansteckungen ergeben. Dennoch ist dies nicht ausgeschlossen. Aus meiner Sicht ist es dringend, dass in allen Pflegeheimen regelmäßig getestet wird. Und bitte stehen Sie den Bewohnern und dem Personal aller Häuser in Gedanken positiv bei!

Wie steht es um die Geschäfte und Dienstleister?

Das öffentliche Leben hat sich in den letzten Wochen in einem Umfang verändert, wie wir uns das davor sicher nicht vorstellen konnten. Eine Vielzahl von Geschäften musste schließen. Alle Gastronomiebetriebe und Beherbergungsbetriebe sind bis heute zu. Alle Sportanlagen und Spielplätze sind gesperrt. An vielen Tagen war es in der Stadt auch bei schönem Wetter so ruhig, wie ich dies noch nie erlebt habe. Zahlreiche Existenzen sind gefährdet. Handelsgeschäfte durften vor kurzem wieder öffnen. Dennoch leiden viele wegen ausbleibender Kunden! Bitte unterstützen Sie gerade auch die vielen kleineren Geschäfte und sichern Sie damit das Leben in der Altstadt und im Bereich Waltersbühl, aber auch die Dorfläden. Lieferdienste sind bei fast allen Geschäften überall möglich! Zeigen Sie Solidarität! Es kommt auf uns an! Nutzen Sie bitte auch die Angebote der örtlichen Produzenten von Schutzwänden, Schutzschilden oder Mund-Nase-Masken, denn eine Reihe von Betrieben hat sich inzwischen auf die Herstellung von solchen, stark nachgefragten Artikeln umgestellt.

Wie kann insbesondere der Gastronomie geholfen werden?

Viele Gastronomiebetriebe und Cafés bieten einen Straßenverkauf an. Ich staune über das kreative und vielfältige Angebot, das wir so oft wie möglich annehmen sollten. Die Schließungsverpflichtung betrifft die Betriebe existenziell. Bitte nutzen Sie daher auch weiter das Gutscheinangebot der Stadt über Reservix und andere Möglichkeiten zur Unterstützung. Gerade jetzt für die Gastrobranche! Bei dieser Gelegenheit danke ich allen, die schon bisher sehr rege Gutscheine gekauft haben!

Welche kulturellen Angebote gibt es?

Ich rechne damit, dass nach dem 6. Mai 2020 im Anschluss an die nächste Bund-Länder-Konferenz klarer sein wird, was an Veranstaltungen in diesem Jahr noch möglich sein wird. Gestern haben wir erstmals ein Konzert über die Homepage der Stadt Wangen übertragen, das wir spontan initiiert haben und für dessen Aufführung sich dankenswerterweise Georg Enderwitz und Tobias Zinser zur Verfügung stellten. Wir werden prüfen, ob sich aus diesem Format – eine gute halbe Stunde Kultur am Freitagabend – mehr entwickeln lässt.

Wie wird der Schulstart organisiert und wie steht es um die Betreuung der Kinder?

Nach sieben Wochen Unterricht zuhause über Video- und Telefonkonferenzen beginnt am kommenden Montag (4. Mai 2020) für insgesamt rund 660 Schülerinnen und Schüler der oberen Klassen an den weiterführenden Schulen der Unterricht wieder. Allerdings nicht in der üblichen Form. Abstandsregeln und Hygienevorschriften machen es notwendig, die Kontakte möglichst gering zu halten. So werden Schülergruppen aneinander vorbei gelotst. Klassen werden geteilt und nebeneinander von einem Lehrer unterrichtet. Parallel läuft der „Fernunterricht“ über die digitalen Medien weiter für die anderen Klassen. Das alles ist ein großer Kraftakt für die Beteiligten! Bald beginnen dann auch die Abschlussprüfungen. Den Schülerinnen und Schülern wünsche ich alles Gute! Für die Schülerinnen und Schüler der Klassen 5 bis 7 und alle Grundschulen werden Betreuungsplätze in Notgruppen angeboten. Trotz gelockerter Kriterien werden die Notgruppen bisher moderat in Anspruch genommen. Die Zahlen schwanken zwischen 44 und 50 in den vergangenen vier Wochen. Ähnliches wie bei den Schulen gilt für die Angebote in den Kindergärten. Für berufstätige Eltern, Alleinerziehende und Kinder in schwierigen Lebenslagen gibt es jetzt genügend Betreuungsplätze in Notgruppen, obwohl sich die Zahl der betreuten Kinder gegenüber dem 27. März von 43 auf inzwischen 98 verdoppelt hat und wir damit rechnen, dass diese Zahlen auch noch weiter ansteigen werden. Herzlichen Dank allen Eltern, die trotz der großen Belastung, die der Spagat zwischen Kindern und Beruf in diesen Zeiten mit sich bringt, selber die Betreuung organisiert haben und es immer noch tun!

Wie arbeiten Gemeinderat und Verwaltung?

Am vergangenen Montag (27. April 2020) fand nach acht Wochen Pause wieder eine Sitzung des Gemeinderats als Präsenzsitzung statt. In den letzten Wochen haben wir mit zwei Videokonferenzen notwendige Diskussionen geführt und Eilentscheidungen herbeigeführt. Auf absehbare Zeit wird das kommunale Hauptorgan alle vier Wochen tagen und ergänzend werden zwischen den Sitzungen Videokonferenzen eingefügt, um notwendige Entscheidungen vorzubereiten, aktuelle Themen zu diskutieren. Manches von dem, was wir jetzt in Notzeiten tun, wird sich vielleicht dann auch in Normalzeiten halten, sofern es sich bewährt. Auch die Verwaltungsgebäude der Stadt waren in den letzten Wochen nicht frei zugänglich. Die Bücherei ist bereits wieder offen. Auch das Bürgeramt und das Gästeamt werden nächste Woche wieder für den Publikumsverkehr öffnen. Wir würden es gerne sehen, wenn alle Besucher – ähnlich wie in Läden – auch beim Besuch unserer Servicebereiche Schutzmasken tragen. Das Rathaus ist ab 4. Mai wieder über den Eingang beim Bürgeramt offen.

Nach und nach kommen Lockerungen, und Schritt für Schritt kommt auch wieder mehr Freiheit in unser Leben. Dennoch müssen wir weiter Einschränkungen in unserer Lebensweise akzeptieren. Bitte achten Sie weiter auf sich und Ihre Familie! Helfen Sie mit, alle die zu unterstützen, die es jetzt besonders schwer haben: Die Gastro- und Tourismusbranche, der Handel, Bus- und Verkehrsunternehmen, viele andere Dienstleister und Künstler. Stützen Sie mit Ihren Einkäufen und Bestellungen die örtlichen Betriebe, das Angebot auf den Wochenmärkten und auch die heimischen Bauern. Nutzen Sie die Angebote des lokalen Handwerks. Etliche Betriebe haben jetzt wieder mehr Luft für neue Aufträge.

Wir alle sollten großzügig sein, bei dem was wir von anderen erwarten. Viele Menschen sind auch emotional sehr belastet. Auf alle Fälle brauchen wir weiter die konsequente Einhaltung der Regeln im Alltag, damit wir klar kommen mit der ganz großen weltweiten Herausforderung.

In Gedanken sind wir bei allen, die in dieser Zeit leiden. Wegen der eigenen Betroffenheit oder in der Familie. Vielen Dank an alle, die sich für andere im nachbarschaftlichen Umfeld engagieren und weit darüber hinaus. In der Not wird der Gemeinschaftssinn der Menschen so schön sichtbar!

Genießen wir aber auch die Schönheit der Natur in diesem Frühjahr. Selten habe ich die Blumen im Garten, die Wiesen und Felder, die Vogelwelt, die üppige Fülle unserer Umgebung so intensiv wahrgenommen wie in diesem Jahr. Deshalb: Auch raus gehen. In Bewegung bleiben. Die Sonne suchen. Und auch bei Regen kann man Spaziergänge an der frischen Luft machen!

Ich freue mich auf ein baldiges und gesundes Wiedersehen!

Herzlichst!

Ihr Michael Lang

Oberbürgermeister