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Herrenstraße

Kiesels gehen mit einem lachenden und weinenden Auge

Wangen / Lesedauer: 3 min

Edith und Karl-Ferdinand Kiesel geben ihr Traditionsgeschäft in der Wangener Herrenstraße auf
Veröffentlicht:29.09.2016, 19:07

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In knapp zwei Wochen, am 12. Oktober, werden Edith und Karl-Ferdinand Kiesel ihr Fachgeschäft für Textilien und Weine in der Herrenstraße 15 aufgeben. Mit dem Ende von „Sigerist-Kiesel“ endet auch eine knapp 200 Jahre alte Wangener Geschäftstradition. Wie es mit dem die Herrenstraße prägenden Gebäude aus der Mitte des 16. Jahrhunderts weitergehen wird, ist noch ein gut gehütetes Geheimnis.

„Feine Wäsche, feine Weine“: So lautete in den vergangenen Jahren das Motto des Fachgeschäfts Sigerist-Kiesel. Der Grund: Seit dreieinhalb Jahren haben die Kiesels neben Textilien und Traditionswäsche auch edle Tropfen in ihrem Sortiment. „Entstanden ist alles nach einer Weinprobe für den guten Zweck“, erinnert sich Karl-Ferdinand Kiesel. Und: „Im Nachhinein war das mit dem Wein eine gute Idee.“

Kiesels Urgroßvater Johann Sigerist hatte vor knapp 200 Jahren in der Herrenstraße 15 eine Blaufärberei und Druckerei gegründet, zur Jahrhundertwende kamen auch Meterwaren und Aussteuerartikel hinzu. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden zudem Strumpf- und Kurzwaren angeboten. Seit 1984 wird das Geschäft von Edith und Karl-Ferdinand Kiesel geführt. Nach dem Umbau Anfang der 1990er-Jahre kamen Damen- und Herrenwäsche zusätzlich ins Sortiment. Wenige Jahre später wurden die im Erdgeschoss befindlichen Verkaufsräume um einen großen Gewölbekeller ergänzt, der wiederum zuletzt als Weinkeller genutzt wurde. Derzeit läuft der Räumungsverkauf.

Bleibt der private Durchgang auch in Zukunft öffentlich?

Dass die Rahmenbedingungen für ein familiengeführtes Traditionsgeschäft in den vergangenen Jahrzehnten nicht einfacher geworden sind, kann auch Karl-Ferdinand Kiesel berichten. „Die zunehmende Mobilität der Kunden und das Internet bekommen natürlich auch wir zu spüren“, so der Inhaber. „Und mit der Schwierigkeit, Auszubildende zu bekommen, müssen nicht nur wir leben.“

Dass die Kiesels demnächst aufhören, ist jedoch in erster Linie dem Alter geschuldet. Und dem Umstand, dass jetzt auch die Zukunft des Gebäudes geklärt ist. „Die Nachfolgeregelung innerhalb der Familie ist kein Thema gewesen“, sagt Karl-Ferdinand Kiesel. „Es war schon immer klar, dass wir die Immobilie als Ganzes verkaufen wollen.“

Am 1. November übernimmt der neue Besitzer das imposante Gebäude in der Herrenstraße 15, das zu den drei Hinderofen-Häusern in der Wangener Altstadt gehört. Wie und von wem die stattliche Immobilie im Herzen Wangens mit ihrer Gesamtnutzfläche von rund 800Quadratmeter und dem von außen nicht einsehbaren Innenhof künftig genutzt wird, ist noch ein Geheimnis. Fraglich auch, ob die Öffentlichkeit dann weiter den privaten Durchgang zwischen Braugasse und Herrenstraße nutzen kann.

„Was der neue Besitzer aus dem Haus macht, ist alles seine Sache“, sagt Karl-Ferdinand Kiesel und blickt mit einem „lachenden und weinenden Auge“ dem Abschied von dem Gebäude entgegen. „Einerseits ist es das Elternhaus, in dem ich aufgewachsen bin und das jetzt aufgegeben wird“, so der Inhaber. „Auf der anderen Seite kann man jetzt mal das tun, was man gerne tun würde – zum Beispiel Sport, Lesen, Reisen.“