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Unterbringung

Familien in Wangen suchen händeringend Wohnungen

Wangen / Lesedauer: 5 min

Anschluss ans Leben in Deutschland findet leichter in normaler Nachbarschaft statt
Veröffentlicht:02.01.2020, 18:00

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Die Stadt Wangen sucht Wohnungen vor allem zur Unterbringung für Familien. Wie die Stadt mitteilt, ist es auf dem derzeit sehr engen freien Wohnungsmarkt vor allem für Familien mit mehreren Kindern sehr schwierig, eine Unterkunft zu finden. Was für angestammte Wangener Familien gilt, trifft ganz besonders auch auf Familien aus dem Herzmannser Weg zu.

14 Familien wohnen dort laut Mitteilung in den Unterkünften, wobei zwei aus Afrika, zwei aus Afghanistan und zwei aus dem Kurdengebiet in Nord-Syrien kommen, die übrigen aus dem arabischen Teil Syriens, wie Andrea Schamm und Natalie Schneider berichten.

Die beiden Sozialarbeiterinnen wären froh, wenn sie den Familien zu Wohnungen verhelfen könnten, denn manche von ihnen leben bereits vier Jahre in der Unterkünften der Stadt Wangen – erst im Spital, dann im Herzmannser Weg. „Sie sollten hier raus, weil so keine Integration stattfindet“, sagt Natalie Schneider

Gefahr der Stigmatisierung

Allein schon, wenn die Familien die Adresse angeben, ist klar, dass sie aus dem Flüchtlingsheim kommen und damit sind sie stigmatisiert. „Wir sehen den Unterschied zu Familien, die den Wegzug geschafft haben. Die blühen richtig auf“, sagt Andrea Schamm und erzählt von einem Mann, der vor Kurzem beim Sozialdienst vorbeigeschaut hat.

„Er kam zur Tür herein, strahlte und sagte ‚Servus‘“, sagt Natalie Schneider. Auf die Frage, wie es ihm und seiner Familie geht, habe er geantwortet: „Wissen Sie, wir sind jetzt erst richtig angekommen.“

Keine Integration im Wohnheim

Vor allem für die Kinder sei es sehr wichtig, aus der Unterkunft am Herzmannser Weg wegzukommen, damit sie eben nicht nur unter sich spielen und sich damit weiter in der arabischen, kurdischen, afghanischen oder afrikanischen Kultur sozialisieren, heißt es weiter.

In einem normalen Wohngebiet, wo deutsche Kinder leben, lernen sie die Sprache schneller und nehmen auch deutsche Gewohnheiten von ihren Spielkameraden an.

„Die Kinder sind gut in der Schule. Die Eltern achten sehr darauf, dass sie lernen“, sagen die beiden Sozialarbeiterinnen. Und die Väter arbeiten inzwischen fast alle. Das heißt auch, sie haben das Geld, um eine Wohnung zu bezahlen und ihre Familie zu versorgen.

Flucht über Balkanroute

Das trifft auch für Familie Hamid zu. Farhan Hamid ist vor vier Jahren mit seiner Frau Leila und den beiden Söhnen Hussein (heute 18), Ahmed (12) und seiner Tochter Alaa (10) angekommen. Sie sind kurdische Syrer aus Qamischli. Auf ihrer Flucht vor dem Krieg in ihrer Heimat waren sie über den Irak und die Türkei unterwegs und kamen dann über die Balkanroute nach Deutschland.

„Ich hatte viel Angst um die Kinder“, sagt Leila Hamid. Oft schliefen sie im Freien in Städten wie zum Beispiel in Izmir. „Mein Mann saß rechts und ich links und die Kinder haben in unserer Mitte geschlafen. Alaa habe ich oft an mich angebunden, damit sie im Schlaf nicht weglaufen konnte. Mein Mann und ich haben fast nicht geschlafen, weil auch so viele Menschen unterwegs und um uns herum waren“, sagt Leila. Einmal habe ihr Bruder aus Saudi-Arabien Geld geschickt, damit sie in einem Hotel übernachten konnten. Auf dem Weg erlebten sie Vieles, an was sie nicht mehr erinnert werden wollen.

Schulwechsel geplant

Jetzt arbeitet Farhan (zu Deutsch: der Glückliche) Hamid über eine Leiharbeitsfirma bei Hochland in Vollzeit im Schichtbetrieb, der älteste Sohn Hussein (18) bereitet sich im Berufschulzentrum Wangen auf eine Ausbildung als Kfz-Mechatroniker vor und intensiviert derzeit vor allem seine Deutschkenntnisse.

Der zwölfjährige Ahmed geht im Moment noch an die Martinstorschule, weil es dort eine – von der Bürgerstiftung Wangen finanzierte – Internationale Vorbereitungsklasse gibt. Doch demnächst darf er in der Werkrealschule in Niederwangen reinschnuppern, um zu sehen, ob er die Anforderungen dort bewältigen kann.

Wenn ja, steht einem Wechsel nichts im Wege. Tochter Alaa (zehn Jahre) besucht das Körperbehindertenzentrum (KBZO) in Weingarten, weil sie an Rheuma leidet und deshalb immer wieder wegen der Behandlung in der Schule fehlen muss.

Viele Absagen

Die Hamids wohnen laut Mitteilung der Stadt in zwei Zimmern, wobei die Eltern das gemeinsame Wohn-Esszimmer auch als Schlafzimmer nutzen. Die drei Kinder schlafen in einem Raum, was derzeit vor allem für den Ältesten schwierig ist. Reagieren Farhan und Leila auf Wohnungsangebote, wollen die Vermieter meist gar nicht weiter sprechen, wenn sie erfahren, dass die Hamids aus Syrien stammen.

Denn damit wird sofort vermutet, sie seien Araber, und Menschen arabischer Herkunft tun sich auf dem Wohnungsmarkt besonders schwer. „Wir sind aber Kurden. Ja, wir sind Muslime, aber die Religion ist für uns egal“, sagt Leila Hamid. Oft werden sie jedoch abgelehnt, weil sie Vermietern zu fünft als zu große Familie gelten.

„Muss nicht zu Hause sitzen“

Leila lernt derzeit noch im Integrationskurs Deutsch – die Sprache, die ihr im Moment am meisten fehlt. Denn sie ist vielsprachig mit Kurdisch, Arabisch und ein bisschen Farsi. Sobald sie besser Deutsch kann, will sie auch arbeiten. „Ich muss nicht zu Hause sitzen“, sagt sie und hofft, dass das Zuhause bald nicht mehr am Herzmannser Weg ist.