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Stadtkirche

Mit dem König eingeweihte Stadtkirche steht vor Jubiläum

Wangen / Lesedauer: 6 min

Pfarrer Martin Sauer arbeitet an einem Kirchenführer und ist auf der Suche nach besonders alten Fotos
Veröffentlicht:09.08.2018, 17:23

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Wangens Protestanten blicken in diesem Jahr auf ein besonderes Datum: Am 19. Oktober 1893 wurde die evangelische Stadtkirche eingeweiht. 125 Jahre ist das also her. Grund genug, im Herbst zu feiern – aber auch, dieses Stück Wangener Kirchengeschichte Revue passieren zu lassen. Pfarrer Martin Sauer arbeitet derzeit deshalb an einem entsprechenden Führer, der zum Jubiläum erscheinen soll. Und er sucht dazu passende Fotografien aus alten Zeiten.

Einerseits gibt sich Martin Sauer recht bescheiden, was den bevorstehenden runden Geburtstag der Stadtkirche angeht: „Das ist kein großes Jubiläum, sondern eher ein kleines“, sagt er. Denn das Gebäude wird ja „nur“ 125 Jahre alt – und nicht etwa 100 oder 150.

Andererseits arbeitet der Geistliche seit seinem Start in Wangen im Jahr 2012 unter anderem daran, Kirche an sich zu öffnen. Dazu gehört unter anderem, dass das Haus selbst stets offen für Besucher ist oder nicht-geistlich geprägte Veranstaltungen, wie zuletzt Teile der Wangener Kulturnacht, ins Haus zu holen. Dazu gehört aktuell aber auch, den Menschen das bevorstehende Jubiläum näher zu bringen.

So schlüpfte Sauer im Juli in das Gewand des württembergischen Königs Wilhelm II. und marschierte so gekleidet vorneweg beim Kinderfestumzug. Aus gutem Grund: Denn Protestant Wilhelm weilte am 19. Oktober 1893 mit seiner Gattin, Königin Charlotte, in Wangen zur Einweihung des damals neu erbauten Gotteshauses. Die optische Wandlung des Geistlichen im Juli diente also als Vorbote des Jubiläums – und Sauer bekennt: „Das hat wirklich Spaß gemacht.“

Derzeit hat sich der Pfarrer in Schriftstücke und Quellen zur Geschichte der Stadtkirche vertieft. Denn er arbeitet an einem Kirchenführer. Am 19. Oktober, zum Festabend anlässlich es Jubiläums soll er erscheinen – und zwei inhaltliche Schwerpunkte haben: historische Informationen und eine geistliche Komponente. Beispielsweise beschreibt er das Abendmahl und dessen Bedeutung.

„Dem Himmel so nah“

Entsprechend passend wirkt der Titel des Werks: „Dem Himmel so nah.“ Baulich, weil die Stadtkirche an erhobener Stelle auf dem Kirchberg steht. Geistlich, weil der Satz eben die Verbindung zwischen dem Bauwerk und Gott verdeutlichen soll. Ins Bild passt da auch, dass der Turm der Stadtkirche auf dem 1920 von Rudolf Schäfer geschaffenen Gemälde rund um den Chorbogen optisch im Himmel verschwindet.

Martin Sauer hat in den vergangenen Monaten viel recherchiert, war zum Beispiel im landeskirchlichen Archiv sowie in jenem der Stadt und im Bauamt auf der Suche nach Unterlagen. Zudem half die zum 100. Kirchengeburtstag von der evangelischen Kirchengemeinde herausgegebene Chronik zu Kirche und Gemeinde.

Was ihm noch fehlt, sind Fotos, vor allem alte. Denn der Kirchenführer soll bildstark daher kommen – und dazu gehören eben möglichst auch Aufnahmen aus den ersten Jahren nach der Einweihung. Wenngleich Sauer Realist ist: Fotos aus den Jahren vor 1920 zu bekommen, würde er als „reinen Zufall“ bezeichnen.

Den Versuch startet er dennoch. Auch weil er zudem auf Bilder aus späteren Zeiten hofft – zumal die Kirche sich im Zuge mehrerer Renovierungen immer wieder (leicht) verändert hat (siehe Kasten). Besonders im Blick hat Sauer da Motive aus der Zeit von vor 1970. Und zwar solche, auf denen zwei ebenfalls von Rudolf Schäfer geschaffene Gemälde an den beiden Längsseiten des Kirchenschiffs zu sehen sind. Die waren nämlich bei der damaligen Renovierung übertüncht worden.

Das geschah im Zuge 68er-Bewegung, als nach Ansicht Sauers Historisches an Bedeutung verlor. Heute scheint das wieder anders zu sein. Denn der Pfarrer hat festgestellt: Zahlreiche Wangener verbinden Erinnerungen mit der evangelischen Stadtkirche, etwa frühere Konfirmanden. Auch deshalb ist er überzeugt: Kirche sei mehr als ein Gebäude oder der Ort, in dem Gottesdienste gefeiert werden. „Ganz viele sagen: Das ist meine Kirche.“

125 Stadtkirche: ein geschichtlicher Abriss

Der Bau der evangelischen Stadtkirche hat vor allem mit der wachsenden Zahl in der Stadt lebender Protestanten zu tun. Wie der Stadtchronik von Stadtarchivar Rainer Jensch zu entnehmen ist, lebten bis 1802 in der katholischen Reichsstadt keine Bürger mit evangelischem Bekenntnis. Das änderte sich sukzessive, nachdem Wangen 1810 Württemberg angegliedert wurde und verstärkte sich durch die Industrialisierung. 1838 wurde laut Pfarrer Martin Sauer die evangelische Gemeinde konstituiert – mit damals 204 Gemeindegliedern.

Anlaufpunkte für die Protestanten waren zunächst Provisiorien. So wurden erste Gottesdienste in der katholischen Kirche St. Martin gefeiert, dann auch im Rathaus. Ab 1849 gab es ein Betsaal im Obergeschoss des Wohnhauses von Stadtbaumeister Spieler vor dem Leutkircher Tor. 1851 kaufte man einen Teil des ehemaligen Kapuzinerkloster vor dem Lindauer Tor. Der Betsaal dort bot 100 Menschen Platz. Auch gab es einen Schulsaal und eine Pfarrwohnung.

Mit der steigenden Zahl der Protestanten wuchs der Bedarf nach einer Kirche. Zunächst an der Lindauer Straße geplant (ein Bauplatz war schon vorhanden), bekam die Gemeinde von der Bahn das Grundstück auf dem heutigen Kirchberg . Das ab 1890 im neugotischen Stil nach Plänen des Stuttgarter (Kirchen-)Architekten Theophil Frey entstandene Gotteshaus wurde am 19. Oktober 1893 im Beisein des Württembergischen Königs eingeweiht. Damals gab es in Wangen bereits 515 evangelische Christen. Die Kirche bot rund 400 Menschen Platz.

Heute gibt es laut Sauer rund 4600 Gemeindeglieder, und die Kirche hat in den vergangenen 125 Jahren mehrere Renovierungen erlebt: Bereits 20 Jahre nach Fertigstellung die erste und 1913 die zweite. Damals kam der bis heute vorhandene Putz an das Klinikergebäude, auch der Chorbogen wurde auf das heutige Ausmaß erweitert. Zudem entstand der heute bekannte Eingang als Anbau.

1969/70 ließ die Gemeinde das Schieferdach erneuern, innen wurde ein Teppichboden verlegt. Außerdem verschwanden die von Rudolf Schäfer geschaffenen Seitenbilder. Während Sauer Letzteres bedauert, lobt er, dass die damals neu angeschaffte Orgel im das Originalprospekt eingebaut wurde.

Vor den Feiern zum 100-jährigen Kirchenbestehen gab es 1992/93 einer weitere Renovierung. Damals wurde das Dach repariert und die Fassade neu gestrichen. Auch das Kreuz auf dem Turm wurde frisch vergoldet. 2011 standen die bislang letzten Arbeiten an, bei denen unter anderem der Teppichboden wieder raus kam und das verbliebene Schäfer-Bild restauriert wurde. Und da eine Kirche in diesem Sinne nie fertig ist, weiß Martin Sauer beim Blick auf die Außenfassade um die auf Sicht erneute Notwendigkeit einer Renovierung. Vorrang habe zunächst aber die evangelische Kirche in Amtzell – und da vor allem das Dach.