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Schluckauf

Konzertgitarrist trotz Tourette-Syndrom

Vogt / Lesedauer: 4 min

Thomas Kalkreuth aus Vogt hat seinen Traum, Konzerte zu geben und Musik zu unterrichten, nie aufgegeben
Veröffentlicht:13.04.2018, 18:20

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Es geschah über Nacht. Vom einen auf den anderen Tag hatte Thomas Kalkreuth das Tourette-Syndrom. „Ich dachte, ich habe Schluckauf“, erinnert er sich. 22 Jahre alt war er zu diesem Zeitpunkt. Dann merkte er, dass der Schluckauf nicht weggeht. Er litt an heftigen Zuckungen. Für den jungen Mann brach eine Welt zusammen. Wollte er doch an der Musikhochschule studieren, um Musiklehrer zu werden. Doch das Tourette-Syndrom ließ diesen Traum platzen wie eine Seifenblase.

Doch wenn der heute 48-Jährige aus Vogt zurückblickt, dann trauert er nicht. Er ist seinen eigenen Weg gegangen. Er ist glücklich, auch wenn vieles hätte anders laufen können. „Ich habe meinen Frieden mit dem Tourette-Syndrom gemacht“, sagt Thomas Kalkreuth. Denn sein Ziel hat er nie aus den Augen gelassen und schlussendlich erreicht: Heute ist er Konzertgitarrist, spielt auf den kleinen Bühnen im Landkreis Ravensburg und unterrichtet insgesamt 40 Schülerinnen und Schüler als Gitarrenlehrer in Baindt, Vogt und Bodnegg. Sein Lebensweg zeigt: Wer einen starken Willen und Kraft hat, der kann es schaffen, auch wenn die Umstände widrig sind.

Von Klavier und Orgel zur Gitarre

Geboren ist Thomas Kalkreuth in Nordrhein-Westfalen, ist aber in Kempten im Allgäu aufgewachsen. Dort ist er schließlich auch zur Musik gekommen. „Ich habe in meiner Jugend Klavier und Orgel gelernt. Musik war meins, das wusste ich immer. Aber das Instrument passte nicht“, erzählt er. Eines Tages brachte sein älterer Bruder eine Gitarre nach Hause. Dann war klar: Die Gitarre ist seine große Liebe. Mit 19 Jahren nahm er schließlich Gitarrenunterricht.

Gerade als Thomas Kalkreuth sein Hobby und seine Leidenschaft zum Beruf machen wollte, kam das Tourette-Syndrom dazwischen. Die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule sagte er kurz vorher ab. „So konnte ich keine Prüfung machen. Man ist ja eh schon vorher aufgeregt und dann kommt noch das Tourette dazu. Das ging einfach nicht. Ich hab mich nicht getraut“, erzählt er. Für ihn war zu diesem Zeitpunkt klar, dass die Musik erst mal gestorben war.

Thomas Kalkreuth begann am Institut für Soziale Berufe in Ravensburg eine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger. So kam er schließlich aus Kempten in den Landkreis Ravensburg. Nach seiner Ausbildung arbeitete er schließlich im damaligen PLK (heute das Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg) in Weißenau. „Ich dachte, dort ist das Tourette-Syndrom am besten integrierbar“, sagt er. Musik machen hat er aber nie aufgegeben. In seiner Freizeit spielte er Gitarre und probierte sich dann als Gitarrenlehrer aus.

Heraus aus der Sicherheit

1998 fasste er schließlich einen Entschluss, der ihn heraus aus der Sicherheit führte. Thomas Kalkreuth verdient seit diesem Zeitpunkt sein Geld als hauptberuflicher Gitarrenlehrer und Konzertmusiker. An eine Musikschule konnte er aber nicht. „Die nehmen nur studierte Musiker. Deswegen schlage ich mich auf dem freien Markt durch“, sagt Kalkreuth. Er unterrichtet vor allem Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene.

Es sei kein leichtes Unterfangen, Gitarrenunterricht auf dem freien Markt zu geben. Man müsse kämpfen. Aber mittlerweile hat er sich etabliert. Immerhin sei die Gitarre ein populäres Instrument. „Mit Fagott, zum Beispiel, hat man es schwerer.“ Sein Tourette-Syndrom störe ihn nicht dabei. „Den Schülern erkläre ich vorher immer, dass ich einen Schluckauf habe, damit sie nicht irritiert sind“, erzählt er. Es sehr erfüllend, die Liebe zur Musik und zur Gitarre weiterzugeben. Doch gerade als Gitarrist sei man gefordert, mit den Stücken am Ball zu bleiben. „Die Schüler kommen mit ihrem Handy, spielen ein Lied vor und sagen: ,Das will ich spielen’.“ Außerdem, berichtet er, bildet er sich an der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung in Trossingen weiter.

Kein einfacher Markt

Schwerer hat er es als Konzertgitarrist. „Gerade als Solo ist es unglaublich schwer. Es ist ein Nischenbereich, der nicht so populär ist. Flamenco-Combos sind gefragt. Aber da braucht man gleich noch Sänger und Tänzerin“, berichtet er. Deswegen bekomme er auch häufig Absagen. Das sei manchmal auch frustrierend. „Neun von zehn Anfragen scheitern. Aber wenn die zehnte dann klappt, freut es mich umso mehr. Das sind dann tolle Momente.“ Dann spielt er am liebsten Stücke aus dem Barock und der Romantik.

Mit den Jahren ist das Tourette-Syndrom bei Kalkreuth zurückgegangen. Zuckungen wie zu Beginn der Erkrankungen hat er nicht mehr. Wilde Ausdrücke um sich geworfen, wie es im Vorurteil heißt, habe er eh noch nie. Beim Sprechen kommt der Tic, der sich anhört wie ein Schluckauf, aber immer wieder durch. Beim Musikmachen geht dieser Tic kurzzeitig sogar ganz weg. „Ich liebe klassische Stücke und gerade diese Lieder wirken wie eine Meditation. Beim Flamenco kommt das Tourette aber ganz automatisch – durch den Rhythmus“, erzählt er und ergänzt lachend: „Dann passt das aber ganz gut. Das hört sich dann an wie die üblichen Olé-Rufe.“