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Ravensburg

So fühlt es sich an, ungewollt kinderlos zu sein

Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Wegen einer angeborenen Fehlbildung können manche Frauen nicht schwanger werden – Eine Betroffene berichtet
Veröffentlicht:05.06.2018, 11:33

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Wohin Franziska Bär auch geht: Überall fallen ihr die Schwangeren auf. Wie sie ihre Hände behutsam auf den Bauch legen, wie sie liebevoll mit dem Ungeborenen sprechen, wie sie sich mit Gleichgesinnten austauschen. Franziska Bär ist keine Gleichgesinnte. Sie kann keine Kinder bekommen. Lange Zeit hat sie darunter gelitten – und mittlerweile einen Weg gefunden, damit umzugehen.

Die 38-jährige Franziska Bär, die in Wahrheit anders heißt, kommt aus dem Landkreis Ravensburg. Sie hat das Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom (MRKHS). Frauen mit diesem Krankheitsbild haben von Geburt an keine oder nur eine unvollständig ausgebildete Gebärmutter und Vagina. Eine Schwangerschaft ist nicht möglich. Circa eine von 5000 Frauen ist von dem Krankheitsbild betroffen.

Bär ist 16 Jahre alt, als sie erfährt, dass sie das Syndrom hat. Mit 17 wird sie operiert: Bei dem Eingriff wird ihre fehlgebildete Scheide durch ein Stück vom Darm verlängert. Nur so kann sie normalen Geschlechtsverkehr haben. Ihre damals beste Freundin wird ein Jahr später ungewollt schwanger. Das Kind kommt zur Welt, die Freundschaft zerbricht. Der Grund: Die frischgebackene Mutter kann mit der ungleichen Situation zwischen ihnen nicht umgehen.

Ausbildung als Erzieherin

In der Zeit nach der Operation ist ihre Unfruchtbarkeit für Franziska Bär kaum eine Belastung. Mit 19 Jahren beginnt sie eine Ausbildung zur Erzieherin. Sie trennt Berufliches und Privates, sieht sich ausschließlich als pädagogische Fachkraft. „Ich wollte nie eine Mama für die Kinder sein, sondern meinen Job ganz professionell machen“, erklärt Bär. Der Kindergarten-Alltag verläuft problemlos. Doch dann kommen die privaten Sorgen.

Im Jahr 2000 werden Franziska Bär und ihr Mann ein Paar. Die beiden verstehen sich blendend, teilen die gleichen Hobbys, heiraten und kaufen ein Haus. Ihre Beziehung hält es aus, dass sie keinen Nachwuchs bekommen können. „Mein Mann sagt immer, dass er mich so liebt, wie ich bin, und er beweist mir seine Liebe jeden Tag“, erzählt die 38-Jährige gerührt.

Aber an Franziska Bär nagt die Angst. Die Angst, ihren Mann zu verlieren. Die Angst, als Frau nicht zu genügen. Die Angst, mit alledem nicht umgehen zu können. Der Kinderwunsch wächst mit jedem Tag. Der psychische Druck auch. Ständig fragen Bekannte, wann es bei den Bärs so weit sei mit Kindern. Die Antwort: „Wir warten noch.“ Harmloser Smalltalk wird zum Eiertanz.

Eine Adoption – für viele kinderlose Paare die Lösung – kommt für Franziska Bär nicht infrage. „Das ist nicht das Gleiche wie schwanger zu werden, eigenes Fleisch und Blut in den Armen zu halten und den Namen weiterzugeben“, meint sie. Ihre Patenkinder sieht sie immer seltener. Auch zu ihren Geburtstagen kommt sie kaum noch. Zu schmerzhaft ist das Ganze. Und wenn die Gespräche im Freundeskreis auf die eigenen Kinder kommen, sitzt sie betreten daneben.

Zusammenbruch bringt die Wende

Vor vier Jahren kommt es schließlich zum Zusammenbruch. Das Leben von Franziska Bärs Leben gerät völlig aus den Fugen. Sie wird ständig krank. Ein Infekt nach dem anderen erwischt sie. Schließlich bekommt sie Depressionen, erleidet einen Burnout. „Ich habe immer gekämpft, wenn ich etwas wollte“, schildert Bär, „aber dem Kampf ums Kinderkriegen musste ich mich von Anfang an geschlagen geben, der war vergebens.“

Auf den Zusammenbruch folgen der Aufenthalt in einer Reha-Klinik und viele viele Gespräche mit Psychologen. „Während der Reha hat sich ein Fass geöffnet“, beschreibt die 38-Jährige. Obwohl sie in dieser Zeit haufenweise Tränen geweint hat, wie sie sagt, steht am Ende die Erkenntnis: „Ich bin anders und akzeptiere das.“

Heute geht Franziska Bär offen mit dem MRKH-Syndrom um – und damit, ungewollt kinderlos zu sein. Sie hat sich einer Selbsthilfegruppe angeschlossen und ihren Job gewechselt. Jetzt arbeitet sie im kaufmännischen Bereich. Die Frage, wie es bei ihr mit dem Nachwuchs aussieht, beantwortet sie nun offen und ehrlich. Das Versteckspiel ist vorbei.

Ihrer Lage gewinnt sie etwas Positives ab: „Ich kann weggehen oder spontan wegfahren – oder große Projekte starten“, meint Franziska Bär. Mit ihren Patenkindern steht sie wieder in engerem Kontakt. Und auch wenn ihr schwangere Frauen immer noch besonders ins Auge – und manchmal auch ins Herz – stechen, so kommt sie damit klar. Oder wie Franziska Bär es ausdrückt: „Ich fühle mich stark und weiß, dass ich schwach sein darf.“