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Reißleine

Pöbelnde Bürger gegen Behörden

Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Verwaltungen schützen Mitarbeiter mit Alarmsystemen und Deeskalationskursen
Veröffentlicht:02.01.2017, 11:06

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Sie werden persönlich beschimpft, beleidigt und bedroht: Täglich bekommen Mitarbeiter von Behörden zu spüren, dass der Ton in der Gesellschaft schärfer wird. Teilweise kommt es sogar zu körperlicher Gewalt. Die Städte Stuttgart und Karlsruhe haben jetzt die Reißleine gezogen. Um ihre Mitarbeiter besser zu schützen, wollen sie mehr Strafanzeigen stellen. Auch Behörden im ländlichen Raum haben immer häufiger Probleme mit Gewalttätern, Pöblern und Hetzern in ihren Amtsstuben.

Weil Ralph Schönenborn ( CDU ) den Bau einer Flüchtlingsunterkunft befürwortete, ist er schriftlich und mündlich massiv angefeindet worden. Daraufhin legte der Bezirksbürgermeister des Reutlinger Stadtteils Oferdingen im Oktober 2015 sein Amt nieder.

Gewalt und Hassmails

Edwin Hahn (CDU) wurde vor drei Monaten in seinem Büro mit einem Tapeziermesser bedroht. Der Bürgermeister von Adelmannsfelden im Ostalbkreis schaffte es so gerade, den wegen eines Nachbarschaftsstreits aufgebrachten Täter aus seinem Büro zu drängen und die Polizei zu rufen. Und der Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon (Grüne) hat kürzlich mehrere Schreiber von Hassmails angezeigt, weil er Morddrohungen erhielt.

Die drei Beispiele zeigen, womit Beamte und Politiker sich heutzutage befassen müssen. Viele Verwaltungen im Südwesten machen Erfahrungen mit Vorfällen solcher Art. Bürger wehren sich lautstark gegen politische Entscheidungen, Bußgeldbescheide oder Gerichtsurteile.

„Die Karlsruher und Stuttgarter Empfindungen dürften sehr viel mit der Realität in den Städten in ganz Baden-Württemberg zu tun haben“, sagt Christiane Conzen vom baden-württembergischen Städtetag. Allenthalben sei zu hören, dass der Umgangston rauer geworden sei. Zwar begegne die Mehrheit der Bürger den Verwaltungen mit Respekt, doch gebe es eine wachsende Minderheit, die Regeln missachte und ihre Interessen über ein zulässiges Maß hinaus verdeutliche.

Da die Bedrohungslage nicht überall gleich ist, reagieren Städte und Landkreise unterschiedlich. In Freiburg bewachen bereits Sicherheitsdienste die Eingänge von drei Ämtern. Wer dort pöbelt, droht oder beleidigt, muss je nach Schwere des Falls mit einem Hausverbot oder einer Strafanzeige rechnen. Genauso gehen die Landratsämter von Sigmaringen, Biberach und Lindau gegen Unruhestifter vor.

„Bei uns gibt es immer wieder Bürger, die ausfällig oder sogar aggressiv werden“, sagt Sibylle Ehreiser, Pressesprecherin des Landratsamts Lindau. Die Fälle hätten in den letzten Jahren zugenommen. Zudem seien Diffamierungen im Internet auf Basis falscher Fakten nicht unbekannt. Auch Ravensburg hat schlimme Erfahrungen gemacht: „Wir mussten in der Vergangenheit leider schon kritische Übergriffe und Drohungen gegenüber Mitarbeiter erleben, beispielsweise bei der Meldebehörde und im Ordnungsamt“, erzählt Pressesprecher Alfred Oswald.

Deshalb zeigen Verwaltungen ihren Mitarbeitern, wie sie sich in Gefahrensituationen zu verhalten haben. Die Friedrichshafener Stadtverwaltung sieht etwa Konflikt- und Deeskalationstrainings sowie Selbstverteidigungskurse vor. Eine ähnliche Taktik verfolgt das Landratsamt Biberach, wie Pressesprecher Bernd Schwarzendorfer erklärt: „Wir schulen die Mitarbeiter, wie sie deeskalierend wirken können, ohne dabei die eigentliche Arbeit zu vernachlässigen.“

Auch die Stadt Biberach kennt die Probleme, berichtet von einer Verschärfung im Tonfall bei persönlich und schriftlich vorgebrachten Beschwerden. Wegen ungebührlichen Verhaltens sprach sie dieses Jahr drei Hausverbote aus. Außerdem wurden 30 Arbeitsplätze mit einem Alarmsystem ausgestattet, damit die Mitarbeiter für den Ernstfall gewappnet sind. Auf diese aufwendige Maßnahme setzen auch die Stadtverwaltungen von Friedrichshafen, Ravensburg und Tuttlingen.

Latente Nörgelei

„Büros mit direktem Kundenkontakt sind seit vielen Jahren so gesichert, dass die Mitarbeiter im Fall der Fälle über einen Alarmknopf Hilfe anfordern können“, sagt Tuttlingens Pressesprecher Arno Specht. Zu gefährlichen Situationen sei es noch nicht gekommen, doch sei ein Trend zur latenten Nörgelei festzustellen – ganz egal, ob es dabei um Baustellen, Blitzer oder den Weihnachtsmarkt gehe.

„Ich sehe die Entwicklung in unserer Gesellschaft mit Sorge und Angst“, sagt Peter Ludwig, Geschäftsführer des Beamtenbunds Baden-Württemberg. Er erwarte dazu klarere Ansagen vonseiten der Bundespolitik und einen besseren gesetzlichen Schutz für die Betroffenen. Es vergehe kein Tag, an dem Beschäftigte im öffentlichen Dienst, Lehrer, Politessen oder Schaffner nicht beleidigt würden.