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Nach Analyse zu Notfall-Einsätzen: Rettungswesen in der Kritik

Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Zu lange Wartezeiten auf den Rettungsdienst: Ministerium weist Verantwortung von sich
Veröffentlicht:17.12.2018, 17:44

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Notärzte und Rettungswagen erreichen ihre Patienten in mehr als 760 Gemeinden oft nicht innerhalb der vorgeschrieben Zeit. Das ist das Ergebnis einer Erhebung des SWR in Kooperation mit der „Schwäbischen Zeitung“. Die Zahlen haben eine erneute Debatte über das Rettungswesens im Land ausgelöst.

In spätestens 15 Minuten sollen im Südwesten Notarzt und Rettungswagen bei ihren Patienten sein. Das Ziel sollen sie bei 95 Prozent aller Einsätze erreichen. Doch seit Jahren gibt es im Land Regionen, in denen die Zahlen deutlich unter den gesetzlichen Vorgaben bleiben. Dabei ist auffällig: In einigen Regionen werden Patienten regelmäßig in unter zehn Minuten erreicht, in Teilen der Landkreise Tuttlingen oder Sigmaringen dagegen warten Patienten oft deutlich länger als 15 Minuten.

Das Innenministerium von Thomas Strobl (CDU) zeigt sich davon wenig überrascht. Die Zahlen deckten sich mit den eigenen Daten. Es sei bei den Hilfsfristen 2017 im Vergleich zu 2016 nicht insgesamt zu Verbesserungen gekommen, so ein Sprecher. Dafür seien unter anderem neue Methoden bei der Erfassung der Daten verantwortlich. Doch es fehle auch an Personal und Fahrzeugen. Diese schaffen die Rettungsdienste an, benötigen dafür aber Förderzusagen von Krankenkassen und Land. „Das Innenministerium sieht dringenden Handlungsbedarf bei den Bereichsausschüssen. Sie müssen Maßnahmen ergreifen, um eine Verbesserung zu erzielen“, heißt es weiter. In den genannten Gremien sitzen Kranken- und Unfallkassen sowie die Rettungsdienste – also etwa das Deutsche Rote Kreuz (DRK). Außerdem sei die Hilfsfrist nur einer von mehreren Indikatoren dafür, ob das Rettungswesen gut funktioniert.

Strobls Koalitionspartner von den Grünen versprechen, Abhilfe zu schaffen. „Die Situation ist alles andere als zufriedenstellend. Wir sind uns des Problems aber bewusst und arbeiten mit dem Koalitionspartner und dem Innenministerium an Lösungen“, so die Grünen-Politikerin Andrea Schwarz. Im Januar 2019 wollen die Grünen ihre Ideen dafür mit Strobl besprechen.

Die Opposition hält Strobl für den Verantwortlichen. Der gesundheitspolitische Sprecher SPD, Rainer Hinderer, sagte am Montag, die Entwicklung im Rettungsdienst zeichne sich seit Langem ab. Es sei unverständlich, warum Strobl so langsam reagiere: „Der Innenminister kann froh sein, dass nicht seine persönlichen Einsatzzeiten untersucht wurden. Bis Thomas Strobl einmal Maßnahmen ergreift, vergeht eine Ewigkeit.“ Es sei unklar, was Strobl konkret plane und ob es zu wesentlichen Änderungen komme.

FDP-Innenexperte Hans-Ulrich Goll gesteht Strobl immerhin zu, einige richtige Schritte angestoßen zu haben. Dennoch konstatiert Goll: „Wenn in Niedersachsen im Verhältnis zehn Rettungswagen fahren, in Hessen acht und in Baden-Württemberg fünf, dann ist das zu wenig.“ Noch dazu gebe es im Südwesten zu oft Ausfälle ganzer Einsatzschichten, weil Personal fehle. Das Land müsse mehr Geld ins Rettungswesen investieren.

Klinikschließungen ein Problem

Das Deutsche Rote Kreuz im Land fährt einen Großteil der mehr als zwei Millionen Einsätze pro Jahr. Sprecher Udo Bangerter sagte zu der Hilfsfrist-Analyse: „Diese Zahlen machen uns nicht glücklich.“ Mehrere Probleme führten dazu: Fachkräftemangel, Ärztemangel auf dem Land und Krankenhausschließungen. „Wir mussten etwa in Isny einen neuen Rettungswagen anschaffen. Die Zahl der Einsätze ist zwar gleich geblieben, aber durch die Klinikschließung dort brauchen die Kollegen nun länger, um Patienten ins geeignete Krankenhaus zu bringen.“

Das Land habe jedoch sinnvolle Maßnahmen angestoßen, um die Lage zu verbessern. Bis diese wirkten, könne aber Zeit vergehen. Es dauere, bis etwa eine neuer Rettungswagen angeschafft sei. Bis alle Zusagen von Versicherungen und Land vorlägen, könne mehr als ein Jahr vergehen.

Die Krankenkassen tragen einen Großteil der Kosten des Rettungsdienstes. Winfried Plötze, Landesgeschäftsführer der Barmer-Krankenkasse, warnt davor, die Hilfsfrist als einziges Kriterium heranzuziehen. „Wichtig sind zum Beispiel auch die Wege und Prozesse in einem Krankenhaus. Also etwa, die Frage wie rasch ein Notfallpatient im OP ist“. Da gebe es in Deutschland Nachholbedarf. „Noch immer sterben in Deutschland mehr Menschen an einem Herzinfarkt als in anderen Staaten – das liegt nicht an fehlenden Kliniken oder Ärzten, sondern internen Abläufen.“