Gastfamilie

Letzte Chance: Gastfamilie

Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Ursula Stadler und Eckard Probst nehmen über den Verein Arkade seit vielen Jahren aggressive Jugendliche bei sich auf
Veröffentlicht:19.02.2018, 16:32

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Vier Jahre lang hat Liliana I. (Name von der Redaktion geändert) bei Ursula Stadler und Eckard Probst in Kappel gelebt. „Ich bin wirklich froh, dass ich hier sein konnte“, sagt sie heute. Eine Aussage wie diese ist vor vier Jahren noch undenkbar gewesen. Ursula Stadler und Eckard Probst nehmen seit vielen Jahren über den Verein Arkade aus Ravensburg aggressive Jugendliche bei sich auf und bieten ihnen als Gastfamilie ein neues Zuhause. Sie sind Teil des Angebots „Junge Menschen in Gastfamilien“ (JuMeGa).

Liliana ist heute 18 Jahre alt. Eine schwere Kindheit, falsche Freunde und Drogen brachten sie schon früh auf die schiefe Bahn. Sie lebte in mehr als 20 verschiedenen Heimeinrichtungen, wurde per Richterbeschluss in die Psychiatrie eingewiesen und kam von dort aus über die Arkade zu Ursula Stadler. Das war kurz vor Lilianas 15. Geburtstag. „Die Frau ist alt, die bekomm’ ich in den Griff“, sei damals Lilianas erster Gedanke gewesen.

Starke Nerven und Motivation

„Man braucht auf jeden Fall starke Nerven und muss motiviert sein, um nicht gleich wieder abzuspringen“, sagt Ursula Stadler ganz gelassen. Sie nimmt seit mehr als zehn Jahren schwierige Jugendliche bei sich auf. Die 55-Jährige ist in der Gastronomie groß geworden, arbeitete eine Zeit lang als Reitlehrerin. „Zu laut und zu viel wird es mir eigentlich nie“, sagt sie. Seit dreieinhalb Jahren lebt auch ihr Lebensgefährte Eckard Probst mit im Haus.

Für ihn sei der Umgang mit den Jugendlichen anfangs eine Herausforderung gewesen. Doch die Gespräche mit seiner Partnerin hätten dabei geholfen. Heute leben zwei junge Flüchtlinge und ein 15-Jähriger bei den beiden. Auch Ursula Stadlers Sohn ist mit den Jugendlichen aufgewachsen. „Für ihn war es nie ein Problem. Wir haben einen sehr ruhiges und freiheitliches Denken miteinander“, erzählt Ursula Stadler. Sie habe ihn jedoch immer gut im Blick gehabt. „Für mich war klar, dass ich sofort damit aufhören würde, wenn es für ihn nicht geht“, sagt sie.

Sozialarbeiter unterstützen die Gastfamilien

Unterstützung erhalten die Gastfamilien von den Sozialarbeitern der Arkade. Eine von ihnen ist Katharina Grünvogel. Sie kennt Liliana, Ursula Stadler und Eckard Probst gut und weiß, dass es nicht immer einfach ist, die Jugendlichen zu unterstützen. „Es ist für die Jugendlichen eine große Chance, wenn sie sehen, dass sie auch dann noch ausgehalten werden, wenn sie sich von ihrer schlimmsten Seite zeigen“, sagt sie.

Ihre schlimmste Seite hat auch Liliana bei Ursula Stadler und Eckard Probst gezeigt. „Einmal bin ich grundlos komplett ausgetickt“, erinnert sie sich. Dabei habe sie mit Tassen, Tellern und sogar dem Fernseher um sich geworfen. In solchen Extremfällen können die Familien auch die Sozialarbeiter einschalten, die für die Familien rund um die Uhr auf dem Handy erreichbar sind.

Zu Beginn sind die Jugendlichen meist streitsüchtig

„Anfangs scheißen die Jugendlichen auf alle. Sie verstehen andere Menschen nicht und fühlen sich selbst auch nicht verstanden“, sagt Ursula Stadler. Vor allem zu Beginn seien sie unfassbar streitsüchtig. Darauf müsse man flexibel und erfinderisch reagieren, denn mit Sturheit komme man nicht weiter. Dass sie dabei ganz ohne pädagogischen Hintergrund mit den Jugendlichen arbeiten, findet Ursula Stadler sogar vorteilhaft. „Man hat nicht den Zwang, pädagogisch korrekt zu handeln, sondern reagiert aus dem Bauch heraus“, sagt sie. Persönlich werde es erst dann, wenn die Jugendlichen sie an die Grenze bringen. „Dann ist es echt, dann entsteht auch eine Bindung“, sagt sie.

Auch wenn Liliana es sich anfangs nicht vorstellen konnte – ihre Einstellung hat sich durch ihre Zeit in der Gastfamilie massiv geändert. Sie hat ihren Hauptschulabschluss geschafft, blieb gegen Ende auch über Nacht zu Hause und wirft mittlerweile nicht mehr ausschließlich mit Schimpfwörtern um sich. Betrügen, Klauen und eine Karriere als Drogendealerin entsprechen nicht mehr ihrer Vorstellung von einem guten Leben. Stattdessen kann sie sich vorstellen, weiter zur Schule zu gehen, eine Ausbildung und den Führerschein zu machen. „Ich würde immer eine Gastfamilie empfehlen“, sagt sie heute. „Im Heim gibt es keine feste Bezugsperson und auch kein familiäres Verhältnis.“

Schwäbische Hausfrauenweisheiten in Ethik und Moral

Mit viel Geduld zeigen sich eben immer wieder Erfolge. Wenn Ursula Stadler und Eckard Probst merken, „dass der Hoffnungsschimmer heller wird“, sei es für sie ein schönes Gefühl. Auch Liliana hatte irgendwann gelernt: „Diskutieren hat keinen Zweck. Es gab einfach jeden Tag die gleiche Predigt.“ Und was war das für eine Predigt? „Na, ganz normale oberschwäbische Hausfrauenweisheiten in Ethik und Moral“, sagt Ursula Stadler und lacht. Ihre Botschaft: „Wir sind alle ganz normale Saitenwürstle.“