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Chemotherapie

Krebs greift nicht nur den Körper an

Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Krebsberatungsstelle informiert in sozialrechtlichen und psychologischen Fragen
Veröffentlicht:21.10.2018, 16:32

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Kaum eine Krankheit macht den Menschen mehr Angst als Krebs. Denn jeder kennt jemanden, der daran gestorben ist. Selbst wenn ein bösartiger Tumor erfolgreich entfernt werden kann, bleibt die Angst vor einem Rückfall, Metastasen, zermürbender Strahlen- und Chemotherapie, Schmerzen, dem frühen Tod. „Krebs ist nicht nur ein Angriff auf den Körper, sondern auch auf die Psyche, die seelische Integrität. Und oft genug auf die Finanzen des Patienten“, sagt Dr. Gerhard Fischer. Der Leiter des Onkologischen Zentrums am Elisabethen-Krankenhaus ist zugleich Vorsitzender des Fördervereins Krebsberatungsstelle Oberschwaben. Die Initiative der OSK, der Sinova-Klinik und der Onkologischen Gemeinschaftspraxis, die vom Land Baden-Württemberg finanziert wird, kümmert sich um die psychologische und sozialrechtliche Beratung von Patienten aus der ganzen Region. Allein im Kreis Ravensburg gibt es jedes Jahr 2000 Krebs-Neuerkrankungen.

„Das Angebot ist völlig kostenlos und richtet sich auch an Menschen, die noch nie einen Fuß in die OSK gesetzt haben“, betont Fischer, dass auch Krebspatienten aus anderen Kliniken beraten werden. Denn finanziert wird das Projekt vom Land Baden-Württemberg , der Deutschen Rentenversicherung und den Gesetzlichen Krankenkassen. „Die OSK hat sich 2015 beim Land als Träger beworben und 2016 den Zuschlag gekriegt. Das nächste Angebot in dieser Art gibt es an der Uniklinik in Ulm.“

Die psychische Belastung von Krebspatienten und deren Angehörige, die oft nackte Existenzangst prägt, ist extrem. Auf einen Termin beim Psychologen müssen sie aber in der Regel lange warten. Fischer: „Es kann Monate dauern, bevor Sie einen Termin bekommen, das ist viel zu lang.“ In der Krebsberatungsstelle gehe das erheblich schneller. Auf Wunsch der Betroffenen auch anonym. Hinzu kommt, dass praktizierende Psychotherapeuten irgendeine Diagnose stellen müssen, wenn sie ihre Leistung mit der Krankenkasse abrechnen. Im Fall von Krebskranken sei das dann in der Regel eine Depression, obwohl das nicht ganz zutreffe. „Für eine junge Lehrerin mit Brustkrebs, die verbeamtet werden will, kann so eine Diagnose zum Problem werden“, sagt Fischer. „Und eigentlich handelt es sich ja nicht um eine Depression, also eine Erkrankung, sondern um eine schwere existenzielle Krise.“

Manche Betroffene können mit oder nach der Erkrankung nicht mehr arbeiten und geraten dadurch in finanzielle Not, als ob die Krankheit allein nicht schon schlimm genug wäre. Auf sie kommen weitere Belastungen hinzu: der Behördenkram. Die Beratungsstelle hilft deshalb beim Ausfüllen von Anträgen auf Reha, Erwerbsminderung, Rente oder Schwerbehinderung. Vor dem Projekt des Landes bot nur die AOK eine solche Sozialberatung. Versicherte aller anderen Kassen mussten sich selbst um alles kümmern. Bis 2019 ist die Finanzierung durch das Land gesichert. Ab 2020 soll das Angebot in die Regelfinanzierung der Krankenkassen aufgenommen werden. Fischer hofft, es auf Wangen ausdehnen zu können, weil viele Patienten aus dem Allgäu einen relativ weiten Weg bis nach Ravensburg hätten, vor allem im Winter. Die Finanzierung sei aber noch unklar.

Von Jahr zu Jahr kommen mehr Patienten aus einem Einzugsgebiet von Biberach bis zum Bodensee nach Ravensburg. 2016 waren es noch knapp 600, 2017 dann schon über 800, in diesem Jahr wahrscheinlich etwas mehr. Drei von vier sind Frauen. „Weil sie weniger Scheu davor haben, ihre Ängste einzugestehen“, meint Fischer. Betroffene Männer würden eher fürchten, nicht mehr so viel leisten zu können wie früher. „Wobei sich dahinter natürlich auch eine Existenzangst verbirgt.“

Der Förderverein der Krebsberatungsstelle finanziert zusätzlich aus Spenden und Mitgliederbeiträgen ein Veranstaltungsprogramm, das auf die ganzheitliche Behandlung abzielt und sanfte Naturverfahren mit einschließt: zum Beispiel Yoga, Qi Gong oder Aromapflege der Haut und Schleimhaut. Dazu gehört auch ein Kosmetikseminar, bei dem Frauen lernen, wie sie sich schminken können, um die Folgen der Chemotherapie zu kaschieren. In enger Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen gibt es außerdem Vorträge, zum Beispiel über Ernährung oder Nebenwirkungen der Chemotherapie.

„Es geht uns um einen ganzheitlichen Ansatz. Das häufige Misstrauen gegenüber der Schulmedizin kommt daher, dass wir verlernt haben zuzuhören und mit den Patienten zu sprechen“, meint Fischer. „Die redende Medizin muss wieder Bestandteil des Berufs werden.“ Ansonsten sei die Gefahr groß, das Patienten, die eigentlich geheilt werden könnten, zu spät oder gar nicht mehr kämen oder ihre Therapie abbrechen würden, weil sie ihr Glück bei Scharlatanen versuchen. Die dann zum Beispiel behaupten, mit einer Eigenbluttherapie oder anderen dubiosen Methoden Krebs heilen zu können.