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Klangperformance

Klangperformance mit Schaben und Kratzen

Ravensburg / Lesedauer: 3 min

Zwei Musiker servieren in der Alten Spohnhalle Töne bis an die Schmerzgrenze – Grunzen und Keuchen inklusive
Veröffentlicht:13.10.2014, 14:34

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Dass diese Klangperformance von Christoph Ogiermann und Gunnar Brandt-Sigurdsson nicht gerade ein „Spaß“ werden könnte, ahnte man schon nach dem Lesen des Programmflyers. Dies, obschon Herbert Köhler von „nemos 21“ (Gesellschaft für Neue Musik Oberschwaben) das „musikalische Vergnügen“ besonders betont hatte.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Die Performance war in höchstem Maß eindrücklich. So sehr, dass der Impuls, sich die Ohren zuzuhalten, die Augen zu schließen oder ganz einfach vor den akustischen Brechern nach draußen auszuweichen, ein paar Mal fast übermächtig wurde. Wer durchhielt, war danach einigermaßen strapaziert. Aber allein für das Nachdenken über die Wirkung dieser Aufführung lohnte es sich. Dieser Abend war exzessiv, konstruktiv wie destrukturierend, intellektuell hochgerüstet.

Eine Performance, die den beiden Tonmachern und Klangregisseuren Ogiermann (Violine, Stimme) und Brandt-Sigurdsson (Gesang, Stimme) physisch und mental alles abverlangte. Zunächst begann Ogiermann mit drei kurzen Stücken „Tableaux / Beschützende Werkstätte / Nounce“ auf der Geige: Schaben, Kratzen, Knarzen, Klopfen, mit dem Bogen stumpf spielen, ein perkussives Nach- und Gegeneinander, während er langsam von links zur Mitte und wieder nach vorne wanderte. Dazu Grummeln, Grunzen und ein lustvolles Stöhnen, als er aus einer Kanne Wasser in einen Eimer plätschern lässt – ein kleiner Ulk zum Entspannen? Schon bricht es um in Wimmern, Keuchen, Gurgeln, entsetzliche Laute aus der Kehle, kurz vor dem Ersticken, kaum hörbares Jammern, schweres Atmen. Dann erscheint die Welt, die Klangregie mischt sich von hinten her ein. Irgendwann hört man einen Zug im Tunnel und Lastwagen rollen auf der Autobahn. So oder ähnlich.

Regungsloses Verharren des überraschend zahlreichen Publikums nach diesem ersten Hörerlebnis. Durfte man, sollte man jetzt klatschen? Der Komponist nickt einmal, zweimal –also ja. Danach setzt sich der Tenor und Tontechniker Gunnar Brandt-Sigurdsson auf einen Stuhl auf dem Podium. Vor dem 2004 produzierten Stück „die sich stürzen in das Glas des einzigen Fensters unseres Hauses das auf den Vertriebenen wartet“ gibt Ogiermann eine Erklärung zur Machart: Es besteht aus der bis zu 800fach in einzeln aufgenommenen Sequenzen übereinander geschnittenen Tenorstimme, die Worte des palästinensischen Dichters Muin Bessieso (*1930) in Töne setzt. Das ergibt eine andauernde Kakophonie, die an ein verzerrtes Spiegelkabinett erinnert. Laute in höchster Frequenz, Töne an der Schmerzgrenze: Erfährt man so beim Zuhören selbst körperlich das Leid eines gequälten Volks?

Nach der Pause kommen die Instrumente auf der Bühne zum Einsatz: ein E-Piano mit Mikro, eine Flöte, die Noten auf dem Labtop daneben. Ogiermann karikiert einen Pianisten, parodiert einen Musicalhit, mit kräftigem Bariton russische Folklore, singt in einen halb vollen Luftballon, gestikuliert überzogen dramatisch, das alles mit dem Grimassieren eines Irren, die blauen Augen weit aufgerissen.

Das Trommelfell zittert nach

Später springt er vom Podium und lässt einen nassen Lappen mit großem Schwung wie ein Derwisch immer wieder auf den Holzboden klatschen, vom hinteren Raum her performt sein Partner auf gleiche Art dieses zweidimensionale Stück mit zwei Titeln: „wär ich aus Schinah, würd man mich verstehen“ und „Nasen“. Noch lange zittert das Trommelfell nach, das Verstehen setzt erst in der Stille ein.