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Invasion der Nordrhein-Westfalen

Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Der neue Landrat ist nicht allein: Auf vielen Chefsesseln in Ravensburg sitzen Rheinländer
Veröffentlicht:13.04.2015, 19:27

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Wie wichtig ist die Herkunft eines Menschen? Als zum neuen Landrat des Kreises Ravensburg gewählt wurde, stießen sich einige daran, dass der 39-jährige Nachfolger von Kurt Widmaier aus Düren kommt.

So schrieb zum Beispiel eine empörte Bodneggerin in einem Leserbrief: „Nun bekommt die Metropole Oberschwabens einen Westfalen als Landrat. Ich frage mich, was sich die Kreisräte, die ihn gewählt haben, dabei dachten.“ Was die Dame in ihren schlimmsten Alpträumen nicht ahnen wird: In vielen oberschwäbischen Unternehmen und Institutionen sitzen jetzt schon Menschen aus Nordrhein-Westfalen auf den Chefsesseln. Und sind dabei ziemlich erfolgreich.

Da wäre zum Beispiel , 53 Jahre alt, Geschäftsführer der Omira (Foto privat). Zuerst kam er Anfang 2013 als Unternehmensberater in die Ravensburger Großmolkerei, die in eine finanzielle Schieflage geraten war. Er räumte gehörig auf, fuhr die Milchverwertung zurück in die Gewinnzone und sitzt seit Anfang 2014 selbst auf dem Chefsessel des Ravensburger Traditionsunternehmens.

Wonnemann ist in einem kleinen Dorf in der Nähe von Gütersloh geboren und arbeitete nach seinem Studium eine Weile als Banker und dann als Unternehmensberater in München. Obwohl er selbst nur des Hochdeutschen mächtig ist, kann er sich mit den oberschwäbischen Bauern nach eigenen Aussagen erstaunlich gut verständigen. „In manchen Versammlungen muss ich schon genau hinhören, und dann sagt jemand zum Spaß: ,Übersetzen Sie das mal für den Herrn Wonnemann’.“ Da Wonnemann aber auch vom Land kommt, kann er sich in die Mentalität der Milchbauern gut einfühlen. Die „schöne Ursprünglichkeit der Gegend“ erinnert ihn sogar an seine Heimat.

Wohl fühlt sich hier auch Heinz Pumpmeier (56), Vorstandsvorsitzender der Kreissparkasse Ravensburg (Foto privat). Vor 15 Jahren kam der gebürtige Westfale hierher, was den Bilanzen des Geldinstituts nicht geschadet hat. „Aus beruflichen Gründen, ist eine oft zutreffende Routineantwort. So ist es bei mir auch – auf den ersten Blick.“ Dann habe er aber die schöne Landschaft, das solide Milieu und die mediterrane Atmosphäre zu schätzen gelernt. Wenn sich Italiener, Franzosen, Deutsche und andere Nationalitäten in Europa so gut verstehen würden, dass sie eine gemeinsame Währung eingeführt hätten, müssten sich Oberschwaben, Westfalen und Allgäuer eigentlich auch gut vertragen können, meint der Banker.

Andreas Thiel-Böhm (55, Foto: TWS) ist seit 15 Jahren Geschäftsführer der Technischen Werke Schussental (TWS) und hat seinen Vertrag gerade erst für fünf Jahre verlängert. Den Paderborner hat damals die Aufgabe gereizt, auf der Basis von zwei kommunalen Stadtwerken (Ravensburg und Weingarten) ein modernes Energieversorgungsunternehmen aufzubauen. „Ich bin wegen der spannenden Aufgabe hierhergekommen, nicht wegen Bergen, See oder sonst was.“ Mittlerweile schätzt er die schöne Natur aber sehr. Seine Lieblingsplätze: das Café E-61 am Gespinstmarkt, der Marienplatz im Allgemeinen und die Ratsstube im Besonderen, die Terrasse der Gutsschänke in Meersburg, der Pfänder und – der eigene Garten.

„Das ist keine Provinz hier“

„Das ist echt keine Provinz hier“, findet Hendrik Groth (54, Foto: Rasemann), seit Juli 2011 Chefredakteur der „Schwäbischen Zeitung“. Ein innovativer Mittelstand, Erfindergeist, offene, sympathische Menschen – der gebürtige Duisburger vermisst seine Heimat nicht. Was ihm als Erstes in der Region aufgefallen ist: „Straßen, Städte und Dörfer sind in viel besserem Zustand und gepflegter als in Nordrhein-Westfalen.“ Sein neues Lieblingsgericht sind saure Linsen mit Spätzle und Saiten, außerdem schätzt er die Nähe zu Österreich und der Schweiz. Probleme mit Mentalität oder Sprache hat er jedenfalls nicht. „Das war schon eher so in Bayern in meiner Zeit bei der Süddeutschen.“

Nach Milch, Geld, Strom und Medien bald auch die Verwaltung des Kreises in der Hand von Rheinländern – die Bodnegger Leserbriefschreiberin fürchtet das Schlimmste: „Muss es unbedingt jemand sein, der kaum Schwäbisch versteht? Oder müssen wir jetzt mit dem Landrat Hochdeutsch reden?“ Wenn das das schlimmste Problem im Kreis Ravensburg ist, geht es der Region jedenfalls gut.

Die Autorin dieses Textes ist selbst in Siegburg geboren, im Rheinland aufgewachsen, hat in Bonn volontiert und gilt somit als befangen, obwohl sie den Satz „Noi, I gang alloi hoim“ nach 18 Jahren in Baden-Württemberg fast akzentfrei aussprechen kann.