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Lynchjustiz

Häftling gesteht Angriff auf Dreifachmörder

Ravensburg / Lesedauer: 4 min

22-Jähriger soll Mitgefangenen in der JVA Ravensburg geschlagen und getreten haben – Angeklagter: „Ich fühlte mich provoziert“
Veröffentlicht:11.04.2017, 11:08

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Am Ravensburger Landgericht hat am Dienstag die Verhandlung gegen einen 22Jahre alten Häftling begonnen. Dieser soll im Juli vergangenen Jahres den mutmaßlichen Dreifachmörder von Eschach bei einem Hofgang in der JVA Ravensburg angegriffen, getreten und geschlagen haben. Der Angeklagte räumte die ihm vorgeworfene Attacke mit Einschränkungen ein. Die Tat seines Opfers und dessen gefühllose Schilderungen der Morde hätten ihn provoziert.

Das 53-jährige Opfer wurde bei dem körperlichen Übergriff schwer am Kopf verletzt. Die Staatsanwaltschaft spricht von „Lynchjustiz“ und wirft dem Angeklagten gefährliche Körperverletzung vor.

Am Dienstagvormittag wurde vor Gericht die Biografie des 22 Jahre alten Angeklagten verlesen. Wie Richter Veiko Böhm erläuterte, war der Angeklagte bereits als Kind verhaltensauffällig. Unter anderem habe er von seinen Mitschülern deren Vesperbrote erpresst. Er sei gegenüber seiner Umwelt schon immer „schamlos, penetrant und dominant“ aufgetreten, sagte der Angeklagte selbst. Sein Aggressions- und Gewaltpotenzial schätzt die Gerichtshilfe als hoch ein.

Emotionslose Mordschilderungen

Entsprechend lang ist das Straftatenregister des 22-Jährigen, der zwischenzeitlich Mitglied einer Rockerbande war: Seine Straftaten reichen von gefährlicher Körperverletzung über räuberische Erpressung bis hin zu Sachbeschädigung, Beleidigung und Betrug. Seit fünf Jahren sitzt der 22-Jährige in verschiedenen Gefängnissen ein, mit einem Jahr Unterbrechung. In der Vergangenheit soll es bereits Übergriffe auf Mitgefangene gegeben haben.

Den Vorfall in der JVA Ravensburg am 6. Juli 2016 schilderte der Verteidiger des Angeklagten folgendermaßen: Sein Mandant habe sich beim unbeaufsichtigten Hofgang von den „emotionslosen und nüchternen“ Tatschilderungen des mutmaßlichen Dreifachmörders von Untereschach „provoziert“ gefühlt. Denn dieser habe über den Mord an seiner Frau und den beiden Stieftöchtern gesprochen wie „über ein Essen oder einen Spaziergang“. Der Angeklagte sei darüber „entrüstet“ gewesen und in Rage geraten. Folglich habe er seinem 53-jährigen Mithäftling gegen das Schienbein getreten und ihm einmal ins Gesicht geschlagen. Tötungsabsichten hatte der 22-Jährige eigenen Angaben zufolge nicht.

Die Staatsanwaltschaft beschuldigt den Angeklagten indes, mehrfach zugetreten zu haben – auch auf den Kopf. Das Opfer habe dadurch Verletzungen und Frakturen erlitten, konnte selbstständig aber noch einen Notruf absetzen. Anschließend soll der 22-Jährige den anderen anwesenden Häftlingen mit Gewalt gedroht haben, sollten diese ihn verraten.

Beweisfotos von Verletzungen

Im Zuge des Beweisverfahrens präsentierte Richter Böhm eine Videoaufnahme des besagten Hofgangs. Ebenso zeigte der Vorsitzende Richter Beweisfotos von den Verletzungen des 53-Jährigen.

Am Nachmittag wurden dann die Zeugen des Vorfalls vernommen. Ein 25-jähriger Exinsasse der JVA Ravensburg berichtete, dass er selbst wenig von dem Angriff auf den mutmaßlichen Dreifachmörder mitbekommen habe. Nur einen Schlag habe er gehört. Jedoch könne er bestätigen, dass die anwesenden Häftlinge nicht bedroht und zum Schweigen gezwungen worden seien. Im Gegenteil: Sie hätten den 22-Jährigen dafür gelobt, dass er gegen den Dreifachmörder handgreiflich geworden war. Sie hätten sich abgeklatscht. Sogar JVA-Beamte habe er sagen hören: „Gut gemacht. Man kann den jungen Mann verstehen, der Mörder hat es nicht anders verdient.“

Ganz anders lautete die Aussage eines 56-Jährigen, der sich aktuell im offenen Vollzug befindet. Auch er war während des Übergriffs im Hof. Der Mann erzählte, dass der Angeklagte sein Opfer zu Fall gebracht und mehrfach geschlagen und getreten habe. „Man dachte, ihm fliegt gleich der Schädel weg“, so der Zeuge. Dem Beschuldigten sei es aus Sicht des 56-Jährigen egal gewesen, ob sein Opfer sterbe oder nicht.

Aus Angst geschwiegen

Ein weiterer 37-jähriger JVA-Häftling berichtete im Zeugenstand, dass er sich aus der Sache beim Hofgang raushielt. „Aber ehrlich gesagt, wollte ich einem Mörder auch nicht zur Seite stehen“, gestand der 37-Jährige. Eine Bedrohung oder Einflussnahme habe es im Nachhinein vonseiten des Angeklagten nicht gegeben, erklärte der Häftling.

Zum Abschluss des Verhandlungstages wurde ein 39 Jahre alter Vollzugsbeamter gehört, der am Tattag Dienst hatte. Der Beamte sagte, er habe gleich vermutet, dass der Angeklagte hinter dem Angriff stecke – obwohl das 53-jährige Opfer aus Angst zunächst geschwiegen habe. Der Angeklagte ist laut dem Vollzugsbeamten „nicht unbedingt eine Person, mit der man leicht umgehen kann“. Wenn ihm etwas nicht passe, dann werde er schnell aufbrausend.

Am Mittwoch wird der Prozess fortgesetzt.

Frau und Kinder getötet

Zur Vorgeschichte: Der 53-jährige Eschacher soll in der Nacht zum 1. Juli 2016 aus niedrigen Beweggründen seine Ehefrau und seine beiden 14 und 18 Jahre alten Stieftöchter mit einem Beil und einem Messer umgebracht haben. Weil alarmierte Rettungskräfte am Tatort eintrafen, überlebte die gemeinsame fünfjährige Tochter des Paares, die er ebenfalls töten wollte. Der 53-Jährige kam in die Justizvollzugsanstalt Ravensburg. Dort hat er sich im August 2016 erhängt.