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Für mehr als 260 000 Euro werden in Ravensburg sogar verzierte Torten digitalisiert

Ravensburg / Lesedauer: 5 min

Stadtarchiv wird für 260 000 Euro modernisiert – Was die Leiterin an der Arbeit mit ausgefallenen Akten liebt
Veröffentlicht:16.02.2022, 11:50

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Archiv klingt nach einer trockenen Angelegenheit? Ist es nicht: Wenn Silke Schöttle, seit August 2020 Chefin des Ravensburger Stadtarchivs, von ihrer Arbeit erzählt, klingt das richtig spannend. Denn auf den 563 Quadratmetern im Gebäude Kuppelnaustraße 7 gibt es jede Menge Schätze zu entdecken.

Zum Beispiel die wunderhübschen Skizzenbücher, in denen Konditor Louis Herb einst seine ausgefallenen Tortendekorationen verewigt hat. „Das ist eine Rarität und ein echter Hingucker“: Schöttle schiebt eine Tür zu den Rollregalen zurück und kommt mit einem DIN A2 großen Band wieder heraus. Die Bilder darin sehen aus wie bunte, kunstvolle Mandalas. In Wirklichkeit sind es Torten. Gebacken und verziert hat sie Louis Herb, der von 1868 bis 1904 eine Konditorei in der Ravensburger Eichelstraße 12 führte.

 Ist fasziniert von den Torten, die der Ravensburger Konditor Louis Herb einst kreiert und in einem großen Skizzenbuch festgehalten hat.

Torten mit Liebesbotschaften

Doch nicht nur das: Der engagierte Kuchenbäcker hat seine Kreationen zudem in einer Art großformatigem Tagebuch künstlerisch festgehalten. Da gibt es etwa eine reich verzierte Torte für den Liederkranz, eine zum 90. Geburtstag des Kaisers oder eine Verbrüderungstorte mit der Aufschrift: „Gott segne das Reich Germania und ihre Toechter Austria und Helvetia“. Natürlich wurde auch im Namen der Liebe gebacken: Umrahmt von gelben Lilien verkündet ein auf einem Schwan sitzender Jüngling „Ich liebe Dich, so innig rein wie nur die erste Liebe kann sein!“

 Kuchen so schön wie Mandalas: Gebacken und verziert hat sie Louis Herb, der von 1868 bis 1904 eine Konditorei in der Ravensburger Eichelstraße 12 betrieb.

Die älteste Urkunde stammt aus dem Jahr 1270

Wenn sie das älteste Stück des Stadtarchivs präsentiert, bekommt Schöttle leuchtende Augen. „Das ist eine Urkunde aus dem Jahr 1270“, berichtet sie fast ein bisschen stolz. Die Geschichte dazu kennt sie selbstverständlich auch: In dem Dokument ging es um die territoriale Abgrenzung von Weiderechten zwischen der Stadt Ravensburg und der Abtei Weißenau. Neben dem Abt von Weißenau besiegelte als Vertreter der Stadtbewohner der Vogt von Schmalegg die Urkunde. Der große Bestand des reichsstädtischen Archivs bildet laut Schöttle „das Rückgrat“ des Ravensburger Stadtarchivs.

 Leiterin Silke Schöttle zeigt die älteste Urkunde im Ravensburger Stadtarchiv: Die stammt aus dem Jahr 1270.

Ein Ordnungsgen ist unverzichtbar

In den vergangenen eineinhalb Jahren hat die Archivarin sich mehr oder weniger durch den gesamten Bestand gearbeitet: Sie sichtete mehr als 1700 laufende Meter Amts- und Steuerbücher, Ratsprotokolle, Zeitungen, Briefe, Nachlässe, Karten und Pläne sowie Fotos und Filme. Und hatte Spaß daran. Denn abgesehen davon, dass die 46-Jährige immer wieder aufs Neue fasziniert ist „von der Geschichte, die da drin steckt“, und den Umgang mit wertvollen historischen Quellen liebt, besitzt sie, was ihrer Ansicht nach für einen Archivar unverzichtbar ist: das Ordnungsgen. „Ich habe einfach Freude daran, alte Dinge zu ordnen und sie nutzbar zu machen.“

Pergament ist unverwüstlich, aber jüngeres Papier zerfällt mit der Zeit

Das Nutzbarmachen all der einbruchssicher im Keller verwahrten Kostbarkeiten ist freilich eine Mammutaufgabe: So herrscht in den Magazinen zwar eine ideale Temperatur von 17 Grad und eine optimale Luftfeuchtigkeit von 50 bis 60 Prozent. Das passt, um jahrhundertealte Urkunden zu konservieren: „Pergament und Büttenpapier sind unverwüstlich“, weiß Schöttle.

Säure- und holzhaltiges Papier jedoch, das seit dem 19. Jahrhundert verwendet wird, zerfällt mit der Zeit. Folge: Es muss mit großem Aufwand entsäuert werden. Das ist teuer: Nimmt sich eine Spezialfirma etwa 80 laufende Meter solcher Akten vor, kostet das rund 50 000 Euro. Trotzdem will und muss die Archivleiterin das nach und nach angehen.

Die Bestände werden nach und nach digitalisiert

Bereits losgelegt hat sie mit der Digitalisierung der Bestände: 2021 gab es zu den 17 000 Euro aus dem eigenen Budget 177 000 Euro aus dem Bundesprogramm „Neustart Kultur“, um mit Hilfe eines externen Dienstleisters den ersten Schwung sogenannter Findbücher zu digitalisieren. In diesen Büchern steht in Kurzform, was im Archiv zu finden ist – allerdings in altertümlicher Kurrentschrift. „Und das ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt Schöttle.

Im Lauf des Jahres kann man die Daten dann über einen Online-Katalog, der auf der Webseite des Archivs abrufbar ist, von zuhause aus recherchieren. 2022 gibt es nochmal 62 000 Euro vom Bund (plus Eigenanteil von 7000 Euro), um die Digitalisierung der Findbücher weiter voranzutreiben. Außerdem bekommt das Stadtarchiv einen Mikrofilmscanner: Mit dem können Interessierte künftig den Inhalt der 700 Mikrofilmen aus dem Archivbestand digital anschauen, scannen oder weiter verarbeiten.

Webseite wurde aufgepeppt

Außerdem sind dieses Jahr Archiv-Führungen, etwa für Schulklassen, geplant – entsprechende Anfragen gibt es einige. Und die Homepage hat Schöttle ebenfalls aufgemöbelt: Dort hält sie Interessierte nun mit Info-Häppchen unter anderem über Bestände, Stadtgeschichte oder Aktuelles auf dem Laufenden.

„Jeden Tag geht ein neues Fass auf“

Wer nutzt eigentlich die reichhaltigen Bestände des Ravensburger Archivs? Schüler, Studenten, Firmen, Vereine, Wissenschaftler, Bauherren und das Museum Humpisquartier, sagt Schöttle. Pro Jahr bearbeitet sie mit ihrem Kollegen Adrian Inhofer rund 500 Anfragen. Immer wieder wollen Ravensburger auch Details über ihre Familiengeschichte wissen. Da ständig was eintrudle, wird der Archivarin nie langweilig. Im Gegenteil: „Bei unserer Arbeit geht eigentlich fast jeden Tag ein neues Fass auf – und oft steckt ein Bündel Akten voller Überraschungen.“