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Großprojekt

Ein Meter Molldiete-Tunnel kostet 20.000 Euro

Ravensburg / Lesedauer: 6 min

Geotechnikexperte Martin Ziegler über die Herausforderungen bei Planung und Bau – Personalmangel bei Ravensburger Molldietetunnel
Veröffentlicht:22.08.2016, 19:10

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In Ravensburg warten alle gespannt auf den Molldietetunnel . Jetzt, wo das Großprojekt im vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans steht, den das Bundeskabinett bereits verabschiedet hat, kann es endlich geplant werden. Doch wie entsteht ein Tunnel überhaupt? Welche Bauarten gibt es? Und welche Schwierigkeiten können auftreten? Jasmin Bühler hat Martin Ziegler, Professor an der RWTH Aachen University, danach gefragt.

Herr Ziegler, warum baut man Tunnel?

Banal gesagt: Mithilfe von Tunneln können zwei Punkte nahezu unbeeinflusst von der oberirdischen Infrastruktur miteinander verbunden werden. Probleme, die es oberirdisch gibt, treten hier nicht auf – wie Lärm, Abgase oder Ampeln. Der Verkehr wird entlastet und es gibt weniger Staus.

Was muss beim Tunnelbau generell beachtet werden?

Bevor ein Tunnel gebaut wird, muss er geplant werden. Dabei ist zunächst die Linienführung festzulegen, wo startet der Tunnel und wo endet er. Dazwischen sind gewisse Mindestradien einzuhalten. Auch muss ein bestimmter Mindestabstand zur Erdoberfläche beachtet werden – genauso die Frage, ob der Tunnel unter Gebäuden verläuft. Eventuell müssen vorher Rohre und Leitungen verlegt oder Hänge gesichert werden. Entscheidende Faktoren sind weiter die Geologie und das Grundwasser. Aber auch der Sicherheit, wie Brandschutz und Rettungswegen, kommt eine wichtige Rolle zu – und natürlich den Ausgleichsmaßnahmen für Flora und Fauna.

Das hört sich nach sehr viel an, was die Planer beachten müssen. Wie lange dauert so eine Planung?

In der Regel um die drei Jahre für die rein technische Tunnelplanung. Danach schließt sich aber die meist langwierige Genehmigungsphase mit dem Planfeststellungsverfahren an. Diese Phase hat man wegen der vielfältigen Einspruchsmöglichkeiten kaum in der Hand. Hier können noch mal fünf oder mehr Jahre vergehen.

Welche Schwierigkeiten können bei der Planung selbst auftreten?

Gesetzliche Vorgaben können sich verändern, dann werden alte Planungen schnell obsolet. Daher sind auch die alten Pläne im Falle des Molldietetunnels nur eingeschränkt verwendbar. Außerdem können schützenswerte Tier- oder Pflanzenarten den Bau eines Tunnels verzögern oder sogar stoppen. Und über allem steht immer die große Frage nach der Finanzierbarkeit.

Es gibt aber auch noch Nebenaspekte, beispielsweise die Abfuhr des Erdaushubs oder die Unterbringung der Tunnelarbeiter.

Das sind logistische Dinge, die zusätzlich geklärt werden müssen. Beim Aushub zum Beispiel stellt sich die Frage: Wohin damit? Muss der Aushub auf eine Deponie gefahren werden oder kann er zur Verfüllung von Steinbrüchen oder zum Bau eines Lärmschutzwalls verwendet werden? Zu bedenken ist der zusätzliche Verkehr an der Abfuhrstelle. Denn um den Aushub abzutransportieren, sind einige Lastwagenfahrten vonnöten.

Wenn das alles im Vorfeld geklärt ist, erfolgt endlich der Bau. Wie entsteht ein Tunnel?

Im Wesentlichen bestimmt die Geologie das Baukonzept. Deshalb muss schon zu Beginn der Planung eine Baugrunderkundung erfolgen. Prinzipiell unterscheidet man im Tunnelbau zwischen der konventionellen Bauart, bei der gebaggert oder gesprengt wird und zur Sicherung zunächst eine vorläufige Schale aus Spritzbeton eingebaut wird, und dem Vortrieb mithilfe einer Tunnelbohrmaschine, bei der noch im Schutz der Maschine die endgültige Auskleidung mit Betonfertigteilen erfolgt.

Was sind die Vor- und Nachteile dieser Methoden?

Bei dem konventionellen Vortrieb, der auch „neue österreichische Tunnelbauweise“ genannt wird, kann der Vortrieb individuell angepasst werden, wenn sich das Gebirge ändert. Zudem ist es möglich, nicht nur Tunnel mit kreisrunden Querschnitten zu bauen, sondern auch maul- oder hufeisenförmige. Dadurch entsteht weniger Erdaushub als beim Kreisquerschnitt. Andererseits ist die Vortriebsleistung bei der konventionellen Methode deutlich geringer als beim Maschinenvortrieb. Auch muss im Nachgang meist noch eine Abdichtung und die endgültig tragende Schale aus Ortbeton eingebaut werden.

Und wie sieht das bei einer Tunnelbohrmaschine aus?

Diese hat eine höhere Vortriebsleistung und ist damit schneller. Der endgültige Ausbau wird direkt während des Vortriebs hinter der Maschine installiert, indem einzelne Betonfertigteile – die sogenannten Tübbinge – zu geschlossenen Ringen verbunden werden. Auch in wasserhaltigen Gebirgsformationen kommen Tunnelbohrmaschinen gut klar. Andererseits sind aufgrund der hohen Investitionskosten der Vortriebsmaschine bei kurzen Tunneln die Kosten höher als beim konventionellen Vortrieb. Bei langen Tunneln verschieben sich Kosten und Nutzen hingegen zugunsten des maschinellen Vortriebs. Allerdings kann nur kreisrund gebohrt werden und man ist für die ganze Strecke auf das einmal gewählte Bohrschild festgelegt und damit weniger flexibel bei unerwarteten Gebirgsänderungen.

Apropos Gestein: Welche Rolle spielt die Geologie?

Das Gestein gibt das Konzept und die Sicherungsmaßnahmen vor und legt damit letztlich die Vortriebsmethode und die Kosten fest. Bei hartem Gestein, Granit etwa, kann es beim konventionellen Vortrieb zu Erschütterungen beim Sprengen kommen. Dafür ist der Verschleiß bei der Tunnelbohrmaschine höher, wenn sie sich durch Hartgestein arbeitet. Hingegen muss bei lockerem Boden, wie Sand, insbesondere beim konventionellen Vortrieb auf die Standsicherheit der Baustelle geachtet werden. Instabilitäten können Einbrüche und damit Setzungen verursachen, die dann zu Rissen in Gebäuden führen können.

Wie lange dauert der Bau eines Tunnels?

Das ist ganz unterschiedlich. Beim Molldietetunnel vielleicht zwischen zweieinhalb und drei Jahren. Danach dauert es wegen der Ausrüstung des Tunnels noch gut ein weiteres Jahr bis zur Inbetriebnahme.

Und was kostet ein Tunnel?

Grob kann man pro Meter zwischen 15000 und 20000 Euro rechnen. Beim Molldietetunnel mit einer Länge von 3,6 Kilometern sind das hochgerechnet zwischen 50 und 70 Millionen Euro. Dazu kommen etwa 20 Prozent für die Planung und vielleicht 30 Prozent für zusätzliche Maßnahmen. Macht insgesamt 75 bis 105 Millionen Euro.

Professor und Berater

Martin Ziegler (62, Foto: privat), ist seit 2000 Inhaber des Lehrstuhls für Geotechnik im Bauwesen an der RWTH Aachen University . Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört der Tunnelbau. Ziegler ist außerdem Vorstandsvorsitzender der Studiengesellschaft für Verkehrsanlagen und Tunnel (Stuva) sowie geschäftsführender Gesellschafter der Ziegler und Aulbach Ingenieurgesellschaft mbH mit Sitz in Aachen, die beratend im Tief- und Tunnelbau tätig ist.

Regierungspräsidium Tübingen ist jetzt am Zug

Der Bundesverkehrswegeplan weist zahlreiche Maßnahmen auf, die in den Zuständigkeitsbereich des Regierungspräsidums (RP) Tübingen fallen. Auf SZ-Anfrage heißt es aus dem RP: „Bei einigen dieser Projekte laufen bereits die Planungen.“ Jedoch würden es die vorhandenen Planungskapazitäten nicht erlauben, auch bei allen anderen Projekten sogleich mit der Planung zu beginnen. Zudem erscheint es laut RP fraglich, ob der Bund genügend Finanzmittel zur Verfügung stellt, sodass alle Maßnahmen zeitnah umgesetzt werden können. Zur Veranschaulichung: Allein die Projekte im vordringlichen Bedarf (Regierungsbezirk Tübingen) haben ein Kostenvolumen von etwa 1,58 Milliarden Euro – was auf 15 Jahre verteilt durchschnittlich rund 105 Millionen Euro Bundesmittel pro Jahr nur für Bedarfsplanmaßnahmen bedeuten würde. Stand heute bekommt das RP vom Bund jährlich aber nur etwa 60 Millionen. „Deshalb dürfte das Thema Planungspriorisierungen in den nächsten Monaten auf die Tagesordnung kommen“, lässt das RP verlauten. Schwierig sei es außerdem, geeignetes Fachpersonal für die Straßenbauverwaltung zu rekrutieren – und gerade bei der Planung würden Experten gebraucht. „Die jährlich 50 zusätzlichen Stellen für die Straßenbauverwaltung, die landesweit bis 2018 geschaffen werden, werden wir verstärkt in der Planung ansiedeln“, so das RP.