StartseiteRegionalOberschwabenRavensburgDer Ruten-Krauss und vierte Strophe des Heimatliedes

Heimatlied

Der Ruten-Krauss und vierte Strophe des Heimatliedes

Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Er hat sie 1980 dazugedichtet, aber sie wird nicht gesungen – Das kränkt ihn ein wenig
Veröffentlicht:17.07.2019, 07:00

Artikel teilen:

Wo steckt Albrecht Krauss? „Gerade war er noch hier“, wundert sich eine Mitarbeiterin im Bruderhaus. „Jetzt ist er mit seinem Rollator sicher in der Altstadt unterwegs.“ Kreuz und quer verläuft die Such durch das historische herz von Ravensburg , aber der stadtbekannte Ruten-Krauss, von 1976 bis 2000 Vorsitzender der Rutenfestkommission und deren Ehrenvorsitzender, ist wie vom Erdboden verschluckt. „Ich hock’ halt gern im Café in der Stadt“, erzählt der nunmehr 85-Jährige gutgelaunt. Erst kürzlich hat er im Familienkreis diesen runden Geburtstag gefeiert, ist anderntags bei einem Treffen mit ihm in seinem schönen Erdgeschoss-Zimmer im Bruderhaus mit Blick in einen blühenden Garten, den er über alles liebt, zu erfahren.

Dort lebt er seit nunmehr zwei Jahren bestens betreut, wie er versichert, aber alles andere als zurückgezogen oder gar vereinsamt. Ganz im Gegenteil: Nach wie vor mobil, wenn auch etwas eingeschränkt, kontaktfreudig wie eh und je, leutselig, zieht es ihn fast jeden Tag geradezu magisch in seine Stadt. Um die hat er sich verdient gemacht wie nur Wenige und in deren Geschichte kennt er sich aus wie in seiner Hosentasche. Er kennt viele Leute und noch mehr kennen ihn. Da kommt keine Langeweile auf. Jede Woche schaut er auch bei der Sparkasse am Marienplatz herein, wo er früher der Chef war. „Die Kolleginnen und Kollegen freuen sich, wenn ich komme.“ Für viele Ravensburger war er der Inbegriff des kundennahen Bankers. Dabei hatte er gar keine Bankausbildung genossen, sondern war von der Ausbildung her Diplomverwaltungswirt. Als Wilfried Kretschmann Ehrengast beim Rutenfest war, hieß Albrecht Krauss ihn mit den Worten willkommen: „Grüß Gott Herr Kollege!“ Kretschmann stutzte. Der Gastgeber klärte ihn auf, man habe doch in Haigerloch die gleiche Ausbildung genossen.

Vom guten Geist in der Requisitenhalle, Martin Pfau, sagt er: „Der Martin ist einer meiner besten Freunde und unheimlich fleißig.“ Albrecht Krauss, zu dessen Verdiensten als RFK-Vorsitzender der Bau der Halle gehört, schaut auch dort öfter vorbei. Es schmerzt ihn natürlich, dass schon viele tüchtige Weggefährten von einst aus der Rutenfestkommission, aber auch Vorsitzende der anderen traditionellen oberschwäbischen Heimatfeste in Biberach und Friedrichshafen, mit denen er befreundet war, nicht mehr unter den Lebenden sind. Aber Trübsal bläst er deshalb nicht. So sei nun einmal der Lauf der Welt. Damit hat er sich längst abgefunden, aber nicht mit der Tatsache, dass die vierte Strophe des Ravensburger Heimatliedes, die er doch 1980 extra dazugedichtet hatte, partout nicht gesungen wird. Dabei hält er den Text für durchaus gelungen. Also das kränkt ihn, ehrlich! Dem Vorschlag, im nächsten, dem Altschützenjahr 2020 nicht nur einfach so beim Schützenzug der Altschützen in der Kutsche zusammen mit anderen Rutenfest-Veteranen Platz zu nehmen, sondern bei dieser Gelegenheit eine Art Protestplakätle mit besagter vierter Strophe unübersehbar mitzuführen und hochzurecken, findet er nicht so übel. Mitschießen auf der Kuppela, versteht sich, will er im nächsten Jahr auf alle Fälle. In diesem Jahr freut er sich auf den Rutenfestzug, den er selbstverständlich auf Tribünen-Platz Nummer eins in der Bachstraße verfolgen wird und den er früher so oft humorvoll kommentiert hat.

Von seinen Verdiensten um das Fest aller Ravensburger Feste zeugen verschiedene Urkunden an der Wand in seinem freundlichen Bruderhaus-Zimmer, auf die der Träger des Bundesverdienstkreuzes und der Ehrenmedaille der Stadt Ravensburg schon ein wenig stolz ist. Eine Urkunde erinnert an seine 15 Jahre als Vorsitzender des Oratorienchores Liederkranz. Der verstorbene Hans Renz hat ihm anlässlich seines 60. Geburtstages bescheinigt: „Im Liederkranz ist er Chef. Steht seinen Mann, obwohl er falsch singt und den Ton nicht halten kann.“

Wie stark Albrecht Krauss seit seiner Geburt im Elternhaus in der Ziegelstraße für den Weg an die Spitze der Rutenfestkommission vorgezeichnet war, das hatte August Schuler in einem Porträt über ihn bereits 2009 hingewiesen. Der Geburtstag des Ruten-Krauss am 26. Juni 1934 und die Geburtsstunde um 20 Uhr stimmten völlig überein mit dem Gründungstag und der Gründungsstunde der Rutenfestkommission am 26. Juni 1911 im Ratssaal des Rathauses. Vom Geburtszimmer hatte man direkten Blickkontakt zur Veitsburg und zum Mehlsack. Alles klar: Dieser Weg war einfach vorbestimmt!