Gesamtschülerzahl
Der Bildungs-Check: So steht es um die Schulen und Schüler in der Region
Ravensburg / Lesedauer: 8 min
Baden-Württemberg – Land der Akademiker und Hochbegabten? Landesweit steigt der Anteil der Schüler an der Gesamtschülerzahl, die mit dem Abitur ihre Schullaufbahn beenden, an. Ebenfalls nur eine Richtung kennt die Zahl der Kinder, die nach der vierten Klasse von der Grundschule auf das Gymnasium wechseln.
Die offiziellen Zahlen des statistischen Landesamts, die schwäbische.de ausgewertet und visualisiert hat, weisen jedoch auch zum Teil starke regionale Unterschiede im Bereich der Abiturquote auf. Erhoben wurden die Zahlen der Schüler an öffentlichen und privaten allgemeinbildenden Schulen im Südwesten. In den Städten Baden-Württembergs ist demnach die Abiturquote, gemessen an der Gesamtzahl der Schulabgänger, deutlich höher als im ländlichen Raum.
Unterschiede bei der Abiturquote
Während etwa im Schuljahr 2015/16 im Stadtkreis Ulm 42,9 Prozent aller Schulabgänger die Hochschulreife in der Tasche hatten, liegt die Quote im angrenzenden Alb-Donau-Kreis bei lediglich 19,3 Prozent.
Ein ähnliches Bild zeigt sich in den Städten Freiburg (44,5 Prozent), Stuttgart (40,0 Prozent) oder Tübingen (41,4 Prozent). Spitzenreiter mit einer Quote von 56,3 Prozent ist der Stadtkreis Heidelberg, Schlusslicht mit 18,8 Prozent der ländlich geprägte Zollernalbkreis.
Unabhängig von der Regionalstruktur zeigt die Analyse, dass im langjährigen Vergleich die Abiturquote insgesamt zugenommen hat. Den größten Sprung seit dem Schuljahr 2003/04 hat dabei der Landkreis Sigmaringen vollzogen – dort stieg die Quote von 17,8 auf 30,1 Prozent aller Schulabgänger - während früher also knapp jeder sechste Schüler Abitur machte, ist es heute fast jeder dritte. Deutliche Zuwächse gab es auch in den Kreisen Ostalb (+9,5 Prozent), Tuttlingen (+6,7 Prozent) und im Stadtkreis Ulm (+11,0 Prozent). Auch im Landesschnitt ging der Trend innerhalb des Untersuchungszeitraums deutlich nach oben – von 19,8 Prozent im Schuljahr 2003/04 auf 29,0 Prozent im Jahr 2016.
Ein statistisches Phänomen, für das Experten keine eindeutige Erklärung haben. Laut Rainer Wolf vom statistischen Landesamt in Stuttgart liege es nicht daran, dass die Kinder immer intelligenter seien. Vielmehr hält er es für möglich, dass das Potential der Schüler immer besser ausgeschöpft werde.
Es besteht die Möglichkeit, dass früher nicht alle Kinder, denen es vom Intellekt her möglich gewesen wäre, tatsächlich ein Gymnasium besucht haben.“
Möglicherweise ist der Trend hin zum Abitur auch mit den geänderten Anforderungen in der Berufsausbildung zu erklären. Der unter anderem von Bundesbildungsministerium geförderte „Bildungsbericht 2016“ benannte die Verschiebung der Qualifikationsstruktur als eines der zentralen Herausforderungen im Bildungswesen. Demnach habe bei den Arbeitgebern allgemein die verstärkte Nachfrage nach höher qualifizierten Schülern dazu geführt, dass in vielen Berufen das Abitur zur Basisqualifikation wird, heißt es dort.
Der Pisa-Schock zeigt Wirkung
Das baden-württembergische Kultusministerium kann das gestiegene Interesse am Gymnasium ebenfalls bestätigen. Wie eine Sprecherin im Gespräch mit schwäbische.de erläuterte, habe der Pisa-Schock zu Beginn des Jahrtausends alle aufgerüttelt. Das Bild vieler Eltern und Schüler habe sich verschoben, wonach der höchstmögliche Bildungsabschluss angestrebt wird.
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So sei erkennbar, dass die Bildungskarriere der Eltern auch auf den Nachwuchs übertragen werde. Zum einen spiele die Vorbildung des Elternhauses eine große Rolle, da diese sich auf die schulischen Leistungen des Kindes positiv auswirken könnten, so Wolf. Zum anderen seien Eltern mit höherer Schulbildung bestrebt, diese auch ihrem Nachwuchs zu ermöglichen – und Eltern mit höherer Schuldbildung fänden sich eben vermehrt in Universitätsstädten.
Am Beispiel des Alb-Donau-Kreises stellen die Experten zudem eine weitere Besonderheit fest. Viele dort beheimate Jugendliche nehmen verstärkt das Angebot der allgemeinbildenden und beruflichen Gymnasien im benachbarten Ballungszentrum Ulm wahr. Ebenfalls stark ins Gewicht fällt die geografische Struktur der Schulen. Am Beispiel des Hohenlohekreises zeigten die Statistiker eine weitere Besonderheit auf: Während sich die Gymnasien in den Orten konzentrieren, sind beispielsweise Realschulen besser auch in der Fläche der Region vertreten. Entsprechend, so Rainer Wolf, „wollen Eltern ihren Kindern die lange Wegezeit zum Besuch des Gymnasiums nicht zumuten.“
Übergangsquoten variieren stark
Entsprechend sind die Übergangsquoten von der Grundschule aufs Gymnasium in den Ballungszentren höher als in den ländlich geprägten Regionen. Über 68 Prozent aller Schüler wechselten im Schuljahr 2017/18 in Heidelberg nach der vierten Klasse auf das Gymnasium, in Stuttgart waren es 58,4 Prozent, in Freiburg 56,1 Prozent und in Ulm jeder zweite Schüler. Dagegen waren es in der Region um Tuttlingen 33,7 Prozent, im Kreis Biberach 36,3 Prozent.
Eine Besonderheit gibt es bei Schülern, die nicht in Baden-Württemberg wohnen, dort aber zur Schule gehen. Dies ist besonders im bayerischen Grenzgebiet der Fall. Wie das statistische Landesamt für das Schuljahr 2015/16 ermittelte, besuchten über 40 Prozent der Schüler aus anderen Bundesländern in Baden-Württemberg ein Gymnasium – dies wirkte sich auf Regionen wie den Ostalbkreis oder die Kreise Heidenheim, Alb-Donau, Biberach oder Ravensburg aus.
Den Run auf das Gymnasium noch verstärkt hat in den vergangenen Jahren der Wegfall der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung. Erstmals im Schuljahr 2012/13 angewandt, zählte beim Übertritt von der Grundschule auf eine weiterführende Schule seitdem primär der Wille der Eltern. Zwar müssen die Empfehlungen beim Übertritt seit Kurzem wieder vorgelegt werden, dennoch entscheiden die Erziehungsberechtigten nach wie vor selbst, welche Schule ihre Kinder ab der fünften Klasse besuchen.
Teilweise driftet die Zahl der von den Schulen ausgeschriebenen Empfehlungen und Zahl der tatsächlichen Übergänge auf das Gymnasium nach der vierten Klasse regional stark auseinander. Die Zahlen für das Schuljahr 2017/18 zeigen: In den ländlicheren Regionen werden trotz Empfehlung weniger Kinder aufs Gymnasium geschickt als in den Ballungszentren - dort wiederum werden gelegentlich sogar mehr Schüler auf dem Gymnasium unterrichtet, als die Zahl der Empfehlungen vermuten ließe.
Die größte Kluft ist hierbei in Stuttgart zu erkennen. Dort gingen zum Schuljahresbeginn im September 2017 5,1 Prozent mehr Kinder auf das Gymnasium, als die Zahl der Grundschulempfehlungen andeutete. Im Kreis Biberach dagegen ist das Bild umgekehrt, dort hatten zwar 44,8 Prozent der Schülerin der vierten Klassen eine Grundschulempfehlung für das Gymnasium erhalten, jedoch lag die Übergangsquote schlussendlich nur bei 36,3 Prozent. Die Differenz der Wertee liegt bei 8,5 Prozent, im Hohenlohekreisgar bei 10,6 Prozent. Geht man davon aus, dass auch hier Kinder trotz fehlender Grundschulempfehlung für das Gymnasium auf diese Schule wechselten, dürfte der tatsächliche Wert womöglich noch größer sein.
Auch hier spielen mehrere Faktoren eine Rolle, die durch den Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung noch verstärkt wurden. Im aktuellsten Bildungsbericht des Landesinstituts für Schulentwicklung in Stuttgart benennen die Experten allen voran das regional unterschiedlich ausgeprägte Bildungsangebot, die Verkehrsanbindung an den Schulstandorten, die Vorbildung der Eltern und die Chancen auf dem regionalen Arbeitsmarkt bei entsprechenden Bildungsabschlüssen.
In Regionen, in denen die Übergangsquote von Grundschule auf das Gymnasium geringer ausfällt, gibt es entsprechend höhere Übertrittsquoten auf die Realschulen. 43,1 Prozent der Schüler im Kreis Tuttlingen, die im Jahr 2017/18 die Grundschule verließen, wechselten auf eine Realschule. Im Alb-Donau-Kreis waren es 41,8 Prozent, während im benachbarten Stadtkreis Ulm lediglich 31 Prozent der Schüler auf eine Realschule wechselten. Immer unattraktiver werden dagegen Werkreal- und Hauptschulen: in nur wenigen Regionen im Südwesten liegen die Übergangsquoten im zweistelligen Prozentsatz.
So paradox es klingen mag - der in den letzten Jahrzehnten gewachsene Prozentsatz der Schüler, die nach der Grund- auf eine Realschule gehen, ist für Wolf ebenfalls auf das starke Interesse an beruflichen Gymnasien zurückzuführen. Denn gerade in den ländlich geprägten Regionen Baden-Württembergs werde die Hochschulreife häufig nach dem Besuch der Realschule an beruflichen Gymnasien erworben, so Wolf.
Aus dem Kultusministerium heißt es, dass speziell in ländlicheren Gegenden Haupt- und Realschulen einen guten Ruf genießen würden, eine gute Vernetzung vor Ort gegeben sei und die Kooperation mit größeren Unternehmen vor Ort die Akzeptanz der Schulformen steigere. Ähnlich argumentiert auch Rainer Wolf: „Die Aussichten, auch mit einem Realschulabschluss einen guten Arbeitsplatz in der Nähe finden zu können, sind hier recht gut.“ Neben der Weiterqualifikation an einem beruflichen Gymnasium sind also auch die Realschulabschlüsse an sich gefragt und beliebt.
Nach dem Abitur zieht es allerdings auch immer mehr Abiturienten ins Handwerk . Im Jahr 2017 hatten 14,2 Prozent aller Auszubildenden im Bereich der Handwerkskammer Ulm zuvor das Abitur erworben. Während die Abiturquote beispielsweise im Ostalbkreis nur 10,8 Prozent betrug, registrierten die Verantwortlichen für den Landkreis Biberach eine Quote von 19,9 Prozent - auch im Bodenseekreis ist die Quote mit 18,2 Prozent so hoch wie nie.
Wir sehen, dass viele Schülerinnen und Schüler nach dem Abitur genug von trockener Theorie haben“
begründet Hauptgeschäftsführer Tobias Mehlich den kontinuierlichen Anstieg innerhalb der vergangenen Jahre. Bis 2020, so Mehlich, wolle man eine Quote von 15 Prozent erreichen.
Zwar prognostizieren die Statistiker bis zum Jahr 2021 einen leichten Rückgang der Schülerzahlen, der jedoch danach aufgrund starker Geburtenzahlen und der hohen Zuwanderung in den Südwesten abgemildert werden wird. Bis 2025 sollen an Gymnasien demnach gut drei Prozent mehr Schüler unterrichtet werden als derzeit, auch an Gemeinschaftsschulen rechnet man mit deutlichen Zuwachsraten. Weiter nach unten gehen dürften laut den Experten die Schülerzahlen an Werkreal- und Hauptschulen.