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Kreissporthalle

Wie der Alltag der ukrainischen Flüchtlinge in der Leutkircher Halle aussieht

Leutkirch / Lesedauer: 6 min

In der Leutkircher Kreissporthalle leben rund 200 Flüchtlinge – So wird ihr Alltag organisiert
Veröffentlicht:22.09.2022, 15:00

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Dafür, dass fast 200 Leute hier wohnen, ist es morgens um 11 Uhr in der Kreissporthalle an der Geschwister-Scholl-Schule erstaunlich ruhig. Ein Junge trägt ein Deutschland-T-Shirt und spielt einen Ball an die Wand. Wo sind denn alle? Joachim Rogosch, Leiter des fünfköpfigen DRK-Teams, das sich um die Behelfsunterkunft für geflüchtete Ukrainer in Leutkirch kümmert, weiß es: „Ein paar schlafen, ein paar sind in der Stadt, im Kleiderladen, auf den Ämtern oder beim Arzt, die Kinder noch nicht in den Schulen und der Rest unterwegs.“

Stressiger Start

Vor der Halle ist derzeit niemand, dafür ist es zu kalt. Er selbst hat eigentlich gar keine Zeit fürs Gespräch mit der „ Schwäbischen Zeitung “, eine Teamsitzung mit seinen Kollegen steht an. Vieles muss besprochen werden, „wir sind ja noch ganz am Anfang und es muss erst einmal anlaufen“, so Rogosch.

Läuft alles reibungslos? „Nein, aber dafür, dass neben der GSS ein neuer – vorübergehender – Ortsteil von Leutkirch mit 180 Bewohnern aus dem Boden gestampft wurde, muss man dankbar sein, wie alles funktioniert.“

Kein W-LAN-Anschluss

Jetzt geht es erst einmal um die Heizung, genauer die Lüftung, die nachts einfach anspringt – „das muss der Hausmeister vom Computer aus steuern“. Es geht an diesem Montagmorgen auch ums Essen – und um die Kleider- und Schuhspenden im Flur – „wir wollten eigentlich bloß Fußballschuhe und jetzt haben wir vieles, was wir sortieren müssten“.

Und es geht um den immer noch fehlenden W-LAN-Anschluss. „Das bräuchten die Leute hier ganz dringend, für den Kontakt nach Hause, die Nachrichten und so weiter. Manche Kinder können nämlich online am Unterricht in Kiew teilnehmen.“ Niemand verstehe, warum ein namhafter Internetanbieter das nicht schneller regeln könne. Fast drei Wochen warte man schon.

Da erscheint das Problem mit dem Kühlschrank, der Medikamente für ein zuckerkrankes Kind und nicht Berge von Lebensmitteln kühlen soll, fast harmlos. Und dann sind es kleine und größere Koordinationen, die anstehen, wie etwa die Einteilungen der Ehrenamtlichen bei Sport- und Freizeitangeboten. Und natürlich die wichtigen Termine, wie ein Arzt- oder Schulbesuch. Zum Glück hat sich Melanie Narr als Helferin gemeldet. Sie ist Krankenschwester und allein schon deshalb „Gold wert“, wie Rogosch es ausdrückt.

„Friedlicher als vor sieben Jahren“

Es sind Frauen und Kinder aus Mariupol, Donezk und Luhansk, Saporischschja und weiteren Orten der Ukraine hier. „Die Menschen leben auf engstem Raum“, weiß Rogosch, „trotzdem kommen bislang alle gut miteinander zurecht.“ Das findet auch Steffi Hutter , die bereits 2015, als viele Flüchtlinge kamen, im Team mitgearbeitet hat. „Es ist viel friedlicher als vor sieben Jahren“, sagt sie, „damals sind einfach zu viele unterschiedliche Kulturen aufeinandergeprallt.“ Zeit für ein kurzes Interview hat auch sie kaum. Die Anweisungen für die tägliche Durchsage übers Mikrofon warten.

 Kinder beim Kartenspielen

Was wird da auf ukrainisch verkündet? „Heute zum Beispiel Geldangelegenheiten, zum Beispiel, wo es Geld gibt und auch, dass alle ab jetzt ihre Dinge, die sie für den täglichen Gebrauch möchten, selbst zahlen müssen“, so Hutter.

Sprache als Hauptproblem

Der Mann, der kurz darauf ins Hallenmikro spricht, ist Vlad, ein Ukrainer. Deutsch kann er nicht, aber dafür gibt es zum Glück „Johann“ – wie ihn hier alle nennen – Erhardt aus Bad Wurzach. Dass in seinem Pass „Ivan“ steht, wissen hier auch alle. Er ist Russlanddeutscher mit ukrainischen Wurzeln, lebt mit seiner Familie schon viele Jahre im Allgäu und kann alle drei Sprachen. Jetzt ist er täglich da, übersetzt, was das Zeug hält und geht auch mit zum Arzt.

Die Sprache ist das Hauptproblem.

Joachim Rogosch

Sogar seinen Schwiegersohn hat er letzte Woche mitgebracht. „Der hatte gerade Urlaub und war dann jeden Tag im Einsatz.“ Ein Riesenglück für die Ukrainer und auch fürs Team. „Denn die Sprache“, so Rogosch, „ist das Hauptproblem“. Er selbst bemüht ab und zu den Google-Übersetzer, „das funktioniert bei Kleinigkeiten ganz gut.“ Die meisten Bewohner kommen aus ukrainischen Städten, in denen allenfalls noch russisch gesprochen werde.

Englisch könne kaum jemand. „Auch für die Schulkinder ist das ein Problem“, weiß er. Eine große Aufgabe sei derzeit, die Kinder in den entsprechenden Schulen und Kindergärten unterzubringen, in denen sie auch passende Angebote erhalten können. Dazu komme, „dass die Integrationsklassen großenteils bereits alle voll“ seien.

Personal gesucht

Über das große ehrenamtliche Engagement der Leutkircher freut sich auch Jörg Kuon, Geschäftsführer beim DRK-Kreisverband, und damit Hauptverantwortlicher für die Halle. Trotzdem bitten er und sein Team um Verständnis, dass alles erst zeitlich organisiert werden müsse. Jeder könne Vorschläge machen. „Aber wir können noch gar nicht alle Angebote abrufen.“ Außerdem fehle noch Personal. Am dringendsten gesucht werde gerade jemand, der das Ehrenamt koordinieren kann. Eine 40-Prozent-Stelle ist dafür vorgesehen, bestenfalls jemand aus Leutkirch, der die Leutkircher kennt.

Positiv sieht Kuon, „dass das Amt für Migration, die Gemeinde, Schulen, Organisationen und die Vereine erfreulich gut zusammenarbeiten“. Da kann Rogosch nur zustimmen. „Dafür, dass bürokratische Regelungen die Arbeit manchmal erschweren, kann vor Ort niemand etwas.“

Warteschlange an der Essensausgabe

Ein paar Frauen stehen vor der Stromzapfstelle zusammen und unterhalten sich, während sie ihre Handys laden und ein paar Kleinkinder zum Ballspielen anregen. Zwei holen sich einen Besen. „Die meisten Reinigungsdienste organisieren die Bewohnerinnen selbst, soweit dies nach deutschen Hygienevorschriften erlaubt ist“, erklärt Rogosch. Eine Viertelstunde später bildet sich hier eine Schlange, alle warten auf die Essensausgabe, die von den Maltesern organisiert wird, alles abgepackt in Aluformen – anders geht es derzeit nicht wegen der Hygienevorschriften im Corona-Zeitalter.

Eine Küche gibt es in Sporthallen ja bekanntlich nicht. „Dafür gibt es eine Möglichkeit, die Corona-Fälle auszuquartieren“, erzählt der Leutkircher. Die Besucherzimmer, die der FC Leutkirch am unweit gelegenen neuen Stadion zur Verfügung gestellt hat, werden dankbar angenommen. „Eine Frau, die eines dieser Zimmer bezogen hat, weinte, weil sie seit Monaten zum ersten Mal wieder allein und ungestört in einem Raum schlafen kann.“

Im Unterschied zu vielen Flüchtlingen, die hier vor sieben Jahren gewohnt haben, wünschen sich alle, dass sie die Notunterkunft so bald wie möglich verlassen und nach Hause gehen können. „Immer wieder geht jemand“, so Rogosch, „zur Verwandtschaft irgendwo hin oder nach Polen.“ Neue Bewohner werden demnächst erwartet. Ein Mädchen in der Essensschlange trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Better at home“. Wann sich dieser Wunsch für sie erfüllen kann, weiß derzeit allerdings niemand.