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Chancenungleichheit

Was zwei Frauen davon halten, dass am Weltfrauentag Rosen verschenkt werden

Leutkirch / Lesedauer: 6 min

Leutkirchs Integrationsbeauftragte Maria Söllner und Petra Lutz vom Verein „Frauen und Kinder in Not“, Beratungsstelle Wangen, sprechen zum Weltfrauentag über die aktuelle Situation der Frauen.
Veröffentlicht:04.03.2021, 18:00

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Leutkirchs Integrationsbeauftragte Maria Söllner und Petra Lutz vom Verein „Frauen und Kinder in Not“ in Wangen sprechen anlässlich des Weltfrauentags am Montag, 8. März, über die Themen Frauenrechte, Chancenungleichheit und Gewalt. Das Interview hat die Stadt Leutkirch geführt.

Wie wirkt sich aus Ihrer Sicht die Corona-Pandemie auf Frauenrechte aus?

Söllner: Die Pandemie hat uns immer noch voll im Griff. Die Grenzen zwischen Leben und Arbeit verschwimmen wieder mehr und das veränderte Leben kostet uns alle (noch mehr) Kraft. Der Lockdown zeigt bereits zum zweiten Mal, dass insbesondere die Frauen mit einer höheren Arbeitsbelastung zu kämpfen haben. Viele Frauen arbeiten parallel, versorgen Kinder und/oder pflegebedürftige Angehörige, übernehmen häusliche Aufgaben und haben kaum Zeit für sich und ihre Selbstfürsorge. Die Soziologin und Professorin Allmendinger geht sogar so weit zu sagen: „Diese Pandemie und die Situation für arbeitende Mütter wirft uns gleichstellungspolitisch um Jahre zurück.“

Und welche Auswirkungen erleben Sie vor Ort?

Söllner: Eine Leutkircherin, Unternehmerin und Mutter erzählte mir: „Im letzten Monat musste ich aufgrund von Corona mein Geschäft aufgeben. Aktuell bin ich wieder Hausfrau und hauptsächlich für meine Kinder zuständig. Vor meiner Geschäftsschließung lastete die pandemiebedingte Mehrarbeit und Doppelbelastung mehr auf meinen Schultern als auf denen meines Mannes.“

Wie ist der Weltfrauentag entstanden?

Söllner: Ursprünglich wurde der Internationale Frauentag/Weltfrauentag von den Sozialdemokratinnen Clara Zetkin und Käte Duncker 1911 ins Leben gerufen. Neben dem Frauenwahlrecht forderten die Aktivistinnen Anfang des 20. Jahrhunderts bessere Arbeitsbedingungen für erwerbstätige Frauen. Auch wenn vieles in der Zwischenzeit besser geworden ist, gibt es gerade bei der Bezahlung immer noch gravierende Unterschiede zwischen Männern und Frauen.

Der Grundgedanke des Weltfrauentages sollte auf die immer noch bestehenden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern gerichtet werden. Auf diese Ungleichheit sollte allerdings nicht mit Präsenten, die eine sexistische Einstellung unterstützen – wie Rabattcodes für Putzmittel, Küchengeräte, Windeln oder auch das Verteilen von Rosen – aufmerksam gemacht werden. Bis heute engagieren sich Frauen vieler Länder am Internationalen Frauentag gemeinsam für ihre Rechte: Chancengleichheit im Erwerbsleben, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Verbesserung der Situation von Migrantinnen, Kampf gegen Gewalt an Frauen und gegen Zwangsprostitution oder Frauenhandel.

Zum Weltfrauentag werden gerne Rosen oder andere Blumen verschenkt. Was halten Sie davon?

Söllner: Die Rose fühlt sich für mich wie ein Tätscheln über den Kopf an. Es sollte aber eher der Fokus auf die weltweiten Missstände und Chancenungleichheiten von Frauen gerichtet werden, denn Alleinerziehende brauchen zum Beispiel mehr Geld und Unterstützung und keine Rosen. Laut einer Bertelsmann-Studie hängt die Kinderarmut in Deutschland ganz wesentlich mit der Armut von Alleinerziehenden zusammen.

Auch was Online-Gewalt angeht sind weltweit Frauen und Mädchen 27 Mal häufiger betroffen als Männer, wie aus einem Bericht der UN Broadband Commission for Digital Development hervorgeht. Auch ist es mir wichtig darauf hinzuweisen, dass die schädlichen Auswirkungen von Chancenungleichheit für viele Frauen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihres Alters, einer Behinderung, ihrer sozialen Herkunft, Religion oder anderer Faktoren meist noch verstärkt werden.

Lutz : Ich sehe den Internationalen Frauentag als wichtigen Tag an, um auch auf die Gewalt an Frauen hinzuweisen. Gewalt darf keine gesellschaftliche Normalität sein. Es ist wichtig, dass sich Frauen auch stellvertretend für Gewaltbetroffene und für Gleichberechtigung und Gewaltfreiheit stark machen. Das hat Einfluss auf die Selbstwahrnehmung der Betroffenen und auf das Umfeld und kann Veränderungen anstoßen. Frei leben ohne Gewalt ist ein Menschenrecht. Natürlich können Blumen aber ein Zeichen von Wertschätzung und Anerkennung sein, wenn sowohl Sender oder Senderin als auch Empfänger oder Empfängerin dies so sehen.

Was haben die Bedingungen der Beschäftigten in der Blumen- und Pflanzenindustrie mit Frauenrechten, Gleichberechtigung und dem Weltfrauentag zu tun?

Söllner: Die Hälfte der Beschäftigten sind Frauen und sie sind als Pflückerinnen auf den Plantagen tätig. Die Bedingungen auf konventionellen Blumenfarmen sind besonders für Frauen widrig: Etwa 80 Prozent der in Deutschland verkauften Schnittblumen kommen aus Anbauländern des globalen Südens, vor allem aus Ostafrika. Für viele Frauen gehören schlechte Bezahlung, sexuelle Belästigung und Diskriminierung dort zum Alltag.

Wie könnte diese Situation verbessert werden?

Söllner: Mit dem Verkauf von „Fairtrade-Blumen“ werden Beschäftigte mit den Fairtrade-Standards geschützt. Sie erhalten feste Arbeitsverträge, eine einheitliche Bezahlung von Frauen und Männern bei gleicher Tätigkeit und soziale Regelungen wie Mutterschutz werden garantiert. Die Große Kreisstadt Leutkirch im Allgäu strebt dieses Jahr den Titel „Fairtrade-Town“ an. Das Ziel ist es, den fairen Handel in der Region weiter auszubauen und sich mit engagierten Personen, Vereinen und Unternehmen zu diesem Thema besser zu vernetzten.

Mit dem Verschenken von Fairtrade-Blumen verbessert sich ein kleines bisschen das Leben für einige Frauen im globalen Süden, jedoch braucht es für wirkliche Chancengleichheit natürlich ganz andere Wege. „Wenn ich mir für den Weltfrauentag neben Blumen etwas wünschen könnte, würde ich mir mehr Gleichberechtigung und mehr Unterstützung für Frauen wünschen. Und aktuell wünsche ich uns allen, dass wir gesund bleiben,“ sagte mir kürzlich eine Leutkircherin.

Online-Tipps zum Thema „Frauen“

Wer sich mit der Thematik weiter befassen möchte, für den könnten laut der Stadt Leutkirch folgende Veranstaltungen interessant sein:

Online-Training: „Für mehr Zivilcourage im Netz“: In diesem Love-Storm Training am Montag, 8. März, 17 Uhr, lernen die Teilnehmenden, wie sie gemeinsam Hasskommentaren im Internet effektiv entgegentreten können. Schwerpunkt des Trainings ist ein Rollenspiel. Dort werden verschiedene Strategien erklärt, um sexistischer und antifeministischer Hetze im Netz zu begegnen. Für das kostenlose Training ab 16 Jahren sind keine Vorkenntnisse erforderlich. Anmeldung unter: https://app.love-storm.de/trainings

Online-Vortrag: „Corona: Krise der Frauen?“: Referentin Marlene Haupt, Professorin für Sozialwirtschaft und Sozialpolitik und Gleichstellungsbeauftragte an der Hochschule Ravensburg-Weingarten, spricht am Montag, 8. März, 19 bis 20.30 Uhr, unter dem Titel „Internationaler Frauentag: Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück – Corona: Krise der Frauen?“. Eine Anmeldung ist erforderlich unter www.ravensburg.de/rv/veranstaltungen/?id=15928

Podcasts zu „Weiblichkeiten“ mit Katharina Debus sind zu finden unter www.dissens.de/podcast. Podcast zu den Themen Schule und Geschlecht, „Jungs sind klug und Mädchen fleißig?“, gibt’s unter https://mosaik-deutschland.de (sz)