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Vergammelte Lebensmittel: Ekelfleisch wird ein Fall für Strafkammer

Bodenseekreis / Lesedauer: 4 min

Vergammelte Lebensmittel: Ekelfleisch wird ein Fall für Strafkammer
Veröffentlicht:26.02.2013, 18:10

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Selber Sschuld: Hätte ein angeklagter Landwirt aus dem Bodenseekreis einen Strafbefehl akzeptiert, wären seine vom Veterinäramt aufgedeckten Verstöße gegen das Lebensmittelgesetz unterm Teppich geblieben.

Sein Einspruch gegen den Strafbefehl hingegen führten nicht nur zu einem Tettnanger Richterspruch, sondern am Dienstag auch ans Landgericht. Und damit wurden Zustände rund um stark verdorbenes Fleisch, teils mit grünen Schimmel überzogen, nochmals in die breite Öffentlichkeit getragen.

Oberstaatsanwalt Inselsberger spricht gegenüber der SZ von „Skandal“. Einen öffentlichen zu vermeiden, das ist bekundetermaßen Intention von Vorsitzendem Richter Schall. „Die Justiz hat versucht, dem Angeklagten den höchstschädlichen Auftritt angesichts ekelerregender Dinge in der Öffentlichkeit zu ersparen“, sagte der Richter. Der angeklagte Landwirt, wenig einsichtig und deshalb in die Berufung gegangen, erkannte hinter den Vorhaltungen indes nur „große Theatralik“. Von Gammelfleisch und verdorbener Ware könne keine Rede sein, nur das Haltbarkeitsdatum sei abgelaufen gewesen. Im übrigen verlangte er vom Vorsitzenden Richter einen Ausweis: Damit sich der Vertreter Justitias überhaupt als Richter legitimiere.

Was war passiert? Das Veterinäramt des Bodenseekreises hatte im Herbst 2011 den Betrieb, der für Supermärkte in der Region hauptsächlich Fleisch, aber auch Obst, Milch oder Butter liefert, kontrolliert. Gleich zwei Mal sogar. Dabei fanden die Lebensmittelkontrolleure große Mengen abgelaufener Ware. Freilich, sie war nicht nur abgelaufen. Sie war teils schon vergammelt, auf jeden Fall aber ekelig und nicht mehr zum Essen geeignet. Im Kühllager und in Kühltruhen entdeckten die Kontrolleure, so bilanzierte Richter Schall, „zahlreiche Verpackungen stark verdorbener Ware, teils schon mit grünem Schimmel überzogen.“ Letztendlich wurden an die 200 Kilo Lebensmittel aus dem Verkehr gezogen.

"Ich lebe von der abgelaufenen Wurst"

Für den als Zeugen auftretenden Amtstierarzt als Chefkontroller besonders auffällig: Die verdorbenen beziehungsweise abgelaufenen Lebensmittel machten nicht nur rund die Hälfte des gesamten Warenbestandes des „Lebensmittelfrischdienstes“ aus, die Ware war teils auch schon lange nicht mehr verkehrsfähig. Da ging es nicht nur um Tage und Monate, da waren teils schon Jahre ins Land gezogen. Warum sie (in der Regel) zwar eingefroren aber nicht entsorgt wurde, im Gerichtssaal konnte dies nicht geklärt werden. Nur eines: „Ich lebe von der abgelaufenen Wurst“, sagt der Angeklagte auf die Richterfrage, von was er lebe, wenn sein Betrieb zwar einen Jahresumsatz von 150 000 Euro erwirtschafte, unter Strich aber nichts hängen bleibe. „Man kann abgelaufene Wurst nach zwei Wochen immer noch essen“, sagte der hochverschuldete Junggeselle, der seit gut und gerne zehn Jahren versucht, über die Selbstständigkeit und den Betriebsaufbau auf einen grünen Zweig zu kommen.

Innerhalb der Beweisaufnahme im Gerichtssaal wurde offensichtlich, dass der Angeklagte zwar keine verdorbene Ware verkaufen wollte, eines Vergehens gegen das Lebensmittelgesetz hatte er sich aber dennoch schuldig gemacht. Damit, dass frische und abgelaufene beziehungsweise verdorbene Ware durchmischt wurde. Konkret: Hier wurde frisches Fleisch abgepackt, (nicht weit) daneben schimmelte ein anderes Lebensmittel vor sich hin, lag ranzige Butter oder sorgte nicht mehr genießbare Milch für Nasenrümpfen. „Lebensmittel sind auf allen Stufen vor Kontamination zu schützen“, zitierte der Tierarzt im Zeugenstand das Lebensmittelgesetz. „Im aktuellen Fall war schon die Stufe der Produktion betroffen.“

Berufungen werden eingestellt

Die Beweisaufnahme mittels fotografiertem Ekelfleisch, verdorbener Wurst und angeschimmeltem Käse lieferte tiefe Einblicke in den Alltag des Lebensmittelservices. Damit die Einblicke nicht zu tief wurden, „der Angeklagte in der Öffentlichkeit nicht zu sehr an den Pranger gestellt wird“, zog Richter Schall als Vorsitzender der Kleinen Strafkammer die Notbremse: Er empfahl dem Angeklagten wie Staatsanwalt Inselsberger die Rücknahme ihrer Berufungen. Was dann auch so geschehen ist. Staat und Landwirt teilen sich die Kosten des Berufungsverfahrens, letzterer muss nun doch die von der Tettnanger Amtsrichterin verhängten Tagessätze (50 a 30 Euro) bezahlen – und die Öffentlichkeit weiß, dass auch Gammelfleisch-Geschichten durchaus nur mit einem Strafbefehl geahndet werden können.