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Weltgegend

Wer bin ich und wenn ja woher

Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Preisgekrönte junge Theaterautoren schreiben über ihre Wurzeln im Ausland, über Heimat und die Suche danach
Veröffentlicht:17.10.2013, 22:43

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So unterschiedlich die Weltgegenden auch sind, aus denen es ihre Väter und Großväter nach Deutschland verschlagen hat, so vergleichbar ist der Lebensweg, den sie in der neuen Heimat einschlugen. Maria Milisavljevic, Marianna Salzmann, Azar Mortazavi und Mario Salazar sind Kinder aus Familien, in denen Diktaturen, Kriege und der Neuanfang in einem anderer Kulturkreis Spuren hinterlassen haben. Alle vier wuchsen in Deutschland auf, sind heute um die 30 Jahre alt, haben bedeutende Literaturpreise gewonnen und schreiben Theaterstücke, in denen sich ihre Herkunft spiegelt.

Maria Milisavljevic (31) etwa hat mit ihrem in diesem Tagen am Deutschen Theater Berlin uraufgeführten „Brandung” einen Thriller um eine verschwundene junge Frau geschrieben, den man wie ein Drehbuch für einen Vorabendkrimi lesen kann. Sie bewegt sich aber immer wieder in derart schön fremden Sprachbildern, dass man die Gegend zu riechen meint, aus der die drei Figuren ihres Stücks stammen: Kroatien, der Landstrich am Mittelmeer, aus dem Milisavljevics Großvater im zweiten Weltkrieg als Kriegsgefangener nach Deutschland kam. Sie selbst wurde im westfälischen Arnsberg geboren und hat mit „Brandung” dieses Jahr nicht nur den begehrten Kleist-Förderpreis für junge Dramatik gewonnen, sondern arbeitet derzeit auch als Autorin und Dramaturgin am renommierten Tarragon-Autorentheater im kanadischen Toronto. Ein ziemlich interessanter Weg für eine junge Deutsche mit kroatischen Wurzeln, die zu Protokoll gibt: „Wer im Sauerland sagt, er will zum Theater, der kann genauso gut sagen, ich werde Astronaut.”

Die Atmosphäre einer melancholischen, immer wieder aber auch ganz entschiedenen Suche nach dem, was die Identität eines Menschen ausmacht, ist der Punkt, an dem Maria Milisavljevic sich mit Azar Mortazavi (29) trifft. Die kam im Rheinland-Pfälzischen Wittlich zur Welt, gewann 2010 mit ihrem Theatertext „Todesnachricht” den Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreis, wurde mit dem Folgestück „Ich wünsch mir eins” zu den Mühleimer Theatertagen eingeladen und in der Kritikerumfrage des Fachmagazins Theater heute mehrfach zur Nachwuchsautorin des Jahres gewählt. In beiden Theatertexten stehen eine junge Frau und die Frage im Raum: Wer bin ich und was macht diese fremde, unerklärliche Herkunft mit mir, jetzt, da ich mich in meinem Geburtsland genauso gut oder schlecht fühle wie im Land meines Vaters – könnte ich dort nur hin. Mortazavi ist die Tochter eines Iraners und einer Deutschen, ihre Protagonistinnen sind starke Frauen. In „Todesnachricht” distanziert eine Tochter sich von ihrer deutschen Mutter und sehnt sich nach dem abwesenden Vater. Er soll sich in einem arabischen Land aufhalten.

Mortazawi verhandelt ihr migrantisches Erbe schonungslos ehrlich. Gleichzeitig zeigt die deutsch-iranische Autorin, welche Bereicherung es für die Bundesrepublik sein kann, wenn sie ihre Grenzen nicht verbarrikadiert.

Dasselbe gilt für Mario Salazar (33), der in der DDR zur Welt kam, als Holzfäller und Tierpfleger arbeitete, und in Leipzig sowie Santiago de Chile studierte. Dorther stammt sein Vater. Er flüchtete vor den Schergen des chilenischen Diktators Pinochets, lernte in Ost-Berlin die Mutter seines Sohnes kennen und musste dann zurück nach Chile. Dass er Vater geworden war, erfuhr er nicht. Salazar wuchs bei seiner Mutter auf, schreibt derzeit am fünften Stück und kann in diesen Wochen eine Reihe von Uraufführungen genießen. In Heidelberg gab es mit „Alles Gold was glänzt” eine Familiengroteske und ein ganz anderes Beispiel dafür, wie zerklüftete Familiengeschichten sich in Theatertexten niederschlagen können. Bei Salazar gleicht die kleine Familienwelt einem kosmischen Chaos. Man hat den Eindruck, der verlorene Sohn eines chilenischen Migranten sei mit seinen Stücken noch auf der Suche nach seinem Platz in dieser Welt.

Wenn dem so ist, ergeht es ihm etwas anders als Marianna Salzmann (28), die 1995 mit der Familie von Moskau nach Deutschland emigrierte, an der Universität Hildesheim szenisches Schreiben studierte und spätestens seit letzter Spielzeit wie ein Komet am Himmel der schreibenden Zunft leuchtet. Sie ist eine Autorin hintergründig witziger Dialoge und auch bei ihr geht es immer um die Herkunft und das undurchschaubare Familienerbe. Die Tochter eines dreiköpfigen Frauenhaushaltes in „Muttersprache Mameloschn” etwa beschließt ihre Mutter und Großmutter in Richtung New York zu verlassen. Sie muss mal weg, um sich selbst zu begegnen. Marianna Salzmann dagegen ist vorerst angekommen. Ihre neue Adresse: Das deutsche Theater, Bühneneingang.