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Ausstellung „in situ“: Die eigene Vorstellungskraft ist erwünscht

Leutkirch / Lesedauer: 4 min

Die Galerie im Torhaus eröffnet die Ausstellung „in situ“ von Andrea Eitel und Uli Gsell
Veröffentlicht:23.07.2019, 06:41

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Die Direktheit und Unmittelbarkeit macht beim ersten Anblick der Ausstellung „in situ“ ihren Reiz aus. Die Malerin Andrea Eitel aus Stuttgart und der Bildhauer Uli Gsell aus Ostfildern haben am Samstag ihre so betitelte Ausstellung in der Galerie im Torhaus eröffnet. Reger Besucherandrang und viel Interesse herrschte an den so verschiedenartig scheinenden Werkgruppen, denen Clemens Ottnad in seiner Einführung auf den Grund ging.

Beide Künstler hätten sich den Raum als Thema ergriffen und das auf durchaus unterschiedliche Weise, hielt Bürgermeisterin Christina Schnitzler in ihrem Grußwort fest. Bilder und Skulpturen stünden in einem Dialog zueinander, der dem Besucher beim Betreten der beiden Ausstellungsräume sofort ins Auge sticht. Trotz oder gerade mit dieser augenfälligen Verschiedenartigkeit gewählter Materialien und bildnerischen Aussagen. Kennen würden sich die beiden Künstler schon lange, nur ausgestellt hätten sie noch nie zusammen. Es war der besondere Wunsch von Andrea Eitel, deren Werk Galeriekreisleiter Otto Schöllhorn im vergangenen Jahr auf der Art Bodensee in Dornbirn auffiel. Während Tim Waizenegger mit seinem Marimbaphonspiel den Abend musikalisch bereicherte, bot die Einführung von Clemens Ottnad tiefe Einblicke in das Verständnis der Werkgruppen.

Was es mit dem Titel auf sich hat

Der Ausstellungstitel „in situ“ sei zunächst irreführend. Denn weder seien Gsells Steinblöcke an den jeweiligen Fundorten entstanden noch widerspiegelten Eitels Motive reale Gegebenheiten. Was so scheint wie Fotorealismus ist in Wirklichkeit Gesehenes, das Eitel malerisch umsetzt, ohne dass die Gegebenheiten in der Realität wiederauffindbar sind. Als Vorlage dienen ihr selbst gemachte Fotos meist urbaner Orte. Streng und auf ihren Wesenskern reduzierte Architekturen – mal menschenleer, mal bevölkert von Alltagsszenerien.

Ein junges, trendig gekleidetes Paar, das via Handy kommuniziert, oder die Wartenden in der gläsernen artifiziellen „Oase Flughafen“ sind optische Blickfänge. Die in Stuttgart lebende Künstlerin habe erst in den späten 1990er Jahren angefangen zu malen. Selbst nennt sie sich Autodidaktin, deren Sujets die malerischen Mittel aus Farbe, Licht und Schatten betonen. Ihr „Times Square Brooklyn“ mutet wie für den Moment eingefangen an mit seiner Neonschrift und den reflektierenden Fassaden. Zwischen Schein und Sein, resümierte Ottnad, um das Thema Stillleben mit ins Spiel zu bringen. Par exemple ein an einen wuchtigen Pfeiler angebundener Putzwagen. Gesehen auf dem Berliner Hauptbahnhof, findet er sich jetzt auf dem Bild „Kontrast“ wieder, doch in einer räumlichen, ihn umgebenden Leere.

Quasi ohne Verortung, die für Eitel nicht von Interesse war. Ebenso wie der alte, auf einem Rollator sitzende rauchende Mann im orangefarbenen T-Shirt. Jedes kleinste Detail in diesem hell leuchtenden Bild ist erfasst – auch und vor allem der mürrische Blick gen Betrachter.

Viel Suggestionskraft und Sinnlichkeit

So wie Eitel die Technik des Realismus für ihre Malerei nutzt und sie damit alltäglichen Sujets eine übergeordnete Bedeutung zuweist, so sind Gsells behauene und beschliffene Steine ebenso aus ihrem Ursprung heraus gelöst und in einen neuen Kontext gerückt. Schwer falle es, die so präsentierten Kiesel und Flusssteine in der Natur wahrzunehmen, mutmaßte Ottnad. Blöcke aus Schiefer, Granit, Basalt oder Marmor weisen Spuren der Bearbeitung mit schwerem Gerät auf. Scharfkantige Grate, höhlenartige Durchblicke und poröse Strukturen wechseln sich ab. Teils sind glatte Flächen blattvergoldet, wodurch der Kontrast zwischen Naturbelassenem und Menschgemachtem noch deutlicher hervortritt. Archaisches im Sinne von Behausungen würden die Arbeiten reflektieren. Zeitspeicher und verstummte Zeugen, die wieder zum Sprechen gebracht würden, nannte Ottnad sie, um auf die Terrassierungen, Kammern und Durchblicke hinzuweisen.

Sie fänden sich in anderen, eben urbanen Ausprägungen auf Eitels Bildern wieder. Ein vergleichendes Sehen sei erlaubt und erwünscht bei der Entdeckung dieser Wunderkammern. Die eigene Vorstellungskraft ist gefragt angesichts der Direktheit dieser Werke, die „am Ort“ und damit „in situ“ so viel Suggestivkraft und Sinnlichkeit bieten.