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Als es noch evangelische und katholische Gäule gab

Isny / Lesedauer: 5 min

Erinnerungscafé der „Panorama-Partner“ in der Unteren Mühle zur „Mobilität in früheren Zeiten“
Veröffentlicht:06.04.2018, 18:18

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Das Projekt „Panorama-Partner“ soll die diesjährige „museumslose Zeit“ in Isny überbrücken und mit Erfahrungsberichten aus verschiedensten Lebensbereichen vergangene Jahrzehnte noch einmal lebendig werden lassen. Kürzlich waren es nun Erinnerungen an die frühere „Mobilität“, an einstige Fortbewegungs- und Transportmittel. Rund 20 ältere Isnyer kamen und füllten das Thema mit Leben.

Im Museum am Mühlturm gäbe es zwar viele Bilder und Fotos von Autos, Lastwagen, Kutschen, Motorrädern und landwirtschaftlichen Gerätschaften. „Aber wenn die Geschichten dazu fehlen, dann ist das alles nicht viel wert“, sagte Museumsleiterin Ute Seibold bei der Begrüßung. „Objekte ohne das Leben drumherum bleiben leblos.“

Hubert Jäger zeigte Ausschnitte aus seinem Film über das „Isny Bähnle“ und alte Fotos. Erzählt wurde, dass Gastfamilien beispielsweise ihre Gäste und deren Gepäck mit dem Handwagen vom Bahnhof abholten.

Schneepflüge im Einsatz ohne Versicherungsschutz

Im Schnee-Notstandsjahr 1965 hätten Bahnarbeiter von Hand mit Schaufeln eine Diesellok von den Schneemassen befreit und wieder fahrtüchtig gemacht. Walter Bühler ergänzte, dass das Leben in jenem Winter fast stillstand, und er wusste, dass Bauunternehmer in der Regel im Winter ihre Fahrzeuge abgemeldet hätten, zum Schneeräumen seien sie aber kurzerhand und ohne Versicherungsschutz „zugelassen“ und auch eingesetzt worden.

Siegfried Jäger erinnert sich gut an Beerdigungen: Tote wurden noch zuhause aufgebahrt, bis sie mit dem Leichenwagen zur Beerdigung abgeholt wurden – gezogen von „evangelischen oder katholischen“ Gäulen, entsprechend der Konfession des Verstorbenen. Bei den Evangelischen hätten die Bauern Hörburger und Blank ihre Gäule zur Verfügung gestellt, bei den Katholiken seien beide Gäule von der Familie Glötzinger gewesen. Während eines Leichenzugs durch die Straßen in Richtung „Bufflers Garten“, also zum städtischen Friedhof, hätten die Geschäftsleute aus Pietätsgründen die Rollläden der Schaufenster geschlossen, die Städter hätten ehrfurchtsvoll die Straßen gesäumt und die Männer selbstverständlich den Hut gelupft.

Beim Einbiegen in den Herrenbergweg sei der Wagen wegen eines großen Schlagloches ziemlich gekippt, und dabei sei einmal der Sargdeckel abgerutscht. Die Leichenfrau, eine Frau Holdenried, sei auf den Wagen gesprungen und habe mit wenigen Hammerschlägen das Malheur behoben. Nur die Wenigsten im Leichenzug hätten wohl etwas gemerkt, schilderte Jäger.

Andreas Prechtel und seine Frau, die Betreiber der Bahnhofrestauration, im Volksmund und später auch offiziell als „Gifthütte“ tituliert, hätten zu den ersten Autobesitzern gehört. Sie besaßen auch den ersten mehrsitzigen Mietwagen, mit dem sie Taxidienste anboten. Dieses Fahrzeug hatte zwar Gummibereifung, die Felgen waren jedoch noch aus Holz. Wahrscheinlich hätte man den Mietwagen auch ausleihen können, aber wer hatte damals schon einen Führerschein?

Die Familie Immler hatte für ihren Molkereibetrieb in den 1950er-Jahren auch die ersten Autos und Transportfahrzeuge. Lasten wurden aber auch noch mit Pferdewagen transportiert. Die ersten Fahrzeuge hätten die Besitzer zur Reparatur in die Werkstatt von Georg Gruber gebracht. Sie stand gegenüber dem heutigen Busbahnhof beim damaligen „Gasthaus zur Ente“. Im hinteren Bereicht gab es wohl eine Rampe im Freien für Unterbodenmontagen.

Stuttgart-Isny und zurückan einem Tag auf dem Motorrad

Walter Bühler erzählte, dass er als Bauleiter des Isnyer Sportsanatoriums von seinem Architekturbüro in Stuttgart sehr häufig mit dem Motorrad nach Isny gefahren sei. 1956 habe das Büro dafür endlich einen Volkswagen angeschafft – damals freilich noch ohne synchronisiertes Getriebe. Kuppeln, Zwischengas geben und nochmals kuppeln, dann habe er den Gang wechseln können, „sogar ohne Zahnradgeräusche“.

Jagdwaffenfabrikant Horst Blaser kam als gelernter Kfz-Schlosser ursprünglich aus einer Familie der Mobilität. Er erzählte, dass der Vater eine Art Omnibusunternehmen hatte. Und weil er Fahrer brauchte, konnte Sohn Horst – mit Sondergenehmigung – schon als 17-Jähriger den Führerschein machen, auf einem Auto der Marke Adler mit Holzvergaser, erinnerte sich der rüstige Automobil- und Jagdwaffen-Veteran.

Blasers Großvater Vincenz Hagg war der bahnamtliche Rollfuhrunternehmer. Alles was mit der Bahn in Isny ankam, wurde mit dem Pferdewagen abgeholt und von Haus zu Haus ausgefahren: für die Bäcker das Mehl, für die Schlosser und Schmiede das Eisen. Die Firma Springer sei für ihn freilich der größte Kunde gewesen. Alle Rohmaterialien seien in Güterwaggons angekommen. Expressgüter, die vor allem für die Läden bestimmt waren, wurden sofort und deshalb mit Handwagen ausgefahren. Nebenher habe der Großvater auch noch eine Kohlenhandlung betrieben. Kohle sei am Eisenbahnwaggon in Säcke abgefüllt worden, in die Häuser gebracht und dort in die Keller oder auf den Dachboden getragen worden.

Opa Hagg habe bereits 1938 einen Lkw mit Wechselaufbau gekauft. Die Pritsche war für den Gütertransport geeignet, der Omnibusaufsatz für die Personenbeförderung. Mit vier Flaschenzügen in der Werkstatt sei der Omnibus angehoben, der Pritschenaufbau darunter gefahren und der Omnibus dann mit Schnellverschlüssen befestigt worden.

Hubert Jäger fand einleuchtende, zugleich besorgniserregende Abschlussworte: Die rasante Entwicklung der Mobilität sei Ursache für die größten Umweltsünden des vergangenen Jahrhunderts, Abermillionen Bäume und fruchtbares Land seien dem Straßenbau geopfert worden.