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Mordprozess: Spuren legten Tötungsdelikt nahe

Berg / Lesedauer: 3 min

Ohrring, Flip-Flops und untypische Suizid-Merkmale führten zu Ermittlungen
Veröffentlicht:26.04.2017, 09:36

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Im Mordprozess gegen einen 46-Jährigen aus Berg hat der sechste Verhandlungstag weitere Details zutage gebracht, die schon früh Zweifel am Tod durch Selbstmord der 43-Jährigen aus Berg aufkommen ließen. Am Dienstag sagten vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Ravensburg erstmals Polizeibeamte aus, die unmittelbar nach Auffindung der Leiche am Tatort waren. Die Staatsanwaltschaft legt dem 46-jährigen Ehemann der Toten zur Last, seine Frau in den frühen Morgenstunden des 10. Juli 2016 in ihrem Wohnhaus in Berg umgebracht und ihren Selbstmord vorgetäuscht zu haben. Die Anklage lautet auf Mord.

Wie der Vater der Toten am vergangenen Prozesstag vor zwei Wochen vor Gericht aussagte, habe er seine Tochter am Nachmittag des 10. Juli im Heizungskeller erhängt aufgefunden. Trotz seines Schrecks und seiner verzweifelten Versuche, sie vom Strick zu befreien und sie wiederzubeleben, habe er sofort gemerkt, dass etwas nicht stimme. Die Erhängte berührte mit ihrem Gesäß den Boden, ihr Oberkörper befand sich in in der Luft. Ungereimtheiten stellte auch eine Notärztin fest, die noch vor der Polizei die Leiche untersuchte, wie ein Polizeibeamter gestern vor Gericht berichtete. Sie fand Blutergüsse am linken Armbeuger, am rechten Arm und am Kehlkopf, Hämatome also, die nur schwer zum Selbstmord passten. Eine Sichtung des Auffindungsorts der Leiche ließen auch ihn und seine Kollegin zu dem Schluss kommen, dass weitere Ermittlungsbeamte, insbesondere die Kriminaltechnik, notwendig seien. Ihnen fiel auf, dass das Rohr, um das der Strick gebunden war, kaum eingeknickt war - unmöglich bei einem Körpergewicht von fast 100 Kilogramm. Bei der weiteren Durchsuchung der Wohnräume - insbesondere des Schlafzimmers - fielen den Beamten weitere Details auf, die gegen die angebliche Selbstmordversion sprachen. Sie fanden neben dem Bett einen Ohrring, an dem der Verschluss fehlte. Diesen fanden die Beamten hinter dem linken Ohr der Toten. Außerdem entdeckten sie einen Flip-Flop-Schuh im Wohngeschoss, den passenden zweiten dazu im Heizungskeller. Einbruchspuren konnten die Beamten nicht finden. Ein Abschiedsbrief fehlte. Gegen 20 Uhr begann ein Kriminaltechniker am Auffindungsort mit der Spurensicherung. Auch ihm fiel die ungewöhnliche Erhängungssituation auf und die Tatsache, dass der Strick an einem gut fixierten Rohr festgebunden war. Zudem sei der Hängepunkt gut gewählt gewesen: im Bereich der Verschraubung mit der Decke. „Eine Frau würde das bewusst nicht tun“, sagte der 50-Jährige.

Nach zwei Wochen kriminaltechnischer Ermittlungen und einer Rekonstruktion der Abläufe, die zur Auffindungssituation der 43-Jährigen führten, kamen die Beamten zu folgendem Ergebnis: Der Fundort sei nicht mit dem Tatort identisch. Vielmehr sei die 43-Jährige aus dem Schlafzimmer in den Heizungskeller geschleift worden – vermutlich auf einem Bettlaken. Dadurch habe sie sich die von der Notärztin festgestellten Hämatome zugezogen. Aufgrund der Spuren am Heizungsrohr - die auf eine maximale Belastung von 50 Kilogramm schließen ließen - sei sie in eine sitzende Position gezogen worden. Eine Fremdbeteiligung ist damit höchst wahrscheinlich.

Angeklagter spricht von Morddrohungen

Unterdessen berichtete der Angeklagte, er werde im Gefängnis mit dem Tode bedroht. An seiner Arbeitsstelle im Gefängnis habe man ihm einen selbst gebauten Galgen hingestellt mit einem Gürtel als Strang. Ein Galgenmotiv, auf einen Pappkarton gezeichnet, habe vor seiner Zelle gelegen. Er beklagte sich, die Justizbeamten würden weitere Bedrohungen gegen ihn ignorieren. Ein Mithäftling habe eine volle Konservendose nach ihm geworfen, was ein Beamter hätte sehen müssen. Verteidiger Hans Bense beantragte eine Haftverlegung des 46-Jährigen. Außerdem stellte er im Namen seines Mandanten am vergangenen Prozesstag einen Beweisantrag: Es geht um vier Kissen, die die Kinder während des Erding-Aufenthalts mitgehabt hätten. Von diesen Kissen sollen jene Faserspuren stammen, die eine Gutachterin als Fremdspuren einstufte. Am 2. Mai wird der Prozess fortgesetzt.