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Südbahn

Modernisierungsschub für die Südbahn

Baienfurt / Lesedauer: 5 min

Signale, Weichen und Schranken werden von Ravensburg aus bedient – Schienenersatzverkehr im September
Veröffentlicht:12.08.2016, 18:20

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Entlang der ältesten Eisenbahnstrecke Württembergs, der 1850 eröffneten Südbahn, sind seit April und noch bis zum Oktober zwischen Mochenwangen und dem Bodensee, derzeit schwerpunktmäßig in den Bahnhofsbereichen Niederbiegen und Ravensburg, umfangreiche Modernisierungsarbeiten im Gange. Es handelt sich allerdings noch nicht um die vielbeschworene Elektrifizierung der Strecke.

Vielmehr ersetzen Bautrupps der Eisenbahnbaufirma Duensing im Auftrag der Bahn in Tag- und Nachtschichten die alten Signale durch moderne, wobei sie bisher mit ungewöhnlich viel schlechtem Wetter zu kämpfen hatten. Bagger sind im Einsatz. Viele Meter Kabel werden verlegt. Alle Signale, Weichen und Schranken an Bahnübergängen sollen künftig nicht mehr mechanisch, sondern elektrisch gesteuert werden. Bisher war der Zugverkehr durch diese Maßnahmen nicht beeinträchtigt, doch ab 16. September muss die Strecke wegen des Ausbaues von Weichen in Niederbiegen teilweise für drei Wochen gesperrt werden. Das bedeutet: Schienenersatzverkehr.

Stellwerk wird bald stillgelegt

„Trimm-Dich-Bank“ haben Bahnbedienstete liebevoll das alte mechanische Stellwerk im 1911 errichteten ansehnlichen, inzwischen jedoch etwas heruntergekommenen Bahnhofsgebäude in Niederbiegen getauft. Denn dieses Stellwerk, einstmals von der Maschinenfabrik Esslingen geliefert und der Staatsbahn mit 27000 Goldmark in Rechnung gestellt, 1958 modernisiert, bei dessen Anblick der Blutdruck jedes Eisenbahn-Nostalgikers steigt, kostet den jeweils Diensthabenden erheblich Kraft, insbesondere im Winter, wenn es gilt teils ziemlich weit entfernte Weichen umzustellen. So ist es beim „Bähnles-Kolb“ in seinem Standardwerk über die Eisenbahn im Schussental nachzulesen.

Voraussichtlich ab Oktober sind solche Kraftakte jedoch nicht mehr erforderlich, denn das alte Stellwerk in Niederbiegen hat dann ausgedient. Es wird stillgelegt, abgehängt. Die teilweise schon aufgestellten neuen Signale, aber auch Weichen und Schranken an Bahnübergängen in Niederbiegen werden künftig vom Fahrdienstleiter im Stellwerk in Ravensburg betätigt. Das ist allerdings auch nicht mehr das modernste, denn es stammt von 1970. In Friedrichshafen ist man da schon weiter. Dort werden Signale, Weichen und Schranken bereits elektronisch ferngesteuert – von Karlsruhe aus. Die Bahn spricht von hohem Automatisierungsgrad. Computer übernehmen es, Fahrstraßen freizuschalten, indem sie Signale und Weichen entsprechend stellen. Jedoch sind erst 650 von 5100 Stellwerken mit Rechnertechnologie ausgestattet.

Arbeitslos werden die Bahnmitarbeiter, die bislang noch im alten Stellwerk Niederbiegen abwechselnd Dienst tun, durch die Stillegung jedoch nicht. Sie werden auf andere Dienststellen verteilt. Was aus dem alten Niederbiegener Bahnhofsgebäude einmal wird, das die Bahn künftig wohl gar nicht mehr benötigt, ist unklar. Wird es verkauft, von der Gemeinde Baienfurt erworben oder von Privat, so wie früher schon das andere Bahnhofsgebäude auf Gemarkung Baienfurt beim stillgelegten Güterbahnhof unweit des Ortskerns? Antworten auf diese Fragen erhofft sich nicht zuletzt der Club der Modellbahnfreunde, der einen Mietvertrag mit der Bahn hat und sich regelmäßig im alten Bahnhof in Niederbiegen trifft.

Sicher ist, dass der alte Bahnhof in Niederbiegen schon bessere Zeiten gesehen hat. Zwar halten dort seit 1997 wieder Züge, nämlich die Triebwagen der Bodensee-Oberschwaben-Bahn (BOB), nachdem die Deutsche Bundesbahn 1988 die Zughalte im Personenverkehr dort, aber zum Beispiel auch in Weißenau und Oberzell gestrichen hatte. Für die Geißbockbahn wurden extra ein Gleisübergang mit Fahrstühlen, weithin sichtbar und die Bahnsteige neu gebaut.

Aber in früheren Jahren, schon gar im Dampflokzeitalter, als in Niederbiegen von der Hauptstrecke Ulm-Friedrichshafen noch die stillgelegte 4,04 Kilometer lange Nebenbahn in Richtung Baienfurt und Weingarten abzweigte, muss dort reger Rangierbetrieb geherrscht haben, so dass die Männer im mechanischen Stellwerk stark gefordert waren. Verfügte der Bahnhof Niederbiegen doch neben den beiden Durchgangsgleisen noch über vier weitere (derzeit noch drei).

Bürger regen sich über Pfiffe auf

Bis 1938 fuhren noch Personenzüge bis zum Bahnhof Weingarten, später nur noch Charterzüge. So startete noch bis 1998 der von der Weingartener Geschäftswelt gecharterte sehr beliebte „Lauratal-Express“ in Weingarten zu verschiedenen atrraktiven Ausflugszielen in Süddeutschland und fädelte sich in Niederbiegen in die Südbahnstrecke ein. Umgekehrt zweigten in Niederbiegen bis 1963 ab und zu Wallfahrer-Sonderzüge in Richtung Weingarten ab. Das Ziel der Pilger war die Basilika. Der Güterverkehr in Richtung Baienfurt und in Richtung Weingarten lief länger auf der Nebenstrecke, verlor jedoch mit der Stillegung der Papierfabrik eine wichtige wirtschaftliche Grundlage, so dass die Stillegung nur eine Frage der Zeit war. Franz Gierer, lange Hauptamtsleiter im Rathaus Baienfurt, erinnert sich noch gut an den Ärger, den es früher immer wieder gab, weil sich insbesondere zugezogene Neubürger der Gemeinde durch die Pfiffe der Loks von Güterzügen gestört fühlten, die bei den unbeschrankten Bahnübergängen aus Sicherheitsgründen vorgeschrieben waren. Übrigens war der Stillegung der unrentabel gewordenen Nebenstrecken von Niederbiegen nach Baienfurt beziehungsweise Weingarten in den Jahren 2014/15 deren Ausschreibung durch die DB Netz AG, Regionalbereich Südwest vorausgegangen. Doch niemand interessierte sich dafür, so dass nur übrig blieb den Betrieb einzustellen.

Die Gleise der stillgelegten Nebenbahn sind teils entfernt, zum Teil überwuchert, so dass man ihren Verlauf teilweise nur noch erahnen kann. Übrigens verkehrte auf einem kurzen, knapp einen Kilometer langen Abschnitt dieser Nebenbahn früher auch die legendäre Schussental-Straßenbahn, die schmalspurig Baienfurt mit Weingarten und Ravensburg bis Ende der 1950er-Jahre miteinander verband (Stichwort: Drei-Schienen-Gleis).

Mussolini soll mitgeholfen haben

Auch das ist beim „Bähnles-Kolb“, aber auch im neuen Baienfurter Heimatbuch, das erst 2015 herausgekommen ist, nachzulesen. Aus anderer Quelle war zu erfahren, dass nach 1900 beim Bau des zweiten Gleises der vorher nur eingleisigen Südbahn, bei dem damals viele italienische Arbeiter eingesetzt waren, auch ein junger Mann Hand angelegt haben soll, der später unrühmlich von sich reden machen sollte: Benito Mussolini, faschistischer Diktator von Italien und enger Verbündeter von Adolf Hitler.