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Dreigroschenoper

„Dreigroschenoper“ ist heute noch so aktuell wie zu Brechts Zeiten

Haisterkirch / Lesedauer: 3 min

„Dreigroschenoper“ ist heute noch so aktuell wie zu Brechts Zeiten
Veröffentlicht:20.06.2010, 18:10

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Regen und Kälte haben auch mit Bertold Brecht und Kurt Weill kein Einsehen gehabt am Samstagabend. So wurde die Premiere „Die Dreigroschenoper“ vom Klosterhof in die Haisterkircher Gemeindehalle verlegt. Dem intensiven Spiel des Amviehtheaters Spektrum K Bad Waldsee hat das keinen Abbruch getan.

Von unserer Mitarbeiterin

Babette Caesar

Ohne Frage wäre eine sommerliche Atmosphäre im Klosterhof die reizvollere gewesen. Andererseits zeigte sich Regisseur Alexander Ehm sehr glücklich über diese Alternativlösung, hätte man andernfalls die Aufführung auf Grund der miserablen Wetterlage ganz absagen müssen. 21 Schauspieler standen in ebenso vielen Rollen auf der Bühne. Und nicht nur dort, sondern einige als Bettler kostümierte Akteure mischten sich auch unter das Publikum. Abgebrochenes, verruchtes Milieu Zwei aus Holzpaletten zusammen gebaute Verschläge bestimmten das von Axel F. Otterbach entworfene Bühnenbild. Es verleiht den Orten der Handlung, der Londoner Bettlergarderoben von Jonathan Peachum (Alexander Ehm), dem Pferdestall von Macheath (Bertram Hochdorfer), dem Hurenhaus und Gefängnis, das Flair des Abgebrochenen und Verruchten. Die schräge, mit ironischen Seitenhieben auf Oper und Operette garnierte Musik von Kurt Weill machte den Auftakt zu den insgesamt acht Bildern. Die sechs Musiker unter Leitung von Ernst Greinacher, arrangiert zu einem Salon-Orchester neben der Bühne, haben den Nerv dieser herunter gekommenen Milieus getroffen. Die Aktualität des im August 1928 im Berliner Theater am Schiffbauerdamm uraufgeführten Stücks habe Ehm angeregt es zu inszenieren. Und er hat nicht mit Bezügen zur herrschenden Banken- und Finanzkrise gespart. „Geben ist seliger als Nehmen“ oder „Gib, so wird dir gegeben“ ist im Zuschauerraum auf Papptafeln zu lesen. Unverblümter nimmt die Inszenierung im Schlussteil Bezug mit Aufforderungen wie „Ackermann in den Knast“ und „Weg mit den Zockern“. Hier treffen sich Brechts derzeit neu geschaffener Opernverschnitt und der Wahnwitz heutiger globaler Systeme.

Authentisch und überzeugend besetzt ist die Rolle von Mackie Messer. Hin und her pendelnd zwischen der angetrauten Polly (Leila Stahl), der Spelunken-Jenny (Melanie Haug) und ihren milieugerecht aufgetakelten Mädels Vixen (Katharina Merk), Dolly (Nina Umbrecht) und Betty (Veronika Degler) gibt er den Macho in strahlendem Weiß, das selbst unter dem Galgen mit dem Strick um den Hals keinen dunklen Flecken abbekommt. Er hat den größten Dreck am Stecken, und dennoch, ihm möchte man am liebsten alles verzeihen. Ihm an die Seite gestellt ist Polly, die nicht nur verbal zupackt, sondern auch sängerisch die überzogen hohen Tonlagen in ihren Liedern karikiert.

Umwerfend sind die Auftritte von Celia Peachum (Sigrid Bleichert) in ihrer rigorosen draufgängerischen Art, die keine Widerrede duldet, und das kämpferische Duett zwischen Polly und Lucy (Annika Linne) als zwei geifernde Weiber, die sich am liebsten die Augen auskratzen würden. Für dieses Spektakel und Lucys opernreife Gesangsstimme gab es begeisterten Szenenapplaus.

Entsprechend der Aufschlüsselung in einzelne Bilder sind es vor allem auch die kleinen kurzen Passagen, die dem Stück seine Lebendigkeit verleihen. So die Platte mit Münz-Matthias (Emil Kaphegyi), Hakenfinger-Jakob (Uli Plamper) und Trauerweiden-Walter (Christoph Bader), die sich an Macheaths Hochzeit laben, allerdings ohne die geringsten Benimmregeln. Oder gleich im ersten Bild, wenn Peachum dem angehenden Bettler Filch (Berthold Geiger) die verstaubte Ausstattung D aus dem Bretterverschlag zerrt. In jenem, mittels Stangen zum Gitterstall umfunktioniert, sitzt dann auch Mackie Messer und wartet auf den Strang. Seine Kumpanin, die Polizeichefin Brown (Sabine Jenkner), serviert ihm noch ein paar letzte Spargelstangen. Das wars, wäre nicht ein königsreitender Bote auf dem Fahrrad zu Hilfe geradelt mit dem Adelstitel und 10000 Pfund lebenslanger Jahresrente im Gepäck.

Alle strahlen in einem großen Abschlussbild über die Errettung des Gauners. Was wäre doch das Leben ohne ihn und seine segensreichen Taten!