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Zweiter Weltkrieg

Von Verantwortungund Wahrheit

Lindau / Lesedauer: 3 min

Theater Konstanz beeindrucktmit Borcherts „Draußen vor der Tür“
Veröffentlicht:21.02.2019, 15:59

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Es sind grundlegende Fragen, die Wolfgang Borchert in „Draußen vor der Tür“ anspricht. Deshalb ist das Stück auch zeitlos. Am Mittwoch hat das Theater Konstanz damit die Zuschauer im fast vollen Lindauer Stadttheater beeindruckt und sehr nachdenklich zurückgelassen.

1947 hat Borchert das Stück über diesen Beckmann ( Nikolai Gemel ) geschrieben, der nach Stalingrad drei Jahre in Sibirien war, bevor er nach Hause kommt. Wobei er feststellen muss, dass dies nicht mehr sein Zuhause ist: Seine Frau wähnt ihn tot und lebt mit einem anderen Mann zusammen. So ist Beckmann allein und bleibt es auch.

Denn das Mädchen (Johanna Link) nimmt ihn zwar nach einem Suizidversuch mit nach Hause, aber auch sie hat einen Mann (Jonas Pätzold), der mit nur einem Bein aus dem Krieg zurückkehrt. Sein früherer Oberst (Harald Schröpfer) hat es sich im Gegensatz zu den einfachen Soldaten schnell wieder satt und warm gemütlich gemacht. Er verlacht Beckmann, zum Offizier tauge er nicht, weil er zu leise und zu weich sei.

Der dicke Kabarettdirektor (Katrin Huke) will Beckmann ebenfalls nicht, weil er weiß, dass sein Publikum es heiter und leicht mag. Ihm ist Beckmann zu laut und zu direkt. Der kann es niemandem recht machen. Und zu den Eltern kann er auch nicht mehr, denn die waren Nazis und haben sich bei Kriegsende selbst getötet. Und in der Wohnung lebt inzwischen Frau Kramer (Tomasz Robak), die diesen Platz natürlich nicht hergeben will.

Gemel spielt diesen Beckmann herausragend als den, der wegen einer Kriegsverletzung humpelt, der von allen verlassen und entsprechend verzweifelt ist. Er ist dreckig, er zittert von Kälte und Angst. Er trägt diese verdammte Gasmaskenbrille, weil er nach dem Lager keine andere mehr hat, die aber nicht nur seltsam aussieht, sondern alle an diese verdammte Zeit erinnert, die sie doch sofort vergessen wollen.

Unter der Regie von Mareike Mikat ist „Draußen vor der Tür“ nicht mehr nur ein Stück, das die Stimmung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg beschreibt, als viele so schnell wie möglich ein vermeintlich normales Leben führen und nicht mehr an Nazizeit und Weltkrieg erinnert werden wollten. Es geht vielmehr um grundsätzliche Fragen, wie die, wer Verantwortung trägt und ob man die wieder zurückgeben kann. Wer bricht unter der Verantwortung zusammen und wer streift sie leichtfertig ab?

Traumatisiert sind Menschen immer, wenn es irgendwo auf der Welt Krieg gibt. Nicht nur die Flüchtlinge bringen das auch in unser Leben.

Jeder hat seine eigene Wahrheit

Und es geht um die Frage, was Wahrheit ist. Denn jede der Figuren hat irgendwie recht. Jeder hat seine eigene Wahrheit, oder um es mit dem Oberst zu sagen: „Wir wollen doch bei unserer guten deutschen Wahrheit bleiben.“ Aber wenn jeder nur auf seiner Wahrheit beharrt, zerbrechen erst die Schwachen und später die ganze Gesellschaft. Und das ist wieder hochaktuell in Zeiten, in denen Debatten über Fake-News und Beschimpfungen der angeblichen „Lügenpresse“ allgegenwärtig sind – in der Welt, in Deutschland und auch in Lindau .

Am Ende rückt die Bühnenrückwand die Eimer immer weiter an den Bühnenrand, Beckmann ist total eingeengt. Im Konstanzer Theater schiebt diese Wand ihn sogar von der Bühne. Das geht in Lindau aus technischen Gründen nicht. Dennoch bleibt auch hier sein verzweifelter leiser letzte Satz angesichts all der Fragen und Unsicherheiten: „Gibt denn keiner, keiner Antwort?“