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„Viele laufen ihrer inneren Leere davon“

Lindau / Lesedauer: 4 min

Christian Peter Dogs erklärt, warum Höchstleistung im Beruf und beim Sport auf Dauer nicht funktioniert
Veröffentlicht:23.09.2015, 18:01

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„Ja, wo laufen sie denn? – Wenn Läufer ihren Gefühlen davonlaufen“: So heißt der Vortrag, den Christian Peter Dogs am Samstag, 3. Oktober, beim Gesundheitssymposium zum Dreiländermarathon im Bregenzer Festspielhaus hält. Er ist ärztlicher Direktor der Panorama-Fachkliniken in Scheidegg und hat täglich mit Menschen zu tun, die ihren Gefühlen davonlaufen wollen. Im Interview mit Susi Donner erklärt er, warum das nicht geht.

Laufen denn wirklich so viele Läufer ihren Gefühlen davon? Laufen gilt doch als so gesund?

Das ist es sicher auch. Die Frage ist aber, welche Bedeutung das Laufen im Leben hat. Wer langsam läuft und daran Spaß hat, egal wie schnell oder weit, der macht es richtig. Viele laufen ihrer inneren Leere davon, haben die Fähigkeit, nichts zu tun, verloren. Bezeichnenderweise laufen die meisten Manager mindestens den Marathon. Sie arbeiten, hetzen, höher, schneller, weiter. Bis der Arzt kommt. Denn Höchstleistung im Beruf und beim Sport in der Freizeit zu bringen, das funktioniert auf die Dauer nicht. Diese Leute landen dann bei mir. Und eine unserer intensivsten Therapien ist, 36 Stunden auf dem Zimmer zu sein und aus dem Fenster zu schauen. Sich auszuhalten. Gesund werden kann nur, wer sich seinen Gefühlen stellt. Meditatives Gehen ist eine weitere wichtige Therapieaufgabe, die wir liebevoll „Schnecken checken“ nennen. Die Kunst dabei ist, so langsam wie möglich zu gehen.

Viele sagen aber, wenn sie laufen, haben sie die besten Ideen?

Ja, Ideen, aber keine Gefühle. Wenn du fühlen willst, musst du stehen bleiben. Die Indianer sagen, die Seele geht zu Fuß. Wer sich selber davonläuft, will seine Gefühle erst gar nicht zulassen. Angst, Trauer, Einsamkeit – das wollen sie nicht spüren. Beim Laufen fühlt man seinen Körper, aber eben auch nicht mehr. Man muss sich die Frage stellen: Warum hetze ich eigentlich so? Gerade in dieser schnelllebigen Gesellschaft brauchen wir doch Ruhepausen. Das ist innere Achtsamkeit. Wir nehmen uns allgemein zu wenig Zeit für die wichtigen, wesentlichen Dinge im Leben: Partnerschaft, Kinder, uns selbst.

Gibt es denn ein gutes Maß an Bewegung?

150 Minuten Bewegung in der Woche reichen. Und dazu zählt auch das Treppensteigen. Es hat niemand gesagt, dass man durchs Leben rasen muss, um die Seele zu stabilisieren. Laufen bildet Botenstoffe. Wenn ich ausgeglichen und mit Spaß laufe, ohne mich zu quälen, dann fühle ich mich wohl, tue mir etwas Gutes. Sobald das Laufen in einen fanatischen Leistungsbereich kommt, verbraucht der Körper mehr Botenstoffe, als sich bilden. Also: Wenn wir mit großer Freude am See entlanglaufen und auch mal stehen bleiben, um den Anblick zu genießen, dann ist alles gut.

Ich stelle mir das gerade beim Marathon vor…

Ja, das wäre doch mal was (lacht). Das Leben, die Arbeit – alles ist so schnell geworden. Wir werden mit Informationen überschüttet und überlastet. Deshalb muss man im Privatleben runterfahren, wenn man sich nicht verlieren will. Deshalb ist Meditation so wichtig. Deshalb tut meditatives Gehen, das „Schnecken checken“ so gut, um das Hirn freizubekommen. Alle reden immer von Entschleunigung und rennen doch durch jeden ihrer Tage.

Man kann also seinen Sorgen nicht davonlaufen?

Ganz klar nein. Deine Sorgen laufen mit. Egal wie oft, wie lange, wie weit, wie schnell du läufst. Wir nehmen uns ja nicht einmal mehr Zeit für die Freude. Die Menschen brauchen leider immer einen Knüppel zwischen die Beine, um zur Besinnung zu kommen. Wenn etwas Schlimmes passiert, verändert sich die Werteaufstellung innerhalb von Sekundenbruchteilen.

Wieso ist das so?

Wir sind negativ trainiert, das Schlechte wahrzunehmen. Firmen betreiben Fehlermanagement statt Lobmanagement. Von Kindheit an werden wir auf Leistung, auf Funktionieren konditioniert. Bekommen gesagt, dass Stillstand Rückschritt ist. So ein Quatsch. Wenn du fühlen willst, musst du stehen bleiben.

Fürs Laufen heißt das…?

Der Trick ist, langsamer zu laufen, als du kannst. Ohne Uhr. Nur nach Gefühl. Ist das nicht toll, zu denken, ich könnte schneller wenn ich wollte, und es doch nicht zu tun? Und zu wissen: Es ist nicht wichtig, wie schnell oder wie weit ich laufe. Wichtig ist nur, dass ich echte Freude daran habe. Und das gilt fürs ganze Leben. Man muss nicht immer alles erreichen, was man erreichen könnte. Nichts macht die Menschen mehr kaputt als immer mehr erreichen zu wollen und chronische Unzufriedenheit. Deutschland hat mehr psychosomatische Behandlungen als der Rest der Welt zusammen. Burnout ist in südlichen Ländern nahezu unbekannt. Sollte das nicht zu denken geben?

Ob die Marathonläufer Ihre Aussagen so gerne hören mögen?

Mit meinem Vortrag begebe ich mich in feindliches Gebiet. Ich freue mich darauf und bin sehr gespannt auf die Reaktionen.