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Rädchen

„Vergasen geht schneller als Erschießen“

Lindau / Lesedauer: 4 min

Wolfgang Proske erzählt die Geschichte zweier „Täter“ aus Lindau
Veröffentlicht:16.06.2016, 18:49

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Es sind nicht nur Hitler, Goebbels, Himmler, Heydrich oder Göring gewesen, die den Nationalsozialismus zu dem gemacht haben, was er war. Es waren die unzählig vielen kleinen Leute, die den Nationalsozialismus zu einer ganzen Bewegung machten. Zwei dieser „kleinen Rädchen“ kamen aus Lindau . Welche Rolle sie im „großen Getriebe“ des Nationalsozialismus spielten und dass sie keineswegs nur Helfer oder Trittbrettfahrer waren, davon berichtete Wolfgang Proske einem kleinen Publikum in seinem Vortrag „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer. NS-Belastete aus dem Bodenseeraum“, den der Sozialwissenschaftler auf Einladung des Historischen Vereins im Gewölbesaal hielt.

„Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Zukunft.“ Diesen Ausspruch Richard von Weizsäckers hat der Sozialwissenschaftler und Lehrer Wolfgang Proske als Aufforderung verstanden, um, wie er sagte, „das große Schweigen zu brechen und sich der regionalen NS-Vergangenheit zu stellen und dabei mitzuwirken, dass NS-Täter nicht länger totgeschwiegen werden“. In einem Projekt mit mehr als 100 wechselnden Autoren arbeitet er seit 2008 die NS-Vergangenheit Baden-Württembergs auf, an deren Ende die zehnbändige Buchreihe „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer“ steht. Bundesland- und länderübergreifend ist dabei der erst kürzlich erschienene fünfte Band, der sich mit dem gesamten Bodenseeraum befasst. Er beinhaltet 20 Lebensgeschichten von Menschen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die als Täter, Helfer oder Trittbrettfahrer den Nationalsozialismus ausmachten. Einer dieser Menschen war Adolf Ott . Und mit ihm ganz eng verstrickt Johann Haßler. Beide kamen aus Lindau.

„Ott ist im Grunde ein Agent, ein Spitzel geworden“

Adolf Ott wurde zwar 1904 in Waidhaus geboren und starb 1973 in Inzell, trotzdem hat er einiges mit Lindau zu tun. Denn, wie Proske erzählte, besuchte Ott von 1910 bis 1922 in Lindau die Volksschule, dann die Oberrealschule und schließlich eine private Handelsschule. Bis 1928 arbeitete er in der Firma Köchlin als Disponent, Buchhalter und Korrespondent, ab 1933 bei der Firma Otto Brugger und ab 1933/34 in einer Lindauer Fassfabrik. Sehr früh, nämlich 1922, trat er der NSDAP bei, was für Proske darauf hinweist, dass Ott ein „nationalsozialistisches Urgestein“ war und er in der NS-Bewegung Lindaus sozialisiert wurde. 1933 trat Ott zudem der SS bei. Bis 1935 agierte er in Lindau als Verwaltungsstellenleiter der „Deutschen Arbeiterfront“, Kreisverwalter von „Kraft durch Freude“ und als Leiter des Sicherheitsdienstes der SS. „Ott ist im Grunde ein Agent, ein Spitzel geworden und hat in dieser Funktion Lindauer Menschen untersucht und dafür gesorgt, dass sie ins Lager eingeliefert wurden.“

Gleiches tat Ott ab 1937 in München und in Königsberg. Als er nach Liberec (Reichenberg) kam hatte er Anteil an der Verfolgung von 28 000 Juden. „An dieser „Arbeit“ scheint er Gefallen gefunden zu haben“, folgerte Proske. Denn Ott stieg, nach diversen Zwischenstationen in der annektierten Tschechoslowakei, Deutschland und Norwegen, zu einem von vier Einsatzgruppenführern der Sicherheitspolizei in der Sowjetunion auf. Und diese hatten, wie Proske erklärte, den Befehl zur „Gesamtlösung der Judenfrage“ ebenso wie jene zur Tötung kommunistischer Funktionäre, arisch Minderwertiger, Zigeuner und psychisch Kranker.

„Vielleicht war er ein Mann, der bereute, was er getan hat.“

Stationiert in Orel (Orjel) forderte Ott einen Lindauer an, den er aus früheren Zeiten kannte und den er „zu seiner Kreatur“ machte: Johann Haßler. Aus Deutschland mitbringen sollte dieser einen zum „Gaswagen“ umfunktionierten LKW. Denn, so erklärte es Ott nach Haßlers Ankunft: „Vergasen geht schneller als Erschießen.“ Ott machte Haßler zum Gaswagenfahrer. Damit war Haßler derjenige, „der den Gashebel aufdrehte“ und damit tausende Menschen ermordete. „Und trotzdem hat er immer gesagt: Ich bin nur gefahren“, sagte Proske und erklärte, dass Haßler nie für seine Taten zur Rechenschaft gezogen wurde. Zum einen, weil er als Kronzeuge gegen Ott fungierte, als diesem 1948 vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg der Prozess gemacht wurde. Zum anderen, weil Haßler „nur“ Befehle ausgeführt habe und deshalb als nicht schuldig galt. Während Ott zum Tode verurteilt und dieses Urteil bald in lebenslänglich abgewandelt wurde, er 1958 frei kam und 1973 in Inzell starb, kehrte Haßler, an den Bodensee zurück. Nach Wasserburg, wo er, wie Proske dank Karl Schweizer den gut 20 Interessierten im Gewölbesaal zu berichten wusste, 1963 starb. „Er hat später ein völlig zurückgezogenes Leben geführt. Vielleicht war er ein Mann, der bereute, was er getan hat. Genau wissen wir es nicht. Die Nazis haben nie etwas bereut und immer nur darauf verwiesen, dass die, die nicht dabei waren, nichts verstehen.“

Wer den Vortrag verpasst hat und mehr über Wolfgang Proskes Buch mit dem Titel „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer. NS-Belastete aus dem Bodenseeraum“ wissen will, kann den im Kugelberg-Verlag erschienen fünften Band für 19,99 Euro im Buchhandel erstehen. Noch mehr Informationen sind

im Internet zu finden, unter

www.ns-belastete.de