StartseiteRegionalRegion LindauLindau„Top“ sind die „Dogs“ von Podium 84

Lindau

„Top“ sind die „Dogs“ von Podium 84

Lindau / Lesedauer: 4 min

Das Lindauer Amateurtheater feiert eine hochspannende Premiere im Zeughaus
Veröffentlicht:06.05.2019, 15:08

Artikel teilen:

Sind die „Top Dogs“ erst einmal von der Leine gelassen, sind sie nicht mehr zu bremsen. Wer den Zürcher Autor Urs Widmer kannte, weiß um seinen subtilen, gesellschaftskritischen Humor, bei dem einem der Atem stockt und nur noch Lachen weiterhilft. Diese Gratwanderung hat Regisseur Michael Hangel mit dem Ensemble von Podium 84 auf die Bühne gebracht. Ebenso hochspannend und lustvoll wie streitbar und topaktuell gab sich am Samstagabend die Premiere im ausverkauften Zeughaus.

Von existentiellen Schiffbrüchen und Entfremdung auf ganzer Ebene handelt dieses Stück, das 1996 im Zürcher Theater am Neumarkt uraufgeführt wurde. Es steckt voller Witz und Schadenfreude, voller erbarmungsloser Kritik an hochindustrialisierten Gesellschaften. Am Schluss winkt ein kleines Fitzelchen Hoffnung, um eventuell aus der Misere heraus zu kommen. Maximal auf dem Wege der Selbsterkenntnis. Millionenumsätze posaunt das achtköpfige Ensemble zu Beginn des Stückes heraus. Nur haben sie bereits alle ihren hochdotierten Managerposten räumen müssen für kompetentere Nachfolger.

Ankommen in einer abgehalfterten Welt

So recht angekommen sind sie in ihrer neuen abgehalfterten Realität noch nicht, weshalb sie jetzt in einem Outplacementcenter gestrandet sind. Hier herrscht der gleiche unterkühlte Ton, schließlich wollen alle weitermachen wie zuvor. In kurzen, schnell aufeinanderfolgenden Szenen spielen die Protagonisten Rollenbilder durch, die es in sich haben. Von Anbeginn an, wenn Frau Deer (Regina Fackelmayer) hereinplatzt und auf Frau Wrage (Anja Wiltmann) trifft. Deer, einst im Catering der Swissair-Fluggesellschaft tätig, zieht sämtliche Register, um ihre Entlassung wegzureden, während Wrage die taffe Coole herauskehrt als einstige Finanzanalystin bei der Chase Manhattan Bank. Im Angebot der New Challenge Company, kurz NCC, sind Rollenspiele, über deren Sinn und Zweck sich streiten lässt. Sie aus Zuschauersicht gerade deshalb diese haltlos tragisch-komische Note davontragen. Die Damen und Herren aus den Topetagen verkommen zu Marionetten ihrer selbst. Zieht man an einer der Strippen, wird aus Herrn Bihler (Uli Seitz) ein gnadenloser Chef, der Frau Tschudi (Melanie Reissig-Heimann) auf die unterste Stufe herunterputzt. Die Lorbeeren gehörten unter ihren Hintern, der Output sei bei plusminus null gelegen. Stattdessen müsse man mit Flammenwerfern vorgehen, wie im Krieg. Und dann, wieder zu Sinnen gekommen: „Der Markt ist ein Schlachtfeld. Ethik, Moral adé!“ Die Inszenierung schafft diese Charakterumschwünge zwischen Ausflippen und Ernüchterung brillant. So auch in aberwitzigen Szenen mit Herrn Neuenschwander (Christoph Holzfurtner) und Frau Jenkins (Christine Geiser). Während das Ensemble hinter einer Trennwand das Geschehen verfolgt, platziert sich das Paar vorn am Bühnenrand in einem Dialog mit vertauschten Rollen. Sie ist Michael, er ist Julika, wenn sie sich morgens am Frühstückstisch begegnen und die Stimmung auf dem Tiefpunkt ist.

Als Zuschauer kann man sich vor Lachen kaum halten angesichts dieser verbalen Schlagabtäusche, die der Klischeekiste entstammen, doch vor Frische nur so strotzen. Widmers Stück scheint um keinen Deut gealtert oder überholt zu sein, nur dass das Managersterben seitdem längst zur Normalität geworden ist. Einer geht, der nächste kommt. Wie eine brutale, wutgeladene Kündigung ablaufen kann, führte Herr Krause (Walter Schmid) vor, wenn er in die Position des Chefs schlüpft und kein Pardon mehr kennt. Das, die Rache am Chef, treibt Frau Müller (Katrin Stoll) auf die Spitze einer hohen Leiter, von wo aus sie den Verhassten den Bergabhang hinunter fliegen sieht – genüsslich und befriedigt. Nach mehr Menschlichkeit sehnen sich alle. Immer wieder begeben sich einzelne Darsteller von der Bühne weg in den Zuschauerraum. Beziehen Stellung – erst, dass die Kündigung ihnen nichts anhaben kann, dann bricht die Ehrlichkeit aus ihnen heraus. Sie erliegen Fiktionen von einem anderen Leben, das für sie unerreichbar geworden ist. „Schau, schau, der Job-Verlust geht um. Er bringt dich um“, singen sie in cooler Falco-Manier.

Alles klar? Ja, an diesem Premierenabend passte alles. Die Dialoge und das Groteske, das Inhumane unserer doch so heilen und mitfühlenden Welt, wenn es ums Ganze, um Millionengeschäfte geht. Unbedingt anschauen, es lohnt sich.