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Goldstaub

Goldstaub auf den Stimmbändern

Stuttgart / Lesedauer: 3 min

Fleetwood Mac erwecken in der ausverkauften Schleyer-Halle alte Träume
Veröffentlicht:15.10.2013, 23:15

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Eigentlich sei es ganz einfach, erzählt Lindsey Buckingham, der Leadgitarrist von Fleetwood Mac , vor rappelvollem Haus. Man müsse nur eine Erfolgsformel finden und diese dann bis auf den letzten Tropfen ausquetschen. Das Dumme an der Sache: Das ist nur die aus ökonomischer Sicht gebotene Herangehensweise, für Künstler hingegen fatal. Also hat Buckingham mit der Band Ende der Siebziger eine neue Richtung eingeschlagen und „Tusk“ in die Welt gesetzt. Und dieses Werk werde man nun mit ein paar Liedern feiern, kündigt er an.

Tusk war ein ambitioniertes, weit ausholendes Doppelalbum mit einem einzigartigen Titelsong, einer Art Stammesgesang mit ausgeprägt rhythmischen Strukturen. Und ein Album, das niemand erwartet hatte, nicht nach „Rumours“, diesem Geniestreich aus dem Jahr 1977.

Leicht haben es sich Fleetwood Mac nie gemacht, schon gar nicht bei und nach ihrem sinnigerweise „Gerüchte“ getauften Hauptwerk. 1967 in London aus John Mayalls Bluesbreakers hervorgegangen, überstand die nach Schlagzeuger Mick Fleetwood und Bassist John McVie benannte Band diverse Umbesetzungen. 1970 stieß McVies Frau Christine Perfekt, zuvor Sängerin bei Chicken Shack, zur Band. Die Formation, die seit Jahrzehnten in aller Welt geschätzt wird, entstand 1975, als das US-Duo Buckingham/ Stevie Nicks neue Einflüsse und Ideen in die Band brachte.

Der Erfolg forderte seinen Preis. Als sich die fünf im Frühjahr 1977 in Kalifornien im Studio trafen, um die neue Platte einzuspielen, lagen alle privaten Welten in Trümmern. Fleetwood hatte herausgefunden, dass ihn seine Frau Jenny betrog, die Ehe der McVies war nach acht Jahren am Ende, und auch die langjährige Romanze zwischen Buckingham und Nicks mündete in Tränen und Bitternis.

In dieser hochemotionalen, explosiven Gemengelage, zusätzlich angeheizt durch Alkohol- und Drogenprobleme, entstand eines der erfolgreichsten Werke der populären Musik, auf einer Stufe mit „Dark side of the moon“ von Pink Floyd, Led Zeppelin IV oder „Thriller“ von Michael Jackson. Rund 45 Millionen Exemplare von „Rumours“ wurden bis heute verkauft. Elf Lieder von zeitloser Schönheit, präsentiert mit großem Einfallsreichtum, handwerklichem Können und perfekter Produktion.

Jetzt sind Fleetwood Mac erstmals seit Jahren wieder unterwegs, zuerst in den USA, nun auch in Europa. Es war keine schlechte Idee, das Konzert mit drei Titeln dieses Albums (Second Hand News, The Chain und Dreams) zu beginnen. Und dann früh Rhiannon, eine Hymne wie ein Sonnenaufgang. Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll: Nicks heisere, wie mit Goldstaub belegte, voluminöse Stimme oder ihr Kompositionstalent, das auch noch locker für eine herausragende Karriere als Solokünstlerin ausgereicht hat. Für das Fachblatt New Musical Express ist Nicks „die ultimative Rockgöttin“.

Für die Fans in Stuttgart auch. Das Spiel war schnell gewonnen, das Publikum angefixt von unwiderstehlichen Melodien. Zweieinhalb Stunden hielten „The Mac “ den Spannungsbogen durchgehend hoch. Und die Kreativität in der Band ist nach zehnjähriger Schaffenspause wiedererwacht. Wie das wundervolle „Sad Angels“, einer von vier neuen, kürzlich veröffentlichen Songs zeigte, steckt wieder Munition im Lauf.

Am Ende blieb nur ein Makel: Christine McVie ist seit 1998 nicht mehr dabei. Man vermisst sie als Songschreiberin, mehr noch aber als gesanglichen Gegenpart zu Nicks. Buckingham ist ein außergewöhnlicher Gitarrist und Arrangeur, sein Stimmpotenzial weniger beeindruckend. Vielleicht auch deshalb hat Nicks vor Beginn der Tour einem Reporter verraten, dass sie sofort bereit wäre, Christine McVie fünf Millionen Dollar auf die Hand zu zahlen, wenn sie wieder mit auf Tour geht.

Den Wunsch unterstützen wir voll und ganz, aber wir haben ja nicht mal die fünf Millionen zur Hand.