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Kreuzerlass

So gehen die bayerischen Behörden mit dem „Kreuzerlass“ um

Lindau / Lesedauer: 7 min

Von heute an sollen bayerische Landesbehörden den umstrittenen Kreuzerlass der CSU-Regierung umsetzen
Veröffentlicht:31.05.2018, 20:10

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Das schlichte Kreuz im Eingangsbereich des Lindauer Amtsgerichts ist nicht zu übersehen. Es hängt etwas eingezwängt an der weißen Wand hinter der Sicherheitsschleuse, die den Weg durch einen breiten Gewölbegang des ehemaligen barocken Stiftsgebäudes von 1732 versperrt. Man könnte von einem Söder-Kreuz sprechen – aus zwei Gründen. Erstens ist man hier in Bayern, beziehungsweise am bayerischen Bodensee-Zipfel. Zweitens wurde es erst vergangene Woche an der Wand befestigt – als Ergebnis des freistaatlichen Kreuzerlasses, den Ministerpräsident Markus Söder jüngst initiiert hat. Ein daraufhin verabschiedeter Kabinettsbeschluss der CSU-Regierung besagt, dass ab Freitag, 1. Juni, in den Eingangsbereichen aller Landesbehörden ein Kreuz zu hängen habe.

Es sei „als sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Bayern und Deutschland“ anzubringen, heißt es aus der Staatskanzlei in München. Söder selber sagt: „Das Kreuz ist das grundlegende Symbol der kulturellen Identität christlich-abendländischer Prägung.“ Dessen Bedeutung als religiöses Zeichen rückt der erst im März ins Amt gekommene ambitionierte Ministerpräsident dabei in den Hintergrund. Das Bundesverfassungsgericht hätte ansonsten womöglich eine Verletzung des staatlichen Neutralitätsgebots attestieren können. Immerhin kann auch in Bayern jeder glauben – oder nicht glauben –, was er will.

Den Landesbehörden bleoibt keine Wahl

Davon einmal abgesehen, hat Söder mit seinem Vorstoß eine aufgeregte bundesweite Debatte über Sinn oder Unsinn des Vorhabens losgetreten. Sie reicht bis in die weiß-blauen Amtsstuben hinein. „Eigentlich sollten Staat und Religion getrennt sein“, argumentieren zwei Mitarbeiter des Lindauer Amtsgerichts , die sich unter den Bäumen vor dem Gebäude eine Raucherpause gönnen. Nun soll das Söder-Kreuz zwar kein Zurück zu einer konfessionellen Obrigkeit bringen. Die beiden Leute glauben jedoch, dass es da Missverständnisse geben könnte.

Prinzipiell bleibt den Landesbehörden keine Wahl: Das Kreuz ist gut sichtbar dort zu befestigen, wo sich der Eingang befindet. So will es die Vorschrift. Wie eine Umfrage in Lindau ergeben hat, war das Amtsgericht am schnellsten mit dem Aufhängen, noch vor dem Finanzamt oder der Polizeiinspektion. Bei den Lindauer Gendarmen zeigt man sich zudem zur Wochenmitte noch etwas ratlos. Es gebe vom vorgesetzten Präsidium in Kempten bisher weder Anweisungen zum Kreuzerlass, noch sei ein Kreuz da.

Wobei selbst beim schnellen Amtsgericht nicht alles abschließend geregelt wurde. „Am jetzigen Platz ist das Kreuz nur provisorisch angebracht“, berichtet Gerichtschefin Brigitte Grenzstein. Vor Ort existiert nämlich ein Problem. Die Justiz teilt sich das historische Stiftsgebäude mit einigen Abteilungen des Landratsamtes. Dadurch wird die Angelegenheit ausgefuchst. Das Landratsamt verzichtet nämlich auf das angeordnete Kreuz. Weshalb Grenzstein noch Gesprächsbedarf hat: „Wir müssen jetzt mit dem Landratsamt noch abklären, wo unser Kreuz künftig am besten hängt.“

Der Landrat kann entscheiden

Hintergrund der leichten Irritation ist die Doppelfunktion bayerischer Landratsämter. Sie sind nicht nur Landes- sondern ebenso kommunale Selbstverwaltungsbehörde. Deshalb ist die Kreuz-Empfehlung bei ihnen unverbindlich. Der Landrat kann entscheiden. In Lindau ist dies Elmar Stegmann. Sein Nein zum Umsetzen des Kreuzerlasses begründet er folgendermaßen: „Wir leben in einem christlich geprägten Land, und dennoch sollte der Staat in weltanschaulichen Fragen Neutralität waren. Religion ist die Privatangelegenheit eines jeden Einzelnen. Außerdem spaltet die Diskussion um Kreuze in staatlichen Gebäuden unsere Gesellschaft eher, als dass sie zusammenführt.“

Stegmann hat ein CSU-Parteibuch. Dies kann als Indiz verstanden werden, dass die Christsozialen nicht geschlossen ihrem Ministerpräsidenten gefolgt sind. Auf der einen Seite tönen zwar die starken Befürworter wie Thomas Kreuzer aus der Allgäu-Metropole Kempten, der streng konservative CSU-Fraktionschef im Landtag. Aber gerade aus seiner Abgeordneten-mannschaft sind auch starke Zweifel an dem Erlass geäußert worden – vorsichtshalber nicht öffentlich. Es heißt beispielsweise: „Eine überflüssige Aktion. Wir haben dringendere Dinge zu behandeln.“ Ein im Allgäu beheimateter christsozialer Landesparlamentarier glaubt, dass Söders Vorstoß noch nicht einmal helfe, im rechten politischen Spektrum Boden gutzumachen: „Auf ein solches Kreuz stehen diese Leute nicht.“

Wahltaktik oder persönliches Anliegen

Ob der Ministerpräsident nun wirklich bloß auf die Landtagswahlen im Oktober geschielt hat, lässt sich nicht klären. Söder gibt sich als bewusster evangelischer Christ. Er war auch bis zum Jahresanfang Mitglied im Kirchenparlament der evangelischen Landeskirche. Es mag bei ihm also durchaus eine persönliche Verbundenheit mit dem Kreuz geben. Nichtsdestotrotz stand sofort der wahltaktische Vorwurf im Raum, als er Ende April seine Überlegungen darlegte.

Die Opposition vermutet geschlossen den Kreuzmissbrauch zu Wahlkampfzwecken. Von kirchlicher Seite gibt es ebenso entsprechende Stimmen. So betont der Münchner Weihbischof Wolfgang Bischof, das Kreuz sei „kein Wahlkampflogo“. Zusätzlich stört sich mancher theologische Geist an Söders Argumentation. Speziell sein Ausklammern der religiösen Bedeutung des Kreuzes ist Stein des Anstoßes. Andererseits gibt es eine gewisse Freude bei kirchlichen Vertretern, wenn Glaubenszeichen im öffentlichen Raum auftauchen.

In Lindau erklärt hierzu der evangelische Pfarrer Thomas Bovenschen: „Bereits als Kind aus einem nicht dezidiert christlich geprägten Elternhaus war das Kreuz für mich zuallererst ein Symbol des Friedens und der Versöhnung, die, wie ich später zunehmend erkennen durfte, im Wirken Jesu Christi und in seiner Botschaft einen besonderen Ausdruck gefunden haben.“ Deshalb, fährt er fort, solle man es sich „gerade auch in einer pluralistischen Gesellschaft gut überlegen, bevor man die öffentliche Verwendung dieses christlichen Symbols und damit ein Stück seiner wegweisenden Wirkung vorschnell aufgibt“. Entscheidender als das öffentliche Anbringen von Kreuzen werde aber immer sein, ob das, wofür das Kreuz steht, einen Menschen in seinem Inneren präge und leite.

Bayerische Mehrheitsmeinung

Einer seiner örtlichen katholischen Amtskollegen, Pfarrer Georg Alois Oblinger, meint: „Ich begrüße generell das Kreuz in der Öffentlichkeit, sei es am Wegesrand, auf Berggipfeln, in den Schulen oder anderen öffentlichen Gebäuden.“ Dies kann durchaus als bayerische Mehrheitsmeinung verstanden werden. So hat das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap im Auftrag des BR-Politikmagazins Kontrovers in einer repräsentativen Umfrage ermittelt, 53 bis 56 Prozent der Wahlberechtigten würden dem Erlass zustimmen.

Deutschlandweit sind hingegen laut einer Emnid-Studie weniger als ein Drittel der Befragten für ein Behörden-Kreuz. Aber in diesem Zusammenhang ticken die Uhren in Bayern wirklich anders als im restlichen Bundesgebiet – siehe das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1995. Es betraf die bayerische Schulverordnung. Sie sah Kreuze in jedem Grundschulklassenzimmer vor. Das Bundesverfassungsgericht erklärte dies für null und nichtig. Die Bayern ignorierten das Urteil jedoch weitgehend. Die Kreuze blieben in den Schulen. In der Regel hängen sie übrigens ebenso in bayerischen Gerichtssälen – wenn sie nicht gerade wegen einer Renovierung abgenommen und verräumt wurden, wie vor einigen Jahren am Lindauer Amtsgericht geschehen. Aus diesem Altbestand konnte nun aber wenigstens das Söder-Kreuz für den Eingangsbereich genommen werden.

In der Außenstelle des Finanzamtes am Paradiesplatz will man kreativer sein, Neues wagen. Schwemmholz als Baumaterial für das Kreuz ist angedacht. „Wir leben schließlich am Bodensee“, erläutert eine Mitarbeiterin die Motivation beim Griff auf dieses Material. Wo es hin soll, warten an diesem Mittag gerade Ilk-nar Konuskan und ihr Sohn Ender Bingül, ein angehender Student, auf einen Termin. Vor Generationen ist die vom Bekenntnis her islamisch geprägte Familie aus der Türkei zugewandert. Ob sich die beiden komisch vorkommen würden, sollte demnächst an der Wand gegenüber ein Kreuz sein? Die Antwort: „Nein, überhaupt nicht. Wir leben in einem christlichen Land.“

Ob das Schwemmholz-Kreuz nun wirklich am 1. Juni im Finanzamt hängt, ist zur Wochenmitte jedoch noch nicht ganz klar gewesen. Aber einen ersten Vorboten hat es im Eingangsbereich bereits gegeben. Jemand hat ein kleines Kreuz mit Kugelschreiber in die Wand geritzt.