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Eiswein

Seltene Winzer-Spezialität: Der nächste Bodensee-Eiswein kommt aus Meersburg

Lindau / Lesedauer: 7 min

Eiswein ist eine Rarität – Nur Genossenschaften können das notwendige Risiko eingehen.
Veröffentlicht:02.02.2022, 15:00

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Am Ende hängt es vor allem davon ab, ob es zum richtigen Zeitpunkt kalt genug ist. Mindestens minus sieben Grad. Erst dann dürfen die Trauben gelesen werden, und auch nur von Hand. Sonst darf ein Eiswein nicht Eiswein heißen. So will es das deutsche Weingesetz. Eiswein ist ein sogenannter Prädikatswein.

Valentin Wagner musste als Kellermeister des Meersburger Winzervereins diesen richtigen Zeitpunkt – wann tatsächlich geerntet wird – im Blick haben. „Da schaut man jeden Tag den Wetterbericht und bereitet sich seelisch und moralisch darauf vor, dass man bald sehr früh raus muss – bei Eiseskälte.“

Und plötzlich ist er da, der Kältesturz. Dann heißt es: jetzt oder nie. Am Vorabend des 13. Januars trommelt Wagner übers Handy alle verfügbaren Winzerhände des Vereins zusammen, damit sie am frühen Donnerstagmorgen bereitstehen, um die verschrumpelten und gefrorenen Trauben zu lesen. Mitmachen ist Ehrensache. Auch wenn es noch stockdunkel ist und acht Grad unter null. Eiswein ist so speziell, da ist man aus Prinzip bei der Lese dabei. Und auch wegen der Kameradschaft: Da packen alle zusammen an.

Risiko trägt die Gemeinschaft

Schließlich tragen auch alle, die bei der Ernte geholfen haben, das Risiko zusammen. Eiswein ist nämlich eine riskante Angelegenheit. Winzer müssen dafür eine nennenswerte Menge Weinreben stehen lassen und darauf hoffen, dass Klima und Wetter bis zur Lese im Januar mitspielen.

Tun diese es nicht, fällt die Ernte aus. Einzelunternehmern ist das Risiko eines Totalausfalls viel zu groß, deshalb sind es meist Winzergenossenschaften, die Eisweine herstellen. Weil sie den Verlust im Falle des Falles auf viele Schultern verteilen können.

 Noch im Morgengrauen sind die Kisten gut gefüllt.

Die Weinlese am 13. Januar wird dann bloß zwei Stunden dauern. Die Trauben müssen ausgepresst werden, solange das Wasser darin noch gefroren ist. Nur dann kommt das extrem dichte Konzentrat heraus, das den bei einem Eiswein erforderlichen hohen Oechsle-Wert von mehr als 128 Grad erreichen kann.

Valentin Wagner öffnet für den heutigen Besuch im Meersburger Weinkeller dann einen von zwei Metalltanks. Darin: eine hellbraune Brühe, auf deren Oberfläche sich Blasen bilden. Da gärt es also. Es sieht eher aus wie dicker Saft, nicht wie klarer Wein. Und strenggenommen ist es das jetzt auch noch: hochkonzentrierter Traubensaft. Zwei Monate wird die Gärung in Anspruch nehmen und die Lagerung dann nochmal acht bis zehn Monate, bevor aus dem Traubensaft ein Qualitätswein wird.

Eiswein ist Statussymbol für Winzer

„Eiswein ist ein totales Highlight“, sagt der 33-jährige Kellermeister strahlend, während er den Zuckergehalt des Weins kontrolliert. „Das ist auch erst mein zweiter Eiswein. Das erfüllt mich schon mit Stolz, dass die Ernte so gut verlaufen ist.“

Reich wird man damit nicht.

Geschäftsführer Martin Frank

330 Liter sind zusammengekommen. Das wird für fast 900 kleine Flaschen Eiswein (0,375l) reichen. Hätten die Meersburger Winzer die Trauben für regulären Wein geerntet, hätte der Hang etwa 4500 große Flaschen Wein (0,75l) erbracht. Die Differenz macht den stolzen Preis einer Flasche Eiswein aus, der bei knapp unter 40 Euro liegen wird. „Reich wird man damit nicht“, erklärt Geschäftsführer Martin Frank lachend. „Wir sind aber mächtig stolz darauf, den Eiswein zu haben.“

 330 Liter Eiswein blubbern im Tank vor sich hin. Ein Zeichen, dass es gärt. Fertig sollte der Wein in zehn bis zwölf Monaten sein.

Eiswein ist ein Nischenprodukt im Weinhandel. Er wird vor allen Dingen zum Dessert gereicht oder zu besonderen Anlässen. Weil er so selten ist und seine Herstellung so riskant, ist er also eher eine Art Prestigeobjekt für Winzer, ein Aushängeschild, allerdings keine Gelegenheit, schnelles Geld zu machen.

In zwei Jahrzehnten nur zwei Eisweine

Das Jahr zuvor ging es jedenfalls schief in Meersburg . Da wurde es nicht kalt genug. Anstelle eines Eisweins gab es dann halt eine Spätlese. Auch gut, aber nicht dasselbe. Den letzten Eiswein machten die Meersburger 2018. „Und davor kam lange nichts“, versucht sich Martin Frank zu erinnern. Georg Dreher, der Vorstandsvorsitzende des Vereins hilft: „Das ist 15 Jahre her, also 2003. Und davor irgendwann in den Neunzigern.“

So sieht der Eiswein aus Meersburg aktuell noch aus, Jahrgang 2021, weil er im vergangenen Jahr angebaut wurde.

Es war übrigens Drehers Fläche, die für den möglichen Eiswein stehen geblieben ist. Etwa 3500 Quadratmeter groß und mit Müller-Thurgau bepflanzt. „Für die Fläche haben wir uns entschieden“, erklärt Kellermeister Wagner, „weil sie sich in einer Senke befindet, wo sich kalte Luft sammelt.“ Da sei die Chance auf Minusgrade am höchsten.

 Kellermeister Valentin Wagner testet den Eiswein. Momentan ist er noch sehr süß und schmeckt eher wie ein normaler Traubensaft.

„Ob wir Eiswein machen können, hängt grundsätzlich davon ab, wie ertragreich der Jahrgang ist“, erklärt Geschäftsführer Frank. „Manchmal brauchen wir jede Traube für die reguläre Weinherstellung.“ 2021 sei am Bodensee ein guter Jahrgang gewesen, deshalb ging der Winzerverein das Risiko ein. Endgültig entschieden wird in der Gemeinschaft am Ende der Saison: Wenn Kellermeister, Geschäftsführer und Vereinsvorstand einverstanden sind, wird das Projekt angegangen und der auserwählte Hang vorbereitet.

Rarität in ganz Baden-Württemberg

Bislang ist nicht bekannt, ob auch andere Winzer am Bodensee einen Eiswein im Keller haben. „Am bayerischen Bodensee hat es schon mal Eisweine gegeben, aber das ist lange her“, gibt Josef Gierer vom Weinbauverein bayerischer Bodensee Auskunft. „Aber dieses Jahr ist mir nicht bekannt, dass einer einen macht“. Das Risiko sei zu hoch, der Absatz zu aufwendig, für Direktvermarkter sei Eiswein nur wenig interessant, aber die Aufmerksamkeit sei natürlich groß, wenn es einen gebe, weil er eben so selten sei.

 In den Metalltanks geht es an die Gärung.

Hermann Morast, Geschäftsführer des Weinbauverbands Württemberg, sind nur zwei Winzer im Verband bekannt, die dieses Jahr einen Eiswein machen: einer im Remstal und einer bei Stuttgart.

Und Holger Klein, Geschäftsführer vom Badischen Weinbauverband, zählt ebenfalls an einer Hand die Winzer ab, die seinem Wissen nach heuer einen Eiswein machen: einer in Britzingen südlich von Freiburg und zwei am Kaiserstuhl.

Der Eiswein des Meersburger Winzervereins ist demnach eine echte Rarität am Bodensee, im Jahrgang 2021 wohl sogar komplett einzigartig.

Klimawandel macht es schwieriger

Angesichts der Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte und mit dem Klimawandel im Blick, der die jährliche Durchschnittstemperatur auch am Bodensee steigen lässt, steht in den Sternen wie viel Eisweine vom Bodensee es überhaupt noch geben wird. Sicherlich wird es am Bodensee auch in Zukunft noch frostreiche Nächte geben. Aber wie viele? Und zu welchem Zeitpunkt?

 Zwischendurch werden Proben entnommen.

Die Chancen, gesunde Trauben für einen Eiswein zu lesen, stehen jedes Jahr schlechter. Den sensiblen Trauben, die zum Schutz mit Folien geschützt werden, werden auch die immer stärker werdenden Stürme zum Verhängnis. Irgendwann wird das Risiko vielleicht so groß sein, dass auch Genossenschaften nicht mehr bereit sein werden, es zu tragen.

Doch so weit in die Zukunft muss Kellermeister Valentin Wagner erst mal nicht denken. Jetzt gilt es, den Eiswein gut zu betüddeln und zu behüten, damit er hoffentlich zur Weihnachtszeit in den Handel kommen kann. Das hängt jetzt nur noch davon ab, wie er sich im Tank entwickelt. Aber ob es Dezember oder erst Januar wird: Freunde des Eisweins haben jetzt schon etwas, auf dass sie sich das ganze Jahr über freuen können.