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Exilio

Landkreis distanziert sich von Exilio

Lindau / Lesedauer: 9 min

Landrat Stegmann weist Vorwürfe von Gisela v. Maltitz als absurd und unhaltbar zurück
Veröffentlicht:04.05.2015, 18:05

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Es hat Zeiten gegeben, da hat der Landkreis Unterstützerbriefe für Exilio geschrieben. Damit der Verein für seine Flüchtlingsarbeit leichter an Fördergelder und Zuschüsse kommt. Doch die Zeiten sind vorbei. Endgültig, seit im Herbst 2012 Exilio von Jugendamtsleiter Patrick Zobel eine Unterlassungserklärung unterschrieben haben wollte: Er hatte damals, wie auch ein Ausschussmitglied, kritische Fragen zur Arbeitsweise des Vereins gestellt. Heute heißt es: „Der Landkreis arbeitet mit Exilio in der Betreuung von Flüchtlingen strukturell nicht (mehr) zusammen.“ Man sehe keine vertrauensvolle Basis für eine gemeinsame Arbeit.

Das hat viele Gründe, wie eine ausführliche Stellungnahme von Landratsamtsjurist Tobias Walch auflistet. Es fing damit an, dass „Projektaquise und -durchführung immer intransparenter wurden und innerhalb der Projekte für den Landkreis auch keine verlässliche Absprache und Zusammenarbeit erkennbar war“, wie Walch schreibt.

Zu denken gibt den Verantwortlichen im Landratsamt aber auch, dass ehrenamtliche Helfer – für den Kreis ein ganz wichtiger Faktor in der dezentralen Unterbringung und Betreuung der mittlerweile an die 480 Asylbewerber – kaum verlässliche Absprachen mit Exilio erreichten: „Uns gegenüber haben Ehrenamtliche berichtet, dass sie mit Exilio keine Basis für eine Zusammenarbeit sehen“, heißt es in der Stellungnahme.

Einen besonderen Blick hat Jurist Walch auf den von ihm verantworteten Bereich der Jugendhilfe: Sie habe den gesetzlichen Auftrag, auch Kindern und Jugendlichen aus Flüchtlingsfamilien ein gutes Umfeld fürs Aufwachsen zu geben. Deshalb hätten die freien Fachkräfte des Landratsamtes immer wieder den Kontakt zu Exilio gesucht, um Absprachen zu treffen. „Dies ist trotz mehrfacher Versuche nicht verlässlich gelungen“, stellt Walch fest. Die Folge: Vieles läuft parallel. Da würden beispielsweise Kindergartenplätze doppelt organisiert, vom Jugendamt wie auch von Exilio – was die Behörde als Verschwenden öffentlicher Ressourcen betrachtet.

Doch nicht nur das Landratsamt leidet unter der fehlenden Kooperation. Walch berichtet ähnliches von der Diakonie Kempten, die den Kreis Lindau beim Betreuen der dezentral lebenden Flüchtlinge intensiv unterstützt. Die Diakonie habe Spitzenverbände und die Regierung von Schwaben eingeschaltet, um eine klare Aufgabenverteilung in der Flüchtlingsarbeit zu erreichen: Danach hätte sich Exilio um die Menschen in den beiden Gemeinschaftsunterkünften in Lindau und Scheidegg kümmern sollen, während die Diakonie jene in den dezentralen Wohnungen betreue. Doch es klappt nicht: „Exilio hat sich auf diese Vorschläge nicht eingelassen, sondern geht weiterhin auch in die dezentralen Unterkünfte“, so Walch. So würden nun unter anderem Sozialleistungen doppelt beantragt, Arztbesuche doppelt organisiert, Dolmetscherdienste organisiert und wieder abgesagt.

Gezielte Kampagne unterstellt

Das Fass voll ist für Landrat Elmar Stegmann allerdings nach persönlichen Angriffen der Exilio-Geschäftsführerin Gisela v. Maltitz: In einem Fernsehinterview hatte sie ihm eine gezielte Kampagne unterstellt, weil in seiner Zeit als Leutkircher Oberbürgermeister angeblich ein Flüchtling bei der Abschiebung misshandelt worden sei und Exilio das damals aufgedeckt habe. Außerdem wirft v. Maltitz Stegmann Rufschädigung von Exilio vor: Er habe ungeprüft dem Sozialministerium Annahmen weitergeleitet, wonach Exilio öffentliche Gelder nicht den Richtlinien entsprechend verwende.

Der Lindauer Landrat weist sämtliche Vorwürfe als unhaltbar zurück: Zu einen sei nicht die Stadt Leutkirch, sondern das Regierungspräsidium Tübingen seinerzeit für Abschiebungen zuständig gewesen. Und Briefe ans Sozialministerium gebe es bereits seit 2007 unter seinem Vorgänger Eduard Leifert – aber mit dem Ziel einer klaren Aufgabenverteilung. Mit dem Einsatz öffentlicher Geld hätten sich die Schreiben nicht befasst, versichert Stegmann.

„Die absurden Behauptungen der Geschäftsführerin Gisela v. Maltitz unterstreichen einmal mehr das Geschäftsgebahren von Exilio“, so Stegmann: Anstatt mit falschen Anschuldigungen abzulenken, solle Exilio lieber die Fragen zur Kooperationsfähigkeit oder der Verwendung von Spenden und Steuergeldern beantworten.

Vorwürfe machen Geldgeber vorsichtig

Flüchtlingshelfer und Landratsamt Lindau werfen dem Lindauer Flüchtlingshilfeverein Exilio mangelnde Transparenz vor. Es sei nicht nachvollziehbar, wo das Geld hinfließe. Exilio arbeite mit ehrenamtlichen Helfern in den Flüchtlingsunterkünften ebenso wenig offen zusammen wie mit dem Landratsamt. Während Exilio die Vorwürfe zurückweist, fordern die Geldgeber eine Klärung.

Was Exilio mit den Fördergeldern macht, sei nicht nachvollziehbar, lautet der Vorwurf aus Kreisen ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer. Hinzu kommt die Kritik von Fachleuten, die Exilio zweifelhafte Praktiken bei der Arbeit mit traumatisierten Menschen vorwirft.

Andrea Eckert, Diplompsychologin aus München kann den Einzelfall nicht bewerten. Sie sagt aber auch: Eine entsprechende Weiterbildung ist für die Behandlung von traumatisierten Menschen absolut sinnvoll. Institute wie jenes der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie oder auch Emdria wenden sich in erster Linie an Psychologische Psychotherapeuten. Nur diese haben eine Kassenzulassung (Approbation). Keiner der Anbieter führt Axel von Maltlitz unter seinen Therapeuten auf. Er selbst ist als Heilpraktiker niedergelassen.

Zwei Träger beraten

Die Kritik an Exilio hat auch das bayerische Sozialministerium erreicht. Auf Anfrage der Lindauer Zeitung bestätigt Pressesprecherin Daniela Schürf, dass Exilio sich die Asylsozialberatung im Landkreis Lindau mit dem Diakonischen Werk teilt. Beiden Trägern gemeinsam hat der Freistaat im vergangenen Jahr dafür gut 30000 Euro gezahlt. Ein Bescheid für das laufende Jahr liege noch nicht vor.

Kompliziert wird es, weil das Ministerium nicht direkt Auftraggeber von Exilio ist. Das läuft vielmehr über den paritätischen Wohlfahrtsverband Bayern, dessen Mitglied Exilio ist. Der Landesverband überweise das Geld an Exilio nach Lindau.

Nach Bekanntwerden der Vorwürfe habe das Ministerium ein Gespräch mit Vertretern des paritätischen Wohlfahrtsverbands und Exilio geführt. Das Ministerium habe außerdem bereits vorab unangemeldet vor Ort die Asylsozialberatung und die Einhaltung der Förderrichtlinien kontrolliert. „Dabei haben sich keine Auffälligkeiten ergeben“, schreibt Schürf. Eigentlich sei die Überprüfung aber Aufgabe des Spitzenverbands. Deshalb gehe das Ministerium den Vorwürfen gemeinsam mit dem paritätischen Wohlfahrtsverband nach und sei außerdem in Kontakt mit dem Landratsamt.

Das bestätigt der Verband auf Anfrage der LZ: „Aktuell sind wir mit Exilio und den beteiligten Kooperationspartnern zu den Vorwürfen, insbesondere im Zusammenhang mit der Asylsozialberatung, in intensiven Gesprächen. Diese sind noch nicht abgeschlossen“, schreiben Alix Veh und Anja Timmermann von der Pressestelle des Paritätischen Wohlfahrtsverbands.

Derzeit keine Zuschüse

Grundsätzlich lobt die Pressestelle die Arbeit von Exilio, der seit 20 Jahren Asylsuchende berät. Da der Freistaat diese Leistung nur als freiwillige Aufgabe fördere, blieben die meisten Träger der Sozialberatung von Flüchtlingen auf einem Teil der Kosten sitzen. Ob und wie weit das auch für Exilio gilt, geht aus der Antwort nicht hervor. Denn Beträge nennt der Verband unter Bezug auf den Datenschutz nicht.

Da ist „Aktion Mensch“ auskunftsfreudiger. Pressesprecherin Ulrike Jansen teilt mit, dass Aktion Mensch Exilio von 2005 bis 2010 mit etwa 770000 Euro gefördert habe und listet auf: Gut 340000 Euro habe Exilio in den fünf Jahren für den Aufbau des Beratungsangebots erhalten, hinzu kamen 2006 knapp 230000 Euro für psychosoziale Integrationshilfen für junge Flüchtlinge und Migranten sowie im Jahr 2010 nochmals knapp 175000 Euro für sozialpädagogische Familienhilfe für Flüchtlingsfamilien in Lindau und gut 25000 Euro für ein Fahrzeug im Jahr 2005.

„Gezahlt wird immer nur das, wofür bisher bereits Geld seitens der Träger ausgegeben wurde. Dafür muss die geförderte Einrichtung entsprechende Gelege sowie Fachberichte vorlegen“, erklärt Jansen.

Derzeit zahle die Aktion Mensch keine Zuschüsse an Exilio, ergänzt Jansen, und so bleibt es vorerst auch: „Bis zur vollständigen Klärung werden wir keine neuen Anträge des Vereins Exilio entgegen nehmen.“

Exilio-Chefin weist die Kritik zurück

Als in vollem Umfang falsch weist Exilio die Vorwürfe am Lindauer Flüchtlingshilfeverein zurück. Geschäftsführerin Gisela von Maltitz sieht sich vor allem durch Landrat Elmar Stegmann und den für die Flüchtlinge zuständigen Juristen im Landratsamt, Tobias Walch, in Misskredit gebracht. Das geht aus einer 15-seitigen Stellungnahme hervor, mit der von Maltitz auf Fragen der LZ antwortet.

Exilio gehe mit seinen Finanzen so offen um, wie es dem Verein möglich sei. Konkret wird von Maltitz aber nicht, wofür sie diese Begründung hat: „Mit der umfangreichen Veröffentlichung der Geldgeber und Projektträger muss aufgrund der stattgefundenen Verleumdungen der Vergangenheit und schädigenden Behauptungen des Herrn Landrat mit äußerster Vorsicht umgegangen werden.“

Die Geschäftsführerin schreibt, der Verein trete nicht als Wirtschaftsunternehmen auf. „Im Jahr 2013 bewegten sich die Ausgaben im unteren sechsstelligen Bereich.“ Das Geld stamme aus verschiedenen Quellen, zu denen staatliche und europäische Stellen, Spendenlotterien, Stiftungen, Sponsoren und andere gehörten. Im Gegensatz zum Landkreis Lindau trügen zudem andere Sozialhilfeämter in Deutschland die Kosten der Traumatherapien von Flüchtlingen.

Auf der Kostenseite gibt Gisela von Maltitz Löhne und Gehälter sowie Honorare für Dolmetscher, Anwälte oder hinzugezogene Ärzte an. Hinzu kämen Versicherungen, Mieten, Fahrt- und Telefonkosten sowie weitere Nebenkosten. „Jeder, der weitere Transparenz wünscht, ist zu einem persönlichen Gespräch herzlich eingeladen.“

Damit alles mit rechten Dingen zugehe, müsse Exilio den Geldgebern genaue Abrechnungen und Sachberichte vorlegen. Zusätzlich habe nach Bekanntwerden der jüngsten Vorwürfe das Sozialministerium gemeinsam mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband kontrolliert und alles für in Ordnung befunden.

Exilio verweist auf eine stabile Mitgliederzahl und nennt die Zahl von 31 Mitgliedern im Jahr 2009. Neuere Zahlen gibt es in der Stellungnahme nicht. Hinzu kämen nach wie vor ehrenamtliche Helfer, ohne deren Einsatz vor allem der Betrieb der „Kulturbrücke“ nicht möglich wäre. Gemeint ist das Begegnungszentrum für Migranten und Deutsche auf der Insel.

Keine Adressen gegeben

Schwierig sei aber die Zusammenarbeit mit dem Landratsamt, das die Hilfe des Vereins ablehne. Ehrenamtliche Helfer befürchteten Probleme, wenn die Behörde erfahren könnte, dass Helfer mit Exilio in Kontakt sind. Das Landratsamt gebe dem Verein nicht einmal Adressen der Unterkünfte, wenn Exilio den Flüchtlingen Weihnachtsgeschenke überbringen wolle.

Dass Exilio vor zweieinhalb Jahren mit Unterlassungserklärungen gegen Mitarbeiter des Landratsamts und ein Mitglied des Jugendhilfeausschusses geantwortet habe, erklärt von Maltitz damit, dass deren Aussagen undifferenziert und rufschädigend gewesen seien. Den Vorwurf, der Verein gehe auch mit früheren Mitgliedern rüde um, weist sie von sich. Der Verein müsse sich aber mit allen rechtlichen Mitteln schützen.

Dass dennoch viele Flüchtlinge die Hilfe von Exilio suchten, führt von Maltitz auf den guten Ruf zurück, die sie für ihre Beratung und Betreuung der Flüchtlinge genieße, ebenso wie ihr Mann Axel von Maltitz für seine psychologischen Gutachten und Stellungnahmen.

Exilio räumt ein, dass Axel von Maltitz kein approbierter Psychotherapeut oder gar Facharzt ist. Vielmehr arbeite er auf der Grundlage des Heilpraktikergesetzes. Das sei aber ebenso gesetzlich anerkannt. Darauf ließen unter anderem Aufträge für Gutachten für Gerichte schließen. Gisela von Maltitz weist dabei den Vorwurf von Gefälligkeitsgutachten ebenso zurück wie den der Tatenlosigkeit. Denn die Gutachten ihres Mannes seien mal erfolgreich im Sinne des Flüchtlings und mal nicht, das hänge in jedem Einzelfall vom Richter ab.