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Kinderschutzbund

Kinder lernen „Eltern auf Probe“ zu sein

Lindau / Lesedauer: 4 min

Ein Baby auf Zeit – das Ferienangebot des Kinderschutzbundes macht es möglich
Veröffentlicht:20.08.2019, 12:46

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„Eltern auf Probe“ – Was im richtigen Leben unmöglich wäre, geht bei dem Ferienangebot des Kinderschutzbundes ohne weiteres. Denn hier können Mädchen und Jungs ab 13 Jahren einen Tag lang ausprobieren, wie es ist, Mama oder Papa zu sein. Allerdings ist das süße Baby nur das Tüpfelchen auf dem i. Johanna Bitterling und Anne Knütter reden mit den Jugendlichen obendrein über alles, was sie sonst noch zum Thema Sex, Verhütung, Liebe und Beziehung wissen wollen.

„Das Projekt gibt es schon seit zehn Jahren hier beim Kinderschutzbund“, erzählt Johanna Bitterling, während sie einen großen schwarzen Koffer anschleppt. Anne Knütter eilt ihr zur Hand und gemeinsam öffnen die beiden jungen Frauen den Deckel. Zum Vorschein kommen – welch lustiger Anblick – fünf babygroße Puppen, in rosafarbenen und hellblauen Stramplern. Dicht an dicht liegen sie da.

„Das sind Babysimulatoren“, stellt Bitterling die Babys vor, von denen eines sogar dunkelhäutig ist. Eines nimmt die zweifache Mutter behutsam heraus, setzt es auf ihren Schoß und liebkost es augenzwinkernd. Noch nimmt das Baby dies reglos hin. Bis die 32-Jährige es auf dem Bauch legt, den Strampler öffnet und es mittels eines Knopfes an seinem Rücken aktiviert. Dann fängt es an zu schreien. Wie ein echtes Baby. Erst leise, dann immer lauter. „Was hat es denn?“, fragt Johanna Bitterling verschmitzt und zwei „junge Mütter“ schauen sich ratlos an. „Hunger?“, tippt die Reporterin. „Windel voll?“, meint Anne Knütter. „Mittlerweile erkenne ich am Schreien, was das Baby will“, lacht Bitterling, zieht den Strampler ganz aus und legt dem Baby eine neue Windel an. Nur so tun, als ob, geht nicht. Denn die Windel hat einen eingenähten Chip. Und die „Mutter“ wiederum ist mittels eines Identifikations-chips beim Baby angemeldet. Dadurch wird alles was sie macht, beziehungsweise nicht macht, vom Baby registriert. Jedes Kleidungsstück, aber auch die Trinkflasche oder der Stillsimulator haben Chips. Das Baby registriert sogar, wenn der Kopf falsch gehalten werde. „Wenn er zu oft falsch gehalten wird, schaltet sich das Baby ab.“ Ebenso wenn es geschüttelt wird, wenn es zu warm angezogen ist oder wenn es nicht gefüttert oder nicht liebkost wird. Die Puppe schaltet sich ab, ein echtes Baby wäre tot.

„Ziel ist die Prävention und der verantwortungsvolle Umgang mit Sexualität, Schwangerschaft und Elternschaft“, erklärt Johanna Bitterling, die als pädagogische Fachkraft vom Kinderschutzbund mit diesem durch das Landratsamt Lindau finanzierten Projekt betraut ist. Was normalerweise als Wochenend-Workshop gedacht ist, bietet sie an Schulen an und jetzt, zum ersten Mal, als eintägige Ferienaktion. Und zwar in gestraffter Form. Denn eigentlich geht es bei dem Projekt um Partnerschaft, Familie, Sexualität und Verhütung, Schwangerschaft und Entwicklung des Kindes im ersten Lebensjahr. Gleichzeitig ist es mit einem Praktikum vergleichbar. Die Jugendlichen bekommen die Möglichkeit zu schnuppern, sich zu orientieren und sich mit den Verantwortlichkeiten und Pflichten des „Berufes Mutter beziehungsweise Vater“ auseinanderzusetzen. Und sie lernen Verantwortung zu übernehmen, sammeln Erfahrungen und bekommen zu spüren, welche Veränderungen im Leben der Eltern ein Baby mit sich bringt. Themen also, die sich eigentlich nicht in ein paar Stunden abhandeln lassen.

Mit Babybauch Schuhe binden

Aber Johanna Bitterling will sich deshalb bei der Ferienaktion auf die wichtigsten Themen beschränken: Verhütung, Beziehung und Lebensplanung. „Es geht darum, aufzuklären und Unsicherheiten zu besprechen“, sagt sie und erklärt, dass es ihr zu allererst darum gehe, mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Und dass sie das mithilfe von Rollenspielen, Collagen und verschiedener anderer Methoden erreiche. Deshalb bringe sie auch immer gerne einen Schwangerschaftsbauch mit, den sich die Jugendlichen umbinden dürfen, um sich damit dann die Schuhe zuzubinden. Oder sie stellt provokante Fragen, wie etwa, ob Geschirrspülen Frauensache oder welches das beste Verhütungsmittel sei. Damit breche sie erfahrungsgemäß das Eis und alle Teilnehmer kämen dadurch ins Gespräch. Praktische Übungen, wie eben die mit dem Babysimulator, seien dann das „i-Tüpfelchen“. Dazu gehöre beim Spaziergang auf der Straße dann auch das Gefühl, schräg angeschaut zu werden, weil man noch so jung sei und schon ein Kind habe.

„Was es eigentlich heißt, ein Baby zu haben, das ist doch gerade für Einzelkinder interessant, denn die finden Babys immer süß“, weiß Anne Knütter, die Johanna Bitterling bei der Ferienaktion unterstützt. Die pädagogische Fachkraft hat selbst fünf Kinder, „aber die wissen, dass Babys nervig sind“, lacht sie. Trotzdem würde ihre eigene zwölfjährige Tochter gerne bei dem Ferienangebot mitmachen. Nicht wegen der Babys, dafür aber wegen der anderen Themen. Schließlich beginne gerade ihr Körper damit, sich zu verändern.