StartseiteRegionalRegion LindauLindauHauptsache kein ZUP-Assi sein

Stadtbus

Hauptsache kein ZUP-Assi sein

Lindau / Lesedauer: 8 min

Wenn der Stadtbus nachts zum Partybus wird
Veröffentlicht:29.02.2016, 19:25

Von:
Artikel teilen:

Die Jugendlichen sind laut. Sie spielen Ghetto-Musik auf ihren Handys ab und rappen mit. Es ist schon dunkel, aber grelle Lichter beleuchten den ZUP. Einer der Jugendlichen lässt seine Kippe in den kleinen Spucke-See flitschen, der vor seinen Füßen liegt. Sie lachen und schubsen sich gegenseitig. Jungs und Mädchen stehen streng getrennt – schließlich sind sie pubertär.

Plötzlich bewegen sich alle gleichzeitig. Es muss ein Schuss gefallen sein, den nur Jugendliche hören können, denn alle strömen in die bereitstehenden Busse. Sie winken sich gegenseitig zu, aber verschwinden in verschiedene Linien. Dabei mischen sich die Teenager wild und ohne erkennbares Muster. Ein Mädchen ist spät dran. Panisch rennt sie noch zu einer der offenen Türen. „Wohin geht ihr?“, will sie von den anderen Jugendlichen im Bus wissen. Doch die Antwort gefällt ihr nicht. Sie wollen zu Mc Donalds, doch das Mädchen hat kein Geld. Sie steigt trotzdem ein – Hauptsache kein ZUP-Assi sein. Denn wer nicht in Bewegung bleibt, gehört nicht dazu.

Jeden Freitag- und Samstagabend treffen sich Jugendliche am ZUP. Bei den Stadtwerken Lindau beschweren sich regelmäßig Busfahrer und ältere Fahrgäste über ihr Verhalten. Sie fühlen sich bedroht und belästigt. Einige würden sich nicht mehr trauen, abends Bus zu fahren. René Pietsch , Betriebsleiter der Stadtwerke Lindau, fühlt sich mit dem Problem alleine gelassen. Die Polizei kann bei Pöbeleien und Lautsein nichts ausrichten. Und Stefan Fürhaupter vom Jugendtreff Xtra sagt, dass da auch kein Rund-um-die-Uhr-Jugendtreff helfen könne (siehe Berichte unten).

Die Buslinie drei ist übervoll. Nicht nur Minderjährige fahren mit. Einige nutzen den Stadtbus am Wochenende, um zu Partys zu fahren. Hinten quetscht sich eine Gruppe von rund 20 Jugendlichen zwischen die Sitze. Sie reden über hübsche Bilder und die Brüste von irgendwelchen Prominenten. Sie grölen und lachen und hauen sich gegenseitig auf die Schultern. Eine große Saftflasche geht im Kreis herum – jeder trinkt ein paar Schlucke daraus. Es wird wohl kein purer Saft sein. Ein älteres Ehepaar sitzt mitten im Trubel und unterhält sich unbeirrt über seinen Einkauf. „Busfahrer, mach das Radio an“, schreit einer der Halbstarken. Doch niemand reagiert, und witzig findet es auch keiner.

Am Mc Donalds öffnen sich die Bustüren. Die Jugendlichen strömen raus. Nach lautem Gejubel kehrt Stille ein. Das Mädchen ohne Geld sitzt noch im Bus, sie bleibt mit ihrer Freundin zurück. Als der Bus dann anfährt, knallt und scheppert es laut in den hinteren Reihen. Die Jugendlichen haben ihre Flaschen liegen lassen.

„Sie haben gesagt, sie töten mich“

Nicht nur die Jugendlichen treffen sich alle halbe Stunde am ZUP. Auch die Busfahrer haben dann Zeit für ein kurzes Schwätzchen und eine Zigarette. Die letzten Fahrten seien die schlimmsten, erzählt einer der Busfahrer. Dann müsse er regelmäßig die Wodka-Flaschen aus den hinteren Reihen holen. „Einmal haben welche zwei Runden lang geschlafen. Ich habe sie geweckt, aber sie wollten nicht aufstehen.“ Einige der Busfahrer seien bereits bedroht worden: „Sie haben gesagt, sie töten mich und warten auf mich.“ Heute sei ein ruhiger Abend, das sei vom Wetter abhängig.

Kaum sind die Jugendlichen im Bus, verziehen sie sich in die hinteren Reihen. Diesmal sind es 13 Jungs und Mädchen. Niemand muss stehen, denn der Schoß eines Freundes ist ein genauso guter Sitzplatz. Sie lachen, erzählen Geschichten und machen Selfie-Fotos. Trotzdem hat fast jeder Kopfhörer mit Musik im Ohr. Sie überlegen, wo sie aussteigen sollen. Nach kurzer Bedenkzeit ist die Antwort klar: Auch sie wollen zu Mc Donalds. „Aber hat einer von euch noch Geld?“, fragt eine der jüngeren in der Runde. Keiner meldet sich. Die Argumente sind klar: Draußen ist es kalt, aber keiner hat Geld für Restaurant oder Café. „Gehen wir einfach zu dir nach Hause“, schlägt eines der Mädchen ihrer Nebensitzerin vor. „Spinnst du? Mit so vielen Leuten? Meine Mutter dreht durch“, entgegnet die entsetzt. Also fahren sie durch bis zum ZUP, dort wird sich schon etwas ergeben. Aber ZUP-Assis seien sie trotzdem keine, das sind andere.

Am ZUP steigt auch Andrea Scholz aus. Sie saß mitten unter den Jugendlichen. Gestört hat sie das nicht. „Jeder hat das gleiche Recht im Bus zu fahren. Ob das Schüler morgens oder Jugendliche abends sind. Das ist mir egal.“ Scholz gehört nicht zu den Fahrgästen, die sich abends nicht in den Stadtbus trauen.

Die gebe es aber, sagt Pietsch von den Stadtwerken Lindau . Er will das Problem angehen, weiß aber nicht wie. „Ich könnte auch einen Ordnungsdienst engagieren. Dann stelle ich Freitag und Samstag richtige Schränke in den Bus.“ Von selbst wird sich das Problem wohl nicht legen. Wer hofft, dass sich der Trend verliert, wenn die Jugendlichen aus dem Alter raus sind, irrt. Denn der Nachwuchs fährt bereits mit und kennt die Plätze genau. Denn es sind Zwölfjährige, die noch nach zehn in den hinteren Reihen des Stadtbusses sitzen.

Das sagt der Polizist: „Pöbeln ist keine Straftat“

Das abendliche Problem mit pöbelnden Jugendlichen im Stadtbus und am ZUP ist der Polizei Lindau bekannt. Doch solange die Teenager keine Straftaten begehen, sei das ein Problem des Stadtbusses. „Pöbeln ist eine unschöne Sache, aber keine Straftat“, sagt Lindaus Polizeivize Thomas Steur. Erst wenn die Jugendlichen beleidigen oder drohen, kann die Polizei einschreiten. Im Winter seien die Jugendlichen vermehrt im Stadtbus oder im Lindaupark unterwegs „Da ist es warm, sie haben Platz und da können sie sich treffen“, sagt Steur. Im Sommer würde sich das Problem erübrigen, denn dann hätten die Jugendlichen genug Möglichkeiten, sich an der frischen Luft zu verabreden. Steur vermutet, dass die Teenager kein Geld für Gaststätten oder Cafés haben und deswegen ihre Schülermonatskarten nutzen, um kostenlos im Stadtbus zu fahren. „Die Zeiten für die Gültigkeit der Schülerkarte sollten begrenzt werden. Dann nutzen sie den Stadtbus vielleicht anders“, schlägt Steur vor. Das Problem könne sich lösen, wenn die Fahrkarten abends und an den Wochenenden ungültig wären.

Das sagt der Betriebsleiter: „Wir fühlen uns da allein gelassen“

Im Stadtbus und am ZUP gibt es einen Generationenkonflikt. René Pietsch, Betriebsleiter des Stadtverkehrs Lindau beobachtet das Problem mit Sorge. Eine Reihe von Jugendlichen nutzt den Stadtbus als Freizeittreff und könne sich nicht benehmen. Ältere Fahrgäste fühlten sich dadurch belästigt und zum Teil bedroht. Andererseits gebe es aber auch Fahrgäste, die sich an den Jugendlichen stören, einfach weil es Jugendliche sind. „Wir fühlen uns beim Stadtbus da alleine gelassen. Ich muss eingestehen, ich bin ratlos, wie dem Herr zu werden ist“, sagt Pietsch. Die Probleme, die der Betriebsleiter anführt sind vielfältig: „Sie rauchen am ZUP da, wo sie es nicht dürfen und haben Schlägereien. Die sitzen da eine halbe Stunde rum, und man braucht Gummistiefel, um über den ZUP zu laufen, weil sie rumspucken. Sie sind laut und sie haben die Füße auf den Stühlen.“ Es sei auch schon vorgekommen, dass Jugendliche mit körperlicher Gewalt auf Busfahrer losgegangen seien. Laut Pietsch habe es schon Treffen mit Polizei und Jugendtreff gegeben, doch das rechtliche Maß sei eben ein anderes, als das einer Rentnerin. „Die Jugendlichen haben zu wenig Aufenthaltsräume, wo sie sich überdacht treffen und sitzen können“, sagt Pietsch. Es gebe keinen Königsweg, er hat noch keine Lösung.

Das sagt der Pädagoge: „Das gehört zum Jugendlichsein dazu“

Der Stadtbus als Jugendtreff ist für Stefan Fürhaupter vom Jugendtreff Xtra ein Phänomen. „Der ZUP ist ein spannender Punkt, wo sie sich alle halbe Stunde treffen können. Das bedient ein jugendliches Bedürfnis“, sagt der Pädagoge. Da würden auch mehrere Jugendtreffs mit Öffnungszeiten rund um die Uhr nichts helfen, „das gehört zum Jugendlichsein dazu.“ Fürhaupter versteht den Ärger, wenn sich Jugendliche mit anderen Fahrgästen in die Haare kriegen. Doch das sei nicht nur die Initiative der Teenager, oft würden sie auch provoziert. „Ich habe das Gefühl, dass manche nur darauf warten, um sich gleich zu beschweren“, sagt Fürhaupter. Es gebe genügend Fahrgäste, die dazu beitragen, dass der Stadtbus kein freundlicher Ort sei. Das Problem sei auch die schiere Größe der Gruppen. „Wenn ein Verein mit acht oder zehn Leuten vom Oktoberfest heimfährt, dann fällt das auch unangenehm auf.“ In Lindau sei die Situation insgesamt sehr entspannt. „Wir haben mit der Polizei zusammen festgestellt, dass alles im grünen Bereich ist.“