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Gewölbesaal

Gerd Müller stellt sich auch unbequemen Fragen

Lindau / Lesedauer: 6 min

Mehr als Hundert Lindauer nehmen den CSU-Bundestagsabgeordneten und Entwicklungsminister unter die Lupe
Veröffentlicht:13.11.2018, 18:10

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Er liegt nicht mit allem auf der Linie der Partei. Und er bleibt bei manchen aussagen zurückhaltend, ohne sich zu verstecken oder gar anzupassen. Entsprechend gut ist Gerd Müller am Montagabend bei mehr als Hundert Lindauern angekommen. Im Gewölbesaal durften sie ihn alles fragen. Nach zwei Stunden musste er allerdings weiter, sodass noch viele Fragen offenblieben. Deshalb will der Minister wiederkommen.

Seit mehr als 20 Jahren ist Gerd Müller mit

„Einmal Freund, immer Freund“, antwortete Müller und machte deutlich, dass er Merz deshalb gerne als neuen CDU-Vorsitzenden hätte. Ihm imponiere, dass Merz zehn Jahre lang raus war aus der Politik und erfolgreich in der Wirtschaft tätig war. Als katholischer Mann aus ländlicher Region würde der auch gut zur CSU passen. Unverständlich sei die Kritik an der Tatsache, dass Merz Millionär ist, das sei doch gut: „Er ist unabhängig.“

Müller hält die Entscheidung über den CDU-Vorsitz für überaus wichtig, denn der neue Parteivorsitzende „ist natürlich auch der nächste Kanzlerkandidat“ der Schwesterparteien CDU und CSU. Interessant sei deshalb die Tatsache, dass es mehrere Kandidaten gibt: „Ich finde es toll, dass wir einen Wettbewerb haben.“ Und Merz’ schärfste Gegnerin wäre ebenfalls keine schlechte Vorsitzende: „Kramp-Karrenbauer ist eine total patente Frau.“

Auch in der CSU steht ein Wechsel beim Parteivorsitz bevor. Wie beurteilt Gerd Müller das?

Ganz deutlich wollte sich Müller nicht äußern. Er ließ aber erkennen, dass er kein großer Fan des Ministerpräsidenten Söder ist, der auch Vorsitzender der CSU werden soll. Denn Müller wünschte sich, dass es auch in seiner Partei die Auswahl unter drei Kandidaten gäbe. „Und darunter eine spannende Frau – das wäre doch mal was Neues.“

Auf die Frage nach dem Streit in der Parteiführung flüchtete sich Müller in Spott und verwies auf den zerstrittenen CSU-Ortsverband Lindau : „Wir haben jetzt bayernweit Lindauer Verhältnisse.“ Die CSU müsse wieder Themen wie die Bewahrung der Schöpfung, die Gerechtigkeit und das Wohl künftiger Generationen in den Blick nehmen. Themen, die man zu sehr den Grünen überlassen habe. Erste gute Ansätze sieht Müller im Koalitionsvertrag: „Ich freue mich, dass man jetzt in der CSU das Wort ,Klimaschutz’ entdeckt hat.“ Das müsse dann aber auch bei Themen wie dem umstrittenen Ausbau des Riedberger Horns in der Politik eine praktische Rolle spielen, mahnte er den anwesenden Landtagsabgeordneten Eric Beißwenger.

Was hält der Minister von der Entwicklung in Lindau?

Vor der Veranstaltung ist Müller zum ersten Mal durch die Unterführung Langenweg gefahren. Die neue Inselhalle kennt er bereits. „Das sind Jahrhundertwerke!“, schwärmt er. Besonders freut ihn, dass es weitergeht: „Es wird gegraben und gebaggert – dass ich das noch erleben darf!“ Dafür lobt er seine Parteifreunde im Stadtrat, aber auch alle anderen, die daran beteiligt sind, ohne den SPD-OB beim Namen zu nennen: „So viel Entwicklung war noch nie in dieser Stadt.“

Welche Rolle spielt Deutschland bei der Entwicklungshilfe in der Welt?

Eine sehr große: „Humanitär sind wir eine wirkliche Macht.“ Nämlich die Nummer zwei in der Welt, hinter den USA, die trotz der Kürzungen unter Präsident Trump immer noch der größte humanitäre Geldgeber sind. Danach folgen Großbritannien, Frankreich und die Europäische Union. Es sei aber ein Problem, dass sechs Länder neun Zehntel der humanitären Hilfsgelder aufbringen.

Wie geht Deutschland nach dem Mord an Regimekritiker Jamal Kashoggi mit Saudi-Arabien um?

Noch schlimmer als dieser Mord ist laut Müller die Rolle Saudi-Arabiens im Jemen-Krieg, einem Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran auf Kosten der ärmsten Menschen der Welt. Zwölf Millionen Menschen sind dort deshalb auf der Flucht. „Cholera rafft Tausende Kinder weg.“ Der Minister unterstützt deshalb die Entscheidung von Kanzlerin Merkel, keine Waffenlieferungen mehr an Saudi-Arabien zu genehmigen: „Es herrscht absoluter Exportstopp.“ Sehr zum Unwillen des französischen Präsidenten Macron übrigens.

Wie kann Deutschland dazu beitragen, dass auf dieser Welt niemand mehr verhungern muss?

Als Christ könne er es kaum ertragen, dass jedes Jahr unzählige Menschen den Hungertod sterben, sagte Müller. Dabei wäre es möglich, alle Menschen zu ernähren. Das würde im Jahr 20 Milliarden Euro kosten. Das Geld soll laut Müller aus einer Besteuerung von Börsengeschäften kommen. Müller fordert 0,01 Prozent Steuern auf den Derivatehandel. „Da würde in Frankfurt kein Bankenturm umfallen“, das würde aber jedes Jahr 65 Milliarden Euro Steuereinnahmen allein innerhalb der EU bringen. Müller hofft deshalb, dass ein Finanzministerkollege die Finanztransaktionssteuer beim nächsten EU-Gipfel befürwortet. Und wenn nur zehn EU-Länder vorangehen, wäre das ein guter Anfang. Auch die riesigen Internetkonzerne müsse man dazu zwingen, in Europa Steuern zu zahlen, wie sie jeder deutsche Mittelständler und jeder Arbeitnehmer zahlen muss. Dann wäre genug Geld da, um auch den Ärmsten der Welt zu helfen.

Müller berichtete außerdem, wie Deutschland in Afrika inzwischen 15 landwirtschaftliche Ausbildungszentren betreibe. Dort lernen Bauern, dass sie mit anderem Saatgut oder anderem Milchvieh die Ernte verdreifachen können. Erfolgreich sei es außerdem, wenn man vor allem Frauen Zugang zu eigenem Land und zu Kapital ermöglicht. Schwierig sei das allerdings in Regionen, die stark vom Klimawandel betroffen sind. Dort will Deutschland jetzt ein spezielles Zentrum einrichten, das nicht nur berät, sondern auch forscht. Von den Erkenntnissen könne irgendwann sogar die heimische Landwirtschaft profitieren.

Wie steht der Entwicklungsminister zu Exporten von Lebensmitteln aus Europa nach Afrika?

Ganz werde man das nicht verbieten können, weil es in afrikanischen Ländern eine Oberschicht gibt, die solche Produkte will. Müller warnte aber davor, Afrika zum „Ventil für europäische Überschüsse“ zu machen, denn das würde den Aufbau einer Landwirtschaft dort zerstören. Mindestens zehn Jahre lang seien deshalb Schutzzölle nötig. Umgekehrt sprach sich Müller dafür aus, dass Länder wie Tunesien in die EU exportieren sollen, wenn sie zum Beispiel beim Olivenöl dazu in der Lage sind. Da müsse die EU ihre Märkte öffnen, auch wenn das manch heimischer Landwirt nicht gerne höre.

Wie kann jeder einzelne Deutsche den Armen in den Entwicklungsländern helfen?

Müller kennt viele Beispiele und hob eine neue Initiative seines Ministeriums in Zusammenarbeit mit dem Städte- und Gemeindetag hervor. Unter dem Motto „Tausend Schulen für die Welt“ wollen Kommunen Schulen aufbauen, die jeweils nicht mal 50 000 Euro kosten. Das müsste auch der Landkreis Lindau aufbringen, rief Minister Müller Ulrich Pfanner auf, den CSU-Kreisvorsitzenden und Sprecher der Bürgermeister im Landkreis.