Dass es den Klimawandel gibt, ist für die Fachleute unstreitig, die am Montagabend auf Einladung der Stadt gesprochen haben. Ebensowenig zweifeln sie daran, dass Lindau schon unter denn Folgen leidet. Positive Folgen sehen sie kaum. Denn auch ein heißerer Sommer hat seine Nachteile.
Vor rund 50 Zuhörern haben Fachleute im Sparkassensaal den Klimawandel selbst und seine Folgen für Landwirtschaft, Weinbau und Fischerei erläutert. Am eindrucksvollsten war Wetterexperte Roland Roth von der Wetterwarte Süd in Bad Schussenried, der es nicht mehr hören kann, wenn jemand meint, solche Phänomene habe es doch immer schon gegeben: „Es gab schon immer Wetterextreme, aber die Häufung der Wetterextreme ist Folge des Klimawandels.“
Das belegte er mit zahllosen Ereignissen und Bildern. Zudem zeigte er, dass natürliche Klimaschwankungen sind in Hunderten von Jahren abspielen, während der Klimawandel dafür kaum vier Jahrzehnte gebraucht habe. Und wenn jemand zwei bis vier Grad Erderwärmung für kaum der rede wert hält, dem sagt Roth, dass es bei der Eiszeit in Lindau im Durchschnitt nur fünf Grad kälter war als heute.
Seit etwa 40 Jahren lasse sich deutlich messen, dass die Temperaturen auf der ganzen Erde nach oben gehen, berichtete Roth. Es gebe seitdem jede Menge Hitzerekorde, aber Monate, in denen es zu kalt war, gebe es kaum mehr. In Lindau sei es heute bereits etwa 1,7 Grad wärmer als vor hundert Jahren. Die Folge seien Extreme: Längere Dürrezeiten, stärkere Regenunwetter, heftigere Stürme, späte Kälteeinbrüche, frühes Frühjahr und jede Menge Hitzetage. Temperaturen von mehr als 35 Grad habe es in Lindau in den 60er und 70er Jahren kaum gegeben, heuer seien die in jedem Sommer normal.
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Als Ursache benannte Roth vor allem den Verkehr. Heizungen und Industrie hätten ihren klimaschädlichen Ausstoß verringert, aber der Verkehr nehme ständig zu. Deshalb habe die Menschheit es auch noch nicht annähernd geschafft, den Kohlendioxidausstoß zu verringern. Das betreffe natürlich die Autos, vor allem aber auch Flugverkehr und große Schiffe. Statt ständig schärferer Verordnungen zum Dämmen der Häuser forderte Roth deshalb von der Politik eine ganz andere Verkehrspolitik. Sonst müsse man die Folgen des Klimawandels völlig machtlos hinnehmen.
Im Juni und September ist es warm, im August viel zu feucht
Das Bremsen des Klimawandels ist auch deshalb schwierig, weil die Folgen erst mit 40 Jahren Verspätung zu merken sein werden, wie Peter Triloff hinzufügte. Der Pflanzenschutzberater beobachtet das Wetter im Auftrag der Marktgemeinschaft Bodenseeobst. Die Aufzeichnungen der Wetterstation in Rickenbach sind eindeutig: Vor allem im Juni, September und Oktober ist es viel wärmer und trockener als früher, dafür ist es im August leicht kühler und vor allem viel nasser: „Wenn Sie ein Fest planen, dann lieber im Juni und nicht im August.“
Weil die Winter im Durchschnitt wärmer sind als früher – was einzelne besonders kalte Tage nicht ausschließt –, bedeutet das für die Obstbauern früheren Austrieb, frühere Blüte und frühere Ernte. Sie müssen mit Schädlingen und Pilzen rechnen, mit Frost, Stürmen und Hagel. Allein am deutschen Bodenseeufer haben Landwirte seit dem Jahr 2017 ungefähr 70 Millionen Euro in Hagelnetze investiert. Andere müssen Wasserleitungen legen, um ihre Anlagen bewässern zu können. Denn in langen Dürrezeiten welken auch Obstbäume, die zum Beispiel auf sandigem Boden stehen. Solche Trockenzeiten seien häufiger, so sei in diesem April nur gut ein Zehntel der üblichen Menge regen gefallen. Ein Umstellen auf Aprikosen, Pfirsiche oder gar Bananen oder Oliven sei nicht möglich, weil es dafür im Winter doch zu kalt werde. Entsprechende Versuche seien nicht gut ausgegangen.
Richard Brög sprach für den Weinbau, der gegen warme Tage nichts hat, der aber unter dem nicht berechenbaren Wetter leidet. Viel zu oft könne man sich auf Wetterberichte nicht mehr verlassen, sagte Brög, dabei sei das für die Arbeit in den Reben oder auch beim Pflanzenschutz eigentlich unerlässlich. Phänomene wie starken Regen in Reutin und Trockenheit in Schönau habe es früher auch nicht gegeben. „Und uns fehlt der Nebel“, bedauerte Brög, der für alle Landwirte sprach: „Der Klimawandel macht uns allen Angst.“
„Der Bodensee ist fit für den Klimawandel“
Nicht nur die Luft, auch das Wasser im Bodensee ist durchschnittlich um etwa ein Grad wärmer als früher, berichtete Timo Basen von der Fischereiforschungsstelle in Langenargen. Wobei er das Ökosystem des Sees für recht stabil hält. „Der Bodensee ist fit für den Klimawandel.“ Auf die Dauer rechnet er mit Veränderungen bei der Fischpopulation, weil sich solche Arten vermehren werden, die warmes Wasser lieben, während die Zahl der Felchen und Forellen zurückgehen wird, die sich in kaltem Wasser wohlfühlen.
Ob das extreme Aufkommen des Stichlings im Bodensee seit etwa fünf Jahren mit dem Klimawandel zu tun hat, das erforschen die Fachleute noch: „Wir wissen nicht warum.“ Basen führt darauf die Probleme mit den Felchen zurück, weil die Stichlinge den Felchen die Nahrung wegfressen und sogar den Felchennachwuchs vertilgen. Die Folgen sind bekannt: „Die Situation der Berufsfischer ist dramatisch.“