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Schlachtfeld

Die Liebe ist ein Schlachtfeld

Lindau / Lesedauer: 4 min

Das Ballett des Theaters Ulm zeigt Romeo und Julia als erbitterten Krieg der Geschlechter
Veröffentlicht:09.05.2012, 12:40

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Die Sängerin Pat Benatar wusste es schon in den Achtzigern: „Love is a Battlefield – Die Liebe ist ein Schlachtfeld“. In Roberto Scafatis radikaler Interpretation von Romeo und Julia ist sie zudem ein blutiges. In seiner zwischen Tanztheater und klassischem Handlungsballett angesiedelten Choreografie kommen Frauen – im Widerspruch zu einem dieser unsäglichen amerikanischen Ratgeber – nicht von der Venus, sondern vom Mars. Kriegerisch, dominant, kämpferisch treten sie auf. Die Männer sind übermütig und verspielt wie junge Hunde. Willig tapsen sie in jede Falle, die ihnen gestellt wird.

Die Capulets sind ein wilder Stamm von Amazonen, die sich die Männer nur zur Fortpflanzung holen. Angeführt werden sie von Tybalta, die wie aus einem jener Endzeitphantasien wie Mad Max oder der Klapperschlange wirkt. Simone Damberg Würtz tanzt diese kalt-lüsterne Kriegsgöttin mit eindrücklicher körperlicher Präsenz.

Es ist eine finstere, archaische Welt, die im Gastspiel des Ulmer Theaters auf der Bühne des Lindauer Stadttheaters Gestalt annimmt. Aus dem uralten Verdacht, dass Männer und Frauen nicht zusammenpassen, destilliert Scafati ein Szenario, in dem die Liebe keine Chance hat.

Der Choreograf ist mit der Stahlbürste über den Ballettklassiker von Sergej Prokofjew gegangen. Dessen Musik tönt etwas süßlich vom Band, andererseits sorgt gerade dies für den Gegensatz zur rauen Szenerie, durch die Yuka Kawazus Julia wie ein wildes Kind schwebt. Schnuppernd, mit bebenden Nasenflügeln, nimmt sie die Witterung der Liebe auf. In der Düsternis dieser Welt scheinen sie und Romeo (Yuhao Guo) geradezu zu leuchten. Doch das Flämmchen wird zum Brand. Denn in einer kriegerischen Welt, die mit Erotik nur den Geschlechtsakt meint, ist die romantische Liebe die höchste Form des Widerstandes gegen die geltenden Verhältnisse.

Nein, Scafati lässt keine romantisierenden Vorstellungen aufkommen. Er zeigt die Liebe zwischen Romeo und Julia durchaus im Sinne Shakespeares und so, wie erste Liebe oft empfunden wird: Als eine Naturgewalt, die dafür sorgt, dass hinterher nichts mehr ist wie vorher – ob im Inneren der Liebenden oder in ihrer Umwelt. Weder Julia noch Romeo haben eine Idee davon, welch Inferno aus dem zarten Funken entstehen wird, der während eines ersten, zu langen Blicks zündet. Am Ende wird diese Hitze sie verzehren.

Bis zum finsteren Ende setzt Scafati eindringliche Bilder, denen phasenweise eine ruppige Poesie innewohnt. Seine junge, energiegeladene Kompagnie führt er sicher durch unterschiedliche Tanzstile, bedient sich im klassischen Ballett ebenso wie im Modern Dance oder im Tanztheater. Die Kampfszenen choreografiert er mit Raffinesse und Wucht. Ein wenig erinnern sie an „West Side Story“, eine andere Variante von Romeo und Julia. Gefühlsduselei hat in seiner Auffassung des Stoffs keinen Raum. Die Liebe ist ein mächtiges Mysterium, das schleichend die klaren Fronten zwischen Frauen und Männern aufzulösen scheint und dadurch das komplette Fundament dieser auf rigiden Machtstrukturen aufgebauten Welt ins Bröckeln bringt.

Es ist aber auch eine Welt, in der ein gnadenloses Recht des Stärkeren herrscht. Dass muss der neckische Mercutio des sprunggewaltigen James Muller ebenso erfahren wie der verspielt-sanfte Benvolio von Damien Nazabel. Scafati setzt die Körperlichkeit seiner Tänzer, die nicht immer konventionellen Balletmaßstäben entsprechen, klug ein. Er schält klare Charaktere heraus, die von der geschlossen auftretenden Kompagnie mit deutlichen Konturen versehen werden.

Tänzerische Klasse

Dabei gelingt es, dank der tänzerischen Klasse des kompletten Ensembles, in diesen Bildersturm auch komische Elemente einfließen zu lassen. So tanzt Juliane Nawo eine clowneske Amme, die in ihrer Ausführung wie eine Hommage an die Shakespeareschen Rüpelszenen wirkt. Gleichzeit hält Scafati seine Linie durch, aus dem braven Bruder Lorenzo wird eine Schamanin.

Doch Scafatis größte Leistung ist, dass in all den Bildern und Sprüngen der satten Choreografie die tiefgehende Zartheit und das bedingungslose Begehren der Liebenden immer wieder die restliche Szenerie überstrahlt. Dies beginnt früh, wenn Julia die unter dem Netz gefangenen Männer nach ihrem Liebsten absucht. Eine Szene, die an ein Schlachtfeld mit Gefallenen erinnert.

Dies gipfelt dann im Schluss-Pas-de-Deux. Hier holt der verzweifelte Romeo Julia noch einmal ins Leben zurück, bevor Tybalta das Paar meuchelt, bevor sie selbst ebenfalls tödlich verwundet stirbt. Der Rest ist Schweigen, heißt es im Hamlet: Auf diesem Schlachtfeld gibt es weder Gnade noch Überlebende. Das ist das furchtbare Antlitz der Liebe.