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Prüfungslektüre

NS-Zeitzeugin berichtet vor 300 Schülern

Rot an der Rot / Lesedauer: 3 min

Die 93-jährige Autorin und Journalistin Ruth Weiss erinnerte vor Zehntklässlern an die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland und die Apartheid in Südafrika.
Veröffentlicht:14.03.2018, 18:21

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Bereits zum zweiten Mal ist das Buch „Meine Schwester Sara“ von Ruth Weiss zur Prüfungslektüre an den baden-württembergischen Realschulen ausgewählt worden. Der Verlag Krapp & Gutknecht aus Berkheim gestaltete bereits vor rund zehn Jahren die Begleithefte für die Prüfungsvorbereitung im Deutschunterricht. Schon damals ist der Kontakt zu Ruth Weiss entstanden. Daher hat der Verlag die Autorin und Journalistin für eine Lesung in den Festsaal nach Rot an der Rot eingeladen.

Rund 300 Zehntklässler aus fünf verschiedenen Realschulen sind teilweise mit Bussen nach Rot gereist, um den Vortrag der 93-jährigen Ruth Weiss zu hören. Sie werden in den nächsten Wochen die Realschul-Abschlussprüfungen schreiben. Eine Prüfungsaufgabe im Fach Deutsch beschäftigt sich mit dem Roman, der Anfang der 2000er-Jahre erstmals veröffentlicht wurde.

„Meine Schwester Sara“ spielt zur Zeit der Apartheidspolitik in Südafrika und schildert die Erlebnisse der kleinen Sara. Diese wurde als deutsche Kriegswaise im Jahr 1948 von einer Burenfamilie adoptiert. Die Familie nimmt das Mädchen anfangs herzlich auf und kümmert sich liebevoll um die Vierjährige. Diese Beziehung ändert sich jedoch, als die Familie erfährt, dass Sara „Hebräerin“ ist. Lediglich ihre Adoptivmutter und der Bruder „Jo“ stehen ihr zur Seite. Die Familie entzweit sich. Sara tritt schließlich dem „African National Congress“ (ANC) bei und wird so zur direkten Gegenspielerin des Familienoberhaupts „Pa“ Leroux, eines fanatischen Verfechters der Apartheid und Regierungsmitglieds. Er liefert seine Adoptivtochter schließlich wegen „Rassenschande“ der Justiz aus.

"Man hat uns unsere Kindheit gestohlen"

Der Roman bietet viele Anknüpfungspunkte an das Leben von Ruth Weiss: Sie wurde 1924 in Fürth bei Nürnberg in eine jüdische Familie geboren. Bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten hatte sie eine schöne Kindheit. „Ich hatte Freunde, wir spielten oft zusammen“, erklärt Weiss den Schülern, die gebannt den Erzählungen lauschen. Das habe sich aber schlagartig geändert, als Hitler Kanzler wurde. In Franken sei das antisemitische Gedankengut wegen eines NS-treuen Bezirksleiters deutlich schneller umgesetzt worden als anderswo. Von einem Tag auf den anderen wollten die Kinder in der Schule nichts mehr mit ihr zu tun haben. Der Lehrer ignorierte sie. „Man hat uns unsere Kindheit gestohlen“, zieht Ruth Weiss auf Nachfrage Fazit.

1936 floh die Familie letztlich aus Deutschland und reiste mit einem Frachtschiff nach Südafrika. Auf dem Schiff habe sie enge Kontakte zu afrikanischen Kindern geknüpft, erzählt Ruth Weiss. „Wir bekamen von ihnen zu essen und sie versuchten uns das Tanzen beizubringen“, berichtet die 93-Jährige, die inzwischen in Dänemark lebt. Als sie schließlich in Kapstadt angekommen waren, musste sie jedoch feststellen, dass dort die dunkle Hautfarbe den Judenstern in Deutschland ersetzte. „Wir waren von einem Unrechtssystem in ein anderes gekommen“, sagt Weiss.

Biografische Bezüge zum Roman

Die Erfahrungen zur Zeit der Apartheid in Südafrika bildeten schließlich die Grundlage für Ruth Weiss’ Roman. Sie hatte dort lange Zeit als Journalistin gearbeitet und sich für die Rechte der schwarzen Bevölkerung eingesetzt. Schließlich habe sie deshalb sogar das Land verlassen müssen, berichtet Ruth Weiss. Das hatte sie jedoch nicht daran gehindert, weiter über die Umstände in Südafrika zu berichten und demokratische Veränderung zu fordern.

„Diese Zeit des Nazi-Regimes und der Apartheid hat mein ganzes Leben bestimmt“, sagt Ruth Weiss. Deshalb sei es ihr besonders wichtig, auch noch heute auf die Geschehnisse von damals aufmerksam zu machen. „Die jüngeren Generationen haben keinen Bezug mehr dazu, deshalb werde ich, solange ich es kann, weiter darüber berichten.“ Denn das Thema sei aktueller denn je.