Filmsequenz

„Sterben ist eine Kunst“

Riedlingen / Lesedauer: 4 min

Theater „Rolle vorwärts“ spielt in Riedlingen auf Einladung der Hospizgruppe
Veröffentlicht:11.10.2015, 20:48

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Begleitet von Filmsequenzen und untermalt von Musik brachte das Theater „Rolle vorwärts“ das Thema Sterben im Kreisgymnasium in Riedlingen mit Einfühlungsvermögen einerseits und großem Unterhaltungswert andererseits unters Publikum. Eingeladen hatte sie die Hospizgruppe Riedlingen-Uttenweiler.

Thea ist tot, Thea, die Schwester, Tante, Sandkastenfreundin, Kollegin, Chefin, Jugendliebe. An ihrem Totenbett versammelt, erinnern sich jene, die ihr nahe standen, an die Lebende, die Hilfsbereite im Kindergarten, die Kecke in der Pubertät, die Trinkfeste auf der Berghütte, die Wertschätzende im Büro, die Ratgeberin in Sachen Männer, die Studierte, die dennoch nicht kapierte, was ein Abseits im Fußball bedeutet, die Krebskranke mit dem bunten Tuch auf dem Kopf.

Jeder von ihnen weiß noch, in welcher Situation sie ihm ihre Diagnose mitteilte und wie er damit umging. Nichte Bettina erfährt in einem Nebensatz, dass sie ins Krankenhaus muss, Silvia beim Marmelade-Kochen und das „nur mit einem halben Ohr“, Beate beim „Tatort“, der ihr „heilig“ ist, weshalb sie beim Telefonat nur drei Worte genehmigt. Thea sagt: „I han Krebs“. Warum, so die Kollegin, hat sie andere angerufen und nicht mich, während Auszubildende Maike um ihren freien Tag bangt, weil die Chefin krank ist.

Während Hannah den Tag des Telefonats nicht mehr einordnen kann, weiß ihr Mann Walter es ganz genau, schließlich war an jenem 17. Mai ein Champions League-Spiel der Deutschen. Jetzt schämt er sich, dass er den Fernsehapparat nur kurz ausgeschaltet hat nach der Schreckensnachricht, die seine Frau so plagte. Auch um sie hätte er sich kümmern müssen, erkennt er. Und um Thea. Warum waren Marmelade, Krimi und freier Tag wichtiger, fragen sich die Betroffenen. Wie kann ich fröhlich sein und tanzen, während es der Tante schlecht geht, die Nichte.

„Aber Krebs ist nicht gleich Krebs“, mindern sie ihre Selbstvorwürfe, Und: Vielleicht ist’s ein Fehlalarm. Doch Thea ist immer elender geworden, hat Angst gehabt, Angst verbreitet und dennoch mit der Freundin gelacht. Kein Mann habe sich für sie interessiert, nur der „Sensenmann“ wolle sie noch. „All das war ein Wunder“, resümiert die Freundin und hält fest: „Das ganze Leben ist ein Wunder – und das Sterben auch“. Dass im Friedwald, wo die Urne mit Theas Asche beigesetzt wird, nicht einmal ein Blumenstrauß erlaubt ist, kränkt Hannah.

Das Elend nicht mehr mit ansehen hätte man können, resümieren die Trauerenden; das Leben, das nicht mehr lebenswert war. Dem „Ja“ auf die Bitte: „Hilfsch mir, wenn’s nemma goht“, folgt die Erkenntnis der Feigheit und schließlich der Wunsch nach dem Sterben dürfen.

Und danach? Die Schwester sieht sich im Beerdigungs-Stress, dabei wollte Thea weder Pfarrer noch Todesanzeige und die Trauernden nicht in Schwarz, sondern in Rot. Zeit für Gedanken, was so nach dem Tod ist und Gelegenheit zu Streitgesprächen, Ewigkeit, Wiedergeburt? „Ich will nicht glauben müssen, ich will’s wissen“. Und wie umgehen mit der Trauer? Reisen, Sport, Garten, Sportplatz, jeder macht’s auf seine Weise und hält inne, um zu überlegen, wie es mit seinem eigenen Tod aussieht, mit seiner Beerdigung.

Eine Beerdigung ganz in Weiß als Zeichen der Unschuld und Todesstille. Lehrling Maike dagegen sieht sich als in Amerika berühmt geworden im gläsernen Sarg, mit blauem Designerkleid und „Pretty Woman“ aus dem Lautsprecher. Beate gerät in Ekstase, wenn sie an ihre Beisetzung denkt. Auf hoher See will sie ihre Asche verstreut wissen und sieht sie schon auf den nackten Oberkörpern braun gebrannter Matrosen. In Walters Fantasien landet, angestachelt von den Frauen, seine Asche in einem Fußball, der einen Pokal krönt. Und Marga? „Ich will selber bestimmen, wann ich gehe“ und zwar in „Frieden und Freiheit“. Die Erkenntnis zum Schluss: „Sterben ist eine Kunst“.

Obwohl alle Laiendarsteller, beherrschten die acht Frauen und Alibi-Mann Walter ihre Rollen aus dem FF und verstanden es, dem ernsten Thema immer wieder eine lustige Pointe abzugewinnen. Das freilich war der Verdienst von Lilo Braun, die nicht nur Regie führte, sondern auch das Stück schrieb und zusammen mit den Schauspielern die Dialoge entwickelte, ein Auftragsarbeit, wie sie verriet. Der Auftraggeber kann sehr zufrieden sein und die Zuschauer – weit mehr Frauen als Männer – waren es an diesem Samstagabend auch und nutzten gerne die Gelegenheit, sich nach dem Schluss-Applaus im Foyer des Kreisgymnasium mit Mitarbeitern der Sozialstation und der Hospizgruppe Riedlingen-Uttenweiler über das Stück und deren Arbeit auszutauschen. Über die Gruppe hatten eingangs Simone Weber und Christa Schwendele informiert. Schließlich feiert die Hospizgruppe 2015 ihren 20. Geburtstag.