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Nebenberuf

Das Problem liegt oft am anderen Ende der Leine

Riedlingen / Lesedauer: 6 min

Seine eigenen Schwierigkeiten mit Hund Chester führten Rudolf Hörmann zu seiner Berufung: Hundetrainer
Veröffentlicht:08.04.2018, 19:20

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Rudolf Hörmann hat einen außergewöhnlichen Nebenberuf: Der Riedlinger nennt sich Personal Dog Trainer – auf deutsch: persönlicher Hundetrainer. Er hilft da, wo Hundehalter mit ihrem Vierbeiner nicht mehr weiter wissen: Wenn Hunde an der Leine zerren, Kommandos ignorieren oder den Postboten zum Fressen gern haben. Die „ Schwäbische Zeitung “ hat Hörmann beim Gassigehen begleitet.

Chester wirkt entspannt. Der elfjährige Rüde trottet ruhig neben Rudolf Hörmann auf dem Kiesweg entlang des Zollhauserbachs, weicht ihm nicht von der Seite, auch wenn sein Herrchen die Leine locker lässt.

Haltung zeigen vor dem Hund

Für Hörmann ist dieses vorbildliche Verhalten keine Selbstverständlichkeit. „Es fängt schon bei der Körpersprache an“, erklärt der Hundetrainer, der in seinem Brotberuf gemeinsam mit Frau und Tochter eine Hausverwaltungsfirma betreibt. Viele Hundehalter nähmen eine falsche Körperhaltung ein, gingen gebeugt, dem geliebten Vierbeiner zugewandt. Doch damit täten sie ihm keinen Gefallen. „Man muss dem Hund gegenüber ein verlässlicher Partner sein“, weiß Hörmann, der aufrecht neben Chester schreitet und so Souveränität vermittelt. Die Folge: Der Hund könne sich entspannen – und hat keinen Grund, an der Leine zu zerren.

Es sind nämlich Herrchen und Frauchen selbst, die mit ihrem Verhalten die Vierbeiner prägen. „90 Prozent kann der Hundehalter durch die Leine beeinflussen“, sagt der Hundeexperte. Die restlichen zehn Prozent des Verhaltens liegen am Hund, seien bestimmt durch Gene, Hormone oder Erfahrungen, angeboren oder anerzogen, wobei die Prägephase bis zur 16. Woche den Charakter am stärksten forme.

Und das weiß wohl niemand besser als Hörmann selbst. Denn Chester ist ein Auslandshund. Seine ersten neun Monate verbrachte er in Rumänien, bevor in einem Tierheim in Koblenz landete – und dort das Herz der Hörmanns eroberte. Die Familie war schon seit einiger Zeit auf der Suche nach einem Hund. Nach 30 Jahren bei der Feuerwehr , davon 14 Jahre als Kommandant, hatte Hörmann sein Ehrenamt aufgegeben, um mehr Zeit mit seinen Kindern, seiner Familie zu verbringen. Und mit einem Familienhund.

Gassigehen als Kraftprobe

Aber die gute Tat hatte ihre Folgen, der Familienzuwachs wurde schnell zum Problemfall. Auslandshunde hätten eben häufig schlechte Erfahrungen gemacht, seien nicht sozialisiert und kennen keine Leinenführigkeit. „Das führte dazu, dass jeder Spaziergang zu einer schweißtreibenden Herausforderung wurde“, schildert der 57-Jährige die erste Zeit mit Chester: „Schwielen an den Händen, kaputte und verschmutze Klamotten, Prellungen und diverse Wehwehchen bei allen Familienmitgliedern.“ Hörmann, der sich zuvor durch die einschlägigen Hundeerziehungsbücher gewühlt hatte, war nahe daran, sich wieder von Chester zu trennen. Doch es blieb die bohrende Frage: „Ich möchte wissen, warum er ist, wie er ist.“

Ein zehntägiger Kurs brachte erste Erkenntnisse und Erfolgserlebnisse – und Hörmann auf den Geschmack. Das Interesse des Tierfreunds, der „schon immer Hunde gemocht“ hatte, war geweckt. Weitere Seminare und ein Praktikum folgten und dann, vor etwa elf Jahren, schließlich der große Schritt, eine Ausbildung als professioneller Hundetrainer zu absolvieren. Nach 280 Unterrichtsstunden im Hundeverhaltenszentrum Canisland in Bühl bei Baden-Baden verfügt Hörmann heute über einen Sachkundenachweis des Veterinäramts.

„Druck funktioniert nicht“

Nach wie vor sei das Hundetraining für ihn aber lediglich ein zweites Standbein – und ein „Ausgleich“, eine Berufung. Hörmann verfügt weder über Schulungsräume noch einen Trainingsplatz. Seine Trainingsorte sind Tiefgaragen und Aufzüge, die Riedlinger Altstadt oder die üblichen Hundespazierwege hinter der Kneippanlage Richtung Grüningen. Eben dort, wo sich typische Alltagssituationen ergeben.

Das erste Beratungsgespräch finde aber in der Regel zuhause statt, in der natürlichen Umgebung des Hundes und inmitten der Familie. „Das Problem fängt meist schon daheim an“, hat Hörmann beobachtet. Schon hier treten Verhaltensauffälligkeiten zutage. Neben Auslandshunden wie seinem Chester hat es der Hundetrainer häufig mit Familienhunden zu tun, die als Welpe falsch erzogen wurden. Nämlich „pyramidentechnisch“, wie der Hundeexperte das nennt: viele Freiheiten und Nachlässigkeiten an der Basis, im Welpenalter, und im Alter dann Enge und Einschränkungen, die der Hund nicht nachvollziehen kann und mit Druck durchgesetzt werden sollen. „Aber Druck funktioniert nicht. Konsequenz ist wichtig, nicht Strenge.“ Wer dies nicht beachte, mache die Erfahrung, dass „aus einem kleinen süßen Welpen ein großer Allradantrieb wird“, der auf Spaziergängen nicht mehr zu halten ist.

Der Leidensdruck ist meist schon sehr groß, wenn Hörmanns Kunden – viele stammen aus dem Raum Riedlingen, aber auch Bad Saulgau, Herbertingen oder von der Alb – seine Hilfe aufsuchen. Und oft genug ist es nicht der Hund, sondern Herrchen und Frauchen, die Hilfe benötigen. Dann ist Hörmann Seelenklempner, Beichtvater, Pädagoge und Paartherapeut in einem. Und eine Beziehung zu den Haltern aufzubauen sei mindestens genauso wichtig wie zu den Hunden selbst. „Viele haben die Vorstellung: Ich bringe den Hund zum Hörmann und der wird ihn dann schon richten – aber erst einmal wird der Mensch gerichtet“, erzählt der Hundetrainer und lacht. „Das Problem liegt am anderen Ende der Leine.“

Um das Problem zu lösen, helfen manchmal nur zwei Spaziergänge im Beisein des Hundetrainers, manchmal aber ist auch intensivere Trainingsarbeit notwendig. Dabei verzichtet Hörmann auf jegliche Zwangsmaßnahmen, zum Einsatz kommen etwa Kopfhalfter, die ein Ziehen an der Leine abtrainieren, dazu Spielzeug, Leckerli und vor allem Zuwendung. „Eine kleine Geste oder ein Blick als Bestätigung für den Hund ist oftmals der Schlüssel für ein erfolgreiches Mensch-Hund-Rudel“, so Hörmann.

„Nette Hundehalter leinen an“

Mut möchte der Hundetrainer nicht zuletzt mit seiner eigenen Geschichte machen. Chester sei noch immer kein „Super-Dog“ und muss dies auch nicht sein. Doch noch vor elf Jahren waren solche unbeschwerten Spaziergänge für Hörmann nichts weiter als ein ferner Traum. Wenn Chester heute mit großer Gelassenheit an den Baggern im Neubaugebiet der Grüninger Siedlung vorbeizieht, dann hat er nur noch wenig mit dem Hund gemein, der einst mit aller Gewalt sogar vor der Riedlinger Weihnachtsbeleuchtung Reißaus nehmen wollte.

An der Leine hält ihn Hörmann aber dennoch. „Ich finde das unhöflich. Wenn jemand entgegenkommt, nimmt man seinen Hund an die Leine“, kommentiert der Hundefreund ein Schild der Stadtverwaltung, das am Ortseingang die Leinenpflicht aufhebt. Ginge es nach Hörmann, müsste auf dem Schild ein anderer Text stehen: „Nette Hundehalter leinen ihren Hund an, wenn Spaziergänger, Jogger, Inliner oder andere Hundebesitzer entgegenkommen. Für alle anderen gilt die Leinenpflicht.“